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Die Tore zum Glück. Der Lette Artjoms Rudnevs hat für den Hamburger SV nach holprigem Beginn bereits elf Saisontreffer erzielt. Foto: AFP

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Sport: Vom Stümper zum Virtuosen

Die wundersame Wandlung des Hamburger Stürmers Artjoms Rudnevs.

Hamburg - Der Erkenntnisgewinn in Gesprächen mit Artjoms Rudnevs ist eher dürftig. Der schmale Stürmer des Hamburger SV spielt sich nicht als Mann krachender Antworten auf. Das liegt zum einen daran, dass er sich mit der deutschen Sprache schwertut – obwohl er einmal die Woche mit dem kroatischen Kollegen Milan Badelj zum Unterricht geht. Zum anderen liegt die Wahrheit für ihn nur auf dem Platz. „Fußball ist harte Arbeit“, sagt Rudnevs, „ich will Tore schießen, und nicht drüber reden, wie ich sie schieße.“

Aber in letzter Zeit ist der 25 Jahre alte Lette eben öfter gefragt worden, wie es denn zu dieser erstaunlichen Metamorphose vom Strafraum-Stümper aus der Vorbereitung zum besten Stürmer des HSV kommen konnte. Virtuose Treffer wie das 1:0 am vorigen Sonntag in Stuttgart hätten ihm am Anfang der Saison nämlich niemand zugetraut. Dass man Rudnevs vor seinem Volleyschuss gar nicht wahrgenommen hatte, ist keine ungewöhnliche Geschichte: So spielt er immer.

Als Rudnevs im Sommer für 3,5 Millionen Euro als Torschützenkönig der polnischen Ekstraklasa von Lech Posen geholt wurde, wirkte er wie ein Kreisligaspieler unter Profis. Alles misslang in den ersten Trainingseinheiten im Juli. Rudnevs schoss mit der Streuung einer Schrotflinte. Er lief hinterher, verlor jeden Zweikampf. Dass er in Posen auf Robert Lewandowski gefolgt war, nachdem dieser zu Dortmund gegangen war, und dann im Trikot Lechs sogar mehr Tore schoss als der Pole – das war nur noch eine Statistikspielerei. Rudnevs schien der nächste Name auf der Liste der Fehleinkäufe des Sportchefs Frank Arnesen zu sein.

Doch Rudnevs, Arnesen und Trainer Thorsten Fink blieben geduldig. Rudnevs sagt: „Ich war am Anfang überrascht, wie schnell und hart der Fußball in der Bundesliga ist. Ich habe nicht viel Talent. Aber ich bin fleißig.“ Es fiel den Trainingsbeobachtern auf, dass Rudnevs nach jeder Einheit Zusatzschichten einlegte: Er paukte unermüdlich Ballverarbeitung und Torabschlüsse. Fink sagt rückblickend, es sei ihm klar gewesen, dass Rudnevs Zeit für die Umstellung brauchen würde: „Wir kannten Rudis Qualitäten und haben nicht an ihm gezweifelt.“ Als die Hinrunde sich dem Ende näherte, machte Rudnevs langsam Fortschritte. Ab dem 14. Spieltag brachte Fink ihn immer von Beginn an, und Rudnevs zahlte das Vertrauen mit bisher elf Saisontoren zurück.

Artjoms Rudnevs selbst bringt seinen Durchbruch beim HSV mit zwei Frauen in Verbindung: seitdem seine Frau und seine Tochter im Oktober zu ihm gezogen sind, läuft es. „Ich bin ein Familienmensch. Ich brauche zwei Dinge zum Glücklichsein – meine Familie und Tore“, sagt er. Elf Bundesliga-Treffer sind dem in Daugavpils nahe der russischen Grenze geborenen Profi bislang für den HSV gelungen; Sahnestücke wie am Sonntag waren selten dabei. Rudnevs ist ein Stürmer mit Gespür, er trifft meist aus der Nähe, drückt den Ball mit Fuß oder Kopf über die Linie. Dazu rennt er bis zu Erschöpfung und erinnert manchen HSV-Fan an den ehemaligen Liebling Ivica Olic. „Wenn ich mit ihm verglichen werde, kann ich nicht so schlecht sein“, sagt Rudnevs schmunzelnd.

Dass jedes weitere Tor ihn zum Verkaufsobjekt des klammen HSV stempelt, hat er zur Kenntnis genommen. Sollte Hamburg den europäischen Wettbewerb verpassen, gilt es als möglich, dass sowohl er als auch Heung-Min Son veräußert werden. Dazu will der Lette gar nichts sagen. Rudnevs als Wertobjekt: Das ist eine wirklich erstaunliche Entwicklung nach den Eindrücken vom Juli 2012. Frank Heike

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