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Sport: Volleyball: Wunder dauern etwas länger

Von Andrzej Niemczyk ist eine ungewöhnliches Zitat überliefert. Es gäbe für ihn bei der Ausbildung von Volleyballspielerinnen drei Stufen "die Rekruten-, die Offiziers- und die Generalszeit", hieß es.

Von Andrzej Niemczyk ist eine ungewöhnliches Zitat überliefert. Es gäbe für ihn bei der Ausbildung von Volleyballspielerinnen drei Stufen "die Rekruten-, die Offiziers- und die Generalszeit", hieß es. Das liegt schon ein paar Jahre zurück und sollte seinen Ruf als "Schleifer" im Training unterstreichen. Heute ist der aus Polen stammende Sportlehrer 56 Jahre alt und seit August als Trainer beim Bundesligateam der Volley Cats beschäftigt. Welche Ära hat nun für den Volleyball-Philosophen begonnen? "Ach, wissen Sie", sagt Niemczyk, "ich bin nun rund 30 Jahre als Trainer tätig. Das mit dem Schleifer hat man mir angehängt, als ich 1977 in die Bundesrepublik kam." Eine Zeit, in der im Gegensatz zur DDR, deren Volleyballer zur Weltklasse gehörten, im Westen Deutschlands das Pritschen am Netz eher als Zeitvertreib für Studenten und Hausfrauen galt.

Niemczyk war drei Jahre Landestrainer (und Betreuer des TSV Rudow) in Westberlin. Dann wurde er zum Verband geholt, wurde für die Frauenauswahl und parallel für das "Modell Lohhof" bis 1986 zuständig. Weil er das Trainingspensum von etwa 4,5 Stunden pro Woche auf etwa 25 hochschraubte und dies unnachgiebig durchsetzte, war er der "Schleifer nach Ost-Methoden". Mit Lohhof hatte er westlich der Elbe durchschlagenden Erfolg - Meisterschaft und Pokalsieg schienen abonniert -, doch mit der bundesdeutschen Formation gelang kaum mehr als das Prädikat der "besten Mannschaft aus Westeuropa": bei der EM 1983 Fünfter, 1985 Sechster, 1987 Neunter. Auch weil damals in der DDR, in Russland oder Bulgarien mehr als 25 Wochenstunden trainiert wurde. Als sich auch 1989 sein ehrgeiziges Bestreben nach einer EM-Medaille mit Rang fünf nicht verwirklichen ließ, kündigte Niemczyk beim DVV vorzeitig. Und fand als Coach des Frauenteams von Vakif Bank Ankara eine neue Herausforderung, die angeblich "fürstlich honoriert" wurde. Nach zwei Meistertiteln in der Türkei und einem dritten Platz beim CEV-Pokal konnte er den flehenden Bitten der Männer vom SC Charlottenburg nicht widerstehen und war zwischen 1995 und 1997 auch mit ihnen als Pokalgewinner und Meister in der Erfolgsspur.

Niemczyk hat die seltene Gabe, nach einem Wechsel vor allem Anerkennung und Wohlwollen zurück zu lassen. So nahm man den erfahrenen Trainer in Ankara bis zum Ende der diesjährigen Saison erneut mit offenen Armen auf. Doch die Türkei drängt es in die EU, und Staatsunternehmen werden eifrig privatisiert. Dazu zählt die Vakif Bank, die bisher pro Jahr etwa 30 Millionen Dollar in den Fußball und den eigenen Volleyballverein lenkte. Um beim Gang an die Börse aber möglichst verheißungsvolle Bilanzen zu präsentieren "werde nun", so wurde Niemczyk bedeutet, "das Sportsponsoring vorerst eingestellt". Das verbreitete sich nach Berlin, wo der Volleyball-Europäer "drei Jahre eine Wohnung leerstehen" hatte. So stand Niemczyk vor der Frage, "ob ich hier rumsitze und Däumchen drehe oder lieber helfe, Topvolleyball der Frauen vor dem Ende zu bewahren". Doch in Berlin kann niemand einem Volleyballtrainer so märchenhaft wie in der Türkei bezahlen. Niemczyk habe vor allem aus "idealistischen Gründen" den Vertrag unterzeichnet, umschreibt Cats-Präsident Norbert Bücker das Entgegenkommen Niemczyks bei der Gehaltsfrage.

Und außer Fachkenntnis bringt Niemczyk immer auch ein paar Akteure und vor allem Ideen mit. So will er die 300 000 Mitbürger umfassende türkische Fraktion ins Sportforum zu den Cats locken. Und auch türkische Unternehmen für ein Sponsoring interessieren. Seine "Lockmittel" dafür heißen die beiden nun zu den Cats gehörenden Nationalspielerinnen Bahar Urcu und Ayan Kara sowie demnächst auch der Kotrainer Atay Dogu.

Der letzte Platz beim Volley Cup habe aber unmissverständlich klar gemacht: "Es braucht noch viel Arbeit und Zeit, um die Mannschaft an das Niveau der besten Bundesligamannschaften heranzuführen." Denn: "Ich bin kein Heiliger, der ein bisschen Wasser streut und dann Wunder bewirkt." Man werde sich durch die Hinrunde, die am Sonntag mit der Heimpartie gegen Ulm (15 Uhr) eröffnet wird, "schleichen müssen und möglichst wenig verlieren. Erst danach kann ich erkennen, wo die Cats landen könnten."

Ernst Podeswa

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