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Flach im Wind. Anders Jacobsen springt wie sein Landsmann Tom Hilde mit dem neuen Schuh, der mittels einer langen Schiene eine stabilere Haltung in der Luft ermöglicht. Foto: AFP

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Vierschanzentournee: Anders Jacobsen und das Geheimnis der steifen Zunge

Nach den beiden Siegen von Anders Jacobsen tuschelt die Skisprungszene über seinen neuen Wunderschuh. Der Norweger profitiert von einer innovativen Technik, die einen stabileren Flug erlaubt.

Man musste nur in Alexander Pointners zorniges Gesicht blicken, um zu wissen, dass seine österreichischen Skispringer bei der Vierschanzentournee mannschaftlich bisher enttäuscht haben. Der Cheftrainer hatte im Mannschaftshotel von Garmisch-Partenkirchen auch ein paar Schuldige dafür ausgemacht. Den finnischen Punkterichter Tom Nyman bezichtigte er indirekt sogar des Alkoholkonsums, weil dieser es gewagt hatte, Wolfgang Loitzls Landung mit nur 15,5 Punkten zu bewerten. „Ich weiß nicht, ob der eine oder andere ein bisschen zu lange ausgegangen ist“, sagte Alexander Pointner, „so etwas im Straßenverkehr und dir wird der Führerschein abgenommen.“ Was ihn jedoch am meisten beschäftigte: der neue norwegische Wunderschuh.

„Ich habe auch schon davon gehört, es wird viel geredet“, sagte Pointner. „Die Norweger benutzen eine Schiene am Schuh, die man eigentlich verwendet, wenn man sich die Bänder gerissen hat“, berichtete der österreichische Cheftrainer. Als illegal will Alexander Pointner diesen Anbau am Schuh nicht bezeichnen. Ihn ärgert vielmehr, wenn ihm jemand erzählt, die neue Schiene sei besser für die Anfahrtsposition. „Das ist ein kompletter Schmarrn, es geht um das flachere Führen der Ski in der Luft“, sagt er.

Dass sich Alexander Pointner überhaupt mit dem norwegischen Schuh beschäftigt, liegt an Anders Jacobsen. Der Norweger hat die ersten beiden Springen der Vierschanzentournee eindrucksvoll jeweils vor dem Österreicher Gregor Schlierenzauer gewonnen – mit dem neuen Wunderschuh. „Der Schuh ist unser Geheimnis“, sagte Jacobsen vor der heutigen Qualifikation für das dritte Springen der Vierschanzentournee in Innsbruck (13.45 Uhr, live in der ARD). Beim norwegischen Cheftrainer Alexander Stöckl klingt das alles überhaupt nicht mehr mysteriös.

„Wir haben etwas gebaut, das den Schuh versteift“, berichtet der aus Österreich stammende Trainer der Norweger bereitwillig. „Das hilft beim Fliegen, das System wird stabiler in der Luft, der Ski reagiert nicht mehr so stark.“ Die Norweger haben die Schuhzunge mit einer Schiene bis zum Schienbein verlängert. Auf diese Idee war Stöckls Vater gekommen, ein Tiefbauingenieur. Der neue norwegische Schuh hat somit einen ähnlichen Effekt wie der gebogene Bindungsstab, der dem Schweizer Simon Ammann in Vancouver zu seinem zweiten olympischen Doppelsieg verholfen hat: Die Skiflächen können im Flug flacher gegen die Luft gestellt werden und damit mehr Auftrieb erzeugen.

Die neue Fußbekleidung sei völlig regelkonform, versichert Stöckl: „Der Schuh ist laut Reglement ein Innovationsbereich, da darf man machen, was man will.“ Weil die Verbesserungen bei Ski und Bindung weitgehend ausgereizt sind, tüfteln alle Nationen an der Verbesserung der Schuhe. Einige verstärken die biegsamen Lederschuhe mit Karbon, doch nun scheinen die Norweger die beste Lösung gefunden zu haben.

Von einem Wunderschuh will Stöckl trotzdem nicht sprechen. „Er ist ein Hilfsmittel und kein Heilmittel“, erklärt der Österreicher, der seit März 2011 für Norwegen arbeitet. Als sein Team erstmals in Engelberg mit dem neuen System sprang, blieben die Spitzenresultate noch aus. Bei der Vierschanzentournee springen nur Anders Jacobsen (Platz eins der Tourneegesamtwertung) und Tom Hilde (Platz drei der Tourneegesamtwertung) mit dem neuen Schuh.

Die anderen Norweger verzichten, weil sie mit dem neuen Modell nicht so gut zurechtkommen. „Nur wenn man technisch gute Sprünge macht, kann der Schuh etwas helfen, weil die Stabilität besser gegeben ist“, sagt Stöckl. „Ich würde aber nicht sagen, dass man wegen des Schuhs jetzt krass besser springt.“ Auch Alexander Pointner will die aktuellen Erfolge der Konkurrenz nicht nur auf den Schuh schieben: „Die Norweger sind eine führende Skisprungnation, die haben ihre Qualität.“

Doch eine technische Neuerung oder auch nur der Anschein einer technischen Neuerung ist in einer psychologisch so anspruchsvollen Sportart wie Skispringen von großer Bedeutung. „Die Österreicher werden sich jetzt Gedanken machen, wie sie das lösen können“, sagt Stöckl. Der deutsche Cheftrainer Werner Schuster hörte in Garmisch-Partenkirchen zum ersten Mal von diesem Umbau des Schuhs und will sich nun in Zukunft damit beschäftigen. Zuletzt sind die Neuerungen im Skispringen von den Schweizern (Bindung) und Österreichern (Anzug) ausgegangen. „Es ist aus Sicht der Norweger ganz nett, mal auf der anderen Seite zu stehen“, sagt Stöckl. „Wir haben etwas, wovon die anderen glauben, dass sie es nicht haben.“

Was die Diskussion noch komplizierter macht: Anders Jacobsen springt bei dieser Vierschanzentournee nicht nur mit einem neuen Schuh, sondern auch mit einem neuen Skimodell eines deutschen Herstellers. „Der Ski ist an einigen Stellen steifer“, sagt Dieter Thoma, der den deutschen Skihersteller berät. Wo diese Versteifungen sind, will er nicht verraten – und das ist auch eine andere Geschichte.

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