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Flug ins Ungewisse. Gregor Schlierenzauer wartet seit fünf Jahren auf seinen 54. Erfolg im Weltcup.

© picture alliance/dpa

Vom Überflieger zum Hinterherspringer: Gregor Schlierenzauer und sein Weg der kleinen Schritte

Er hat das Skispringen dominiert. Inzwischen aber wartet Gregor Schlierenzauer seit fünf Jahren auf einen Sieg. Doch der Österreicher gibt nicht auf.

Als Gregor Schlierenzauer am Nikolaustag 2014 in Lillehammer das letzte Mal ein Weltcup-Skispringen gewinnen konnte, kreisten seine Gedanken sofort um den nächsten Erfolg. Am Abend stieß der Stubaier im Restaurant Blåmann auf den Sieg an, das Feuer im offenen Kamin knisterte, und zu späterer Stunde verriet Schlierenzauer seinen sehnsüchtigsten Wunsch: „54 Weltcupsiege, gleich viele wie Hermann Maier, das würde mir wirklich viel geben.“

Was an diesem Abend in Lillehammer vermutlich niemand geahnt hat, am wenigsten wohl Gregor Schlierenzauer selbst: Hermann Maier liegt fünf Jahre später immer noch vor ihm. Seit dem 6. Dezember 2014 versucht der erfolgreichste Springer im Weltcup (53 Siege) vergeblich, diesen 54. Erfolg zu landen. Und inzwischen stellt sich die Frage: Wird und kann er überhaupt jemals mit Skilegende Maier gleichziehen?

Gregor Schlierenzauer war seiner Zeit voraus

Der Absturz des Gregor Schlierenzauer ist auf den ersten Blick nur sehr schwer nachvollziehbar. Pechsträhnen, Formtiefs, Torflauten – all diese Phänomene kennt man aus dem Sport zur Genüge, aber dass ein Überflieger zum Otto Normalskispringer degradiert wird und plötzlich fast gar nichts mehr auf die Reihe bekommt, hat dann doch Seltenheitswert. „Im Skifahren würde es so ein Phänomen nicht geben. Es würde nicht passieren, dass ein Seriensieger nicht mehr unter die ersten 30 kommt“, sagt Skisprunglegende Anton Innauer. „Aber das Skispringen ist ein Hund. Und der Hund kann gemein sein.“

Insider wie er können natürlich genügend Gründe aufzählen, warum Schlierenzauer nicht mehr der Alte ist. Das beginnt bei den Sprunganzügen, die enger geworden sind, setzt sich fort mit der Stabbindung, auf die neuerdings alle Skispringer schwören, und endet bei den Skiern, die heute viel kürzer sind als noch zu Zeiten der ersten Erfolge von Schlierenzauer.

„Damals war der Gregor seiner Zeit voraus“, erinnert sich Innauer. Er habe manchmal selbst mit schlechteren Sprüngen gewonnen, erzählte Schlierenzauer einmal im Interview mit dem österreichischen „Kurier“. Und genau das ist jetzt auch sein großes Dilemma: „Im Skispringen kannst du nichts mehr kaschieren. Gregor weiß, dass er heute hundert Prozent abrufen muss – und selbst das ist dann keine Garantie, dass er auch wirklich vorne dabei ist“, sagt Werner Schuster.

Aus besseren Zeiten. Gregor Schlierenzauer gehörte zur absoluten Weltspitze.
Aus besseren Zeiten. Gregor Schlierenzauer gehörte zur absoluten Weltspitze.

© Sergei Ilnitsky/dpa

Der Vorarlberger war seinerzeit im Skigymnasium Stams der erste Vertrauenstrainer von Gregor Schlierenzauer. Seit diesem Sommer steht der frühere deutsche Chefcoach dem Tiroler wieder zur Seite. Schuster wundert sich weniger darüber, dass sein Schützling in dieses Formtief gestürzt ist, sondern sagt: „Das wirklich Bemerkenswerte ist, dass er sich überhaupt so lange an der Weltspitze gehalten hat.“

Viele Schanzen-Experten sind der Ansicht, dass Werner Schuster wohl der Einzige ist, der Schlierenzauer noch auf die Sprünge helfen kann. „Er war in meiner Karriere schon einmal die Schlüsselfigur“, sagt der gefallene Skisprungstar. In den letzten Jahren hat er nicht nur einmal den Reset-Knopf gedrückt und vollmundig den Neustart propagiert. So glaubwürdig wie jetzt hat das allerdings noch nie geklungen.

Schlierenzauers Niveau liegt zwischen Platz 10 und 20

Schuster verfolgt mit Schlierenzauer den Weg der kleinen Schritte. Dass er wie zu Beginn seiner Karriere wieder im Stile eines Senkrechtstarters die Skisprungschanzen erobert, ist nahezu ausgeschlossen. „Viele dieser Leute, die schon einmal oben gestanden sind, machen den Kardinalfehler, dass sie auf dem Weg zurück eine Abkürzung nehmen wollen. Es geht aber nur über solide Arbeit“, weiß Schuster.

Der Vorarlberger ist mit der Entwicklung seines Athleten nicht unzufrieden. Schlierenzauer kam in den beiden bisherigen Wettbewerben dieser Saison in die Punkteränge, einmal landete er auf Rang 30, einmal auf Rang 14. Das ist für einen, der im letzten Winter bei zwölf Anläufen zehn Mal nicht den Finaldurchgang erreicht hat, schon eine Steigerung. „Zwischen Platz 10 und 20 schätze ich im Moment sein Niveau ein“, sagt Schuster. Sollte er einmal konstant auf diesem Level springen, wäre dann auch der letzte Schritt realistisch.

Und Gregor Schlierenzauer selbst? Der hat den Namen Hermann Maier schon lange nicht mehr fallen lassen. Ihm geht es erst einmal wieder um etwas anderes. „Wenn’s dann wieder funktioniert und man beginnt zu schweben“, erzählt Gregor Schlierenzauer mit strahlenden Augen, „dann ist das einfach ein irres Gefühl.“

Christoph Geiler

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