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Aufschrei auf der Tribüne. Nicht nur auf Schalke hat Viagogo einen schlechten Ruf unter den Fans.

© picture alliance /augenklick/firo

Viagogo in der Kritik: Tickets aus der Grauzone

Viagogo ist das Feindbild der Fußballfans. Das Internetportal verkauft mit dubiosen Methoden Eintrittskarten für das Zigfache – inzwischen sogar im Auftrag mancher Bundesliga-Vereine.

Eigentlich würde man das Epizentrum des Widerstandes im Stadion vermuten. Aber das hat der FC Schalke 04 verboten. Fans, die Flugblätter verteilt haben, wurden von Ordnern aus der Arena geworfen. Der Klub erklärte, er erlaube keinen Angriff auf einen künftigen Sponsor auf seinem Vereinsgelände. So bleiben selbst die Parkplätze rund um die Schalker Arena als Stellfläche tabu für die Fan-Initiative „ViaNOgo“. „Der Vorstand bremst uns aus, wo er nur kann“, sagt Michael Eckl. So steht der größte Infostand der Initiative, die er mitgegründet hat, am Hauptbahnhof in Gelsenkirchen. Laute Musik, klirrende Bierflaschen: Hier kocht die königsblaue Volksseele. Eckl und Mitstreiter sammeln hier die Unterschriften von Schalke-Mitgliedern. Rund 7500 haben sie beisammen, tausend brauchen sie noch für den satzungsgemäßen Antrag auf eine außerordentliche Mitgliederversammlung. Dort wollen sie dann den Vertrag wieder rückgängig machen, den Schalke mit dem weltgrößten Tickethändler Viagogo ausgehandelt hat und der dem Klub ab 1. Juli rund 1,2 Millionen Euro pro Saison bringen soll.

Die Botschaft der Kritiker am Bahnhof ist eindeutig: „Der Kumpel zockt den Malocher nicht ab.“ Eine Anspielung auf die Image-Kampagne, die Schalke 04 gerade intensiv fährt: Kumpel- und Malocherverein nennt sich der Klub. Das klingt nach Nähe zur Basis. „In Wirklichkeit entfernt sich der Vorstand immer weiter von den Fans“, behauptet Eckl, durch den Deal mit Viagogo. So schnell wird also die Liaison mit einem umstrittenen Sponsor zur Glaubensfrage, zum Politikum. Nicht nur in Schalke, wo Tickets ein begehrtes Gut sind angesichts von 43.000 Dauerkarten und 120.000 Vereinsmitgliedern, von denen viele oft leer ausgehen.

Viagogo ist derzeit das Feindbild Nummer eins in der Bundesliga. An jedem Wochenende, fast in jedem Stadion: Protest-Plakate und -Fahnen gegen Viagogo, Schals und Hemden mit „ViaNOgo“ tragen sie überall in der Liga. Initiativen gegen den Kartenhändler haben sich auch anderswo gegründet. Unterschiedliche Farben, in der Sache vereint.

Steve Roest gibt sich überrascht. Der smarte Unternehmenssprecher von Viagogo sagt mit britischem Akzent: „Es erstaunt uns, dass die Fans protestieren. Es gibt einige, die nicht verstanden haben, warum wir hier sind. Dass wir Gutes in die Welt gebracht haben.“ Viagogo wolle nun „jeden deutschen Fan ausbilden, warum es Sinn macht, entweder Tickets auf Viagogo zu verkaufen oder zu kaufen“.

Roest ist PR-Mann durch und durch: Viagogo sei ein reiner Marktplatz, helfe Fans ohne Karte, und jenen, die ihre Karte nicht nutzen können. So habe man den Schwarzmarkt eliminiert, „keiner muss mehr sein Ticket in einer dunklen Ecke von bösen Leuten kaufen“. Manche formulieren es anders: Viagogo sei ein legalisierter Schwarzmarkt. Ein Schwarzmarkt, der vom Gesetzgeber im Gegensatz zum Verkauf vor dem Stadion nicht verfolgt wird. Da der Betreiber der Plattform ein Gewerbe angemeldet hat und Steuern bezahlt. Juristen sagen: Viagogo nutzt eine Grauzone.

Viagogo ist in 28 Ländern aktiv; eine riesige Karten-Krake, die exakte Zahlen über Umsatz und Gewinne verheimlicht. Roest sagt, man verkaufe Jahr für Jahr mehrere hundert Millionen Tickets. Die Seite der Firma ist eine Plattform, auf der meist anonyme Verkäufer Karten für Veranstaltungen jeglicher Art vom Barbra-Streisand-Konzert bis zum Zweitligaspiel anbieten. Nicht selten wird für solche Karten das Zehn- bis Zwanzigfache des normalen Preises verlangt. Viagogo verdient dabei jedesmal mit. Vom Verkäufer kassiert die Firma zehn Prozent Gebühr, vom Käufer 15 Prozent.

Ist Viagogo nur das kleinere Übel?

Zweifellos tummeln sich auf diesem Portal professionelle Schwarzhändler. Früher haben die Fußball-Vereine solche Internet-Tickethändler verklagt – auch deshalb verstehen viele Fans nicht, warum nun Geschäfte mit Viagogo gemacht werden. Viagogo unterhält mit neun deutschen Erst- und Zweitligisten offizielle Partnerschaften. In den Verträgen fordert Viagogo Exklusivität im Ticketweiterverkauf. Auf Schalke musste deshalb eine Ticket-Tauschbörse von Fans für Fans geschlossen werden. Künftig läuft es so: Der Klub gibt 300 Karten für zehn Heimspiele an den Händler, der danach selbst als Verkäufer auftritt. Für die Karten darf er vertraglich geregelt maximal den doppelten Preis verlangen.

Einige Klubs nutzen so ganz offen die Chance, auf dem finanziell eigentlich ausgereizten Markt der Eintrittsgelder doch noch zusätzlich zu verdienen, „über Sponsoring oder Kartenverkäufe über Viagogo, an denen die Klubs beteiligt werden“, weiß der Ticketmanager Nicolaus Pham, der auch schon für DFB und Uefa in diesem Segment tätig war. Pham sagt auch, in gewisser Weise würde so „aus dem Schwarzmarkt ein zusätzlicher Vertriebskanal“ für die Vereine. Schalkes Marketing-Vorstand, Alexander Jobst, formuliert es so: Der Ticketmarkt im Internet wachse immer weiter, die Klubs könnten ihn kaum noch bekämpfen. „Weshalb wir mit der größten Ticketonlinebörse eben diese Partnerschaft eingehen – um ein Stück weit auch eine Kontrolle in diesem Markt bekommen zu können.“ Viagogo als kleineres Übel?

In Dortmund sieht man, welche Auswüchse der Kampf um die Tickets treiben kann. Dort prügelten sich Fans unlängst vor der Geschäftsstelle um die letzten tausend frei verkäuflichen Karten. Zeitgleich wurden bei Viagogo mehr als 2000 Tickets angeboten – zu Preisen ab 250 Euro und bis weit über 1000 Euro. Borussia Dortmund hat sich von Viagogo distanziert und erklärt, dem Händler keine Karten verkauft zu haben. Wie also kommen dann so viele Tickets auf die Seite?

Matthias Saathoff ist Vorsitzender des 1100 Mitglieder zählenden BVB-Fanklubs Deutschland. Er arbeitet in seiner Heimat Ostfriesland als Detektiv und sagt: „Viagogo hat dem Schwarzmarkt das Schmutzige genommen und ihn auf die heimische Couch, an den eigenen Computer, verlagert. Kein Schwarzhändler muss sich mehr bei Wind und Wetter vors Stadion stellen und riskieren, erwischt zu werden.“ Käufer und Verkäufer bleiben anonym, anders als zum Beispiel bei Ebay. Saathoff hat in monatelanger Recherche zu Viagogo Erstaunliches zutage gefördert: Einer seiner Kronzeugen ist ein ehemaliger Mitarbeiter einer offiziellen Vorverkaufsstelle des BVB. Der habe seinen Job nicht mehr guten Gewissens ausüben können, weil sein Chef hunderte von Karten nicht an Fans verkauft (wie er dem Verein angibt), sondern an Viagogo. Außerdem will Saathoff von Insidern wissen, dass etwa zehn BVB-Fanklubs Scheinmitglieder führen, um so an Karten zu kommen, die dann bei Viagogo verkauft würden. Saathoff geht von deutlich über tausend Tickets pro Heimspiel aus. Wenn das stimmt, zockt in Dortmund der Kumpel den Malocher bereits gehörig ab.

Saathoff wundert das nicht. Er wisse von einem Fall, da verdient der Fanklubchef nur 1400 Euro netto im Monat – da komme das Zubrot gerade recht. Zumal Viagogo sich auch regelrecht an die Fans heranschmeißt. Saathoff zeigt zwei Schreiben, die ihn in seiner Funktion als Fanklubchef erreicht haben – von Viagogo-Mitarbeitern. In diesen Mails bietet das Unternehmen mit Hauptsitz in der Schweiz eine Kooperation mit dem Fanklub an. „Die wollen an unsere Karten“, sagt Saathoff. Das würde vom Tenor her zu einer Reportage des englischen Fernsehsenders Channel 4 passen. Ein Reporter schleuste sich als Mitarbeiter in das Londoner Büro von Viagogo ein und fand heraus, dass das Ticketportal bei offiziellen Anbietern in großem Stil selbst Tickets einkauft – die Mitarbeiter hantieren dabei mit Kreditkartenbergen.

Um den ramponierten Ruf etwas aufzubessern, lässt sich Viagogo in Verträgen wie mit Schalke neuerdings auch Werbeflächen im Stadion zusichern. „Wir sind die Besten und wollen deshalb mit den Besten zusammenarbeiten“, sagt Steve Roest, der Firmensprecher, und zählt das Portfolio der internationalen Top-Klubs auf, mit denen Viagogo Verträge hat. Selbst mit dem DFB würde man gerne kooperieren, sagt er. Kleine Rückschläge werden in Kauf genommen. So läuft mit dem ehemaligen Partner Hamburger SV ein Rechtsstreit, auch der FC Bayern will die Zusammenarbeit beenden. Borussia Mönchengladbach hat ein lukratives Angebot von Viagogo abgelehnt, wie Geschäftsführer Stephan Schippers sagt: „Wir können das nicht annehmen, wenn wir gleichzeitig viel unternehmen, um den Schwarzmarkt im Internet zu bekämpfen. Wir wollen keinem die Möglichkeit bieten, auf dem Rücken unserer Fans mit unseren Karten Geld zu verdienen.“

Fans anderer Klubs blicken neidisch nach Gladbach. Oder sie kämpfen mit allen Mitteln. Die Fan-Initiative der Schalker hat über einen Anwalt sogar Vereinschef Clemens Tönnies einen Brief zukommen lassen. „Er hat den Vorstand nicht gestoppt und somit seine Aufsichtspflichten verletzt“, sagt Eckl, „durch diesen Pakt mit dem Teufel werden die Werte unseres Vereins mit Füßen getreten.“

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