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Bittersüß zum Schluss. Trotz des Abstieges lassen sich die Spieler der Capitals am 7. April 2002 in der Deutschlandhalle von ihren Fans feiern.

© Olaf Wagner/Imago

Vor 18 Jahren - der Abstieg des Westberliner Eishockeys: Die Capitals und der Abgang in Badelatschen

Am 7. April 2002 endete mit dem Abstieg der Capitals nach einer seltsamen Saison die Ära des erstklassigen Eishockeys in Charlottenburg.

Die Deutschlandhalle ächzte unter dem Lärm der Eishockeyfans, obwohl die betagte Arena nur zu einem Viertel mit Zuschauern gefüllt war. Die Profis der Berlin Capitals kamen zum Anhang in der Stehkurve mit ihren Kindern an der Hand und Badelatschen an den Füßen aufs Eis. Die Frustrierten ließen sich trösten. Kurz zuvor hatten sie das entscheidende Abstiegsspiel in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) gegen die Schwenninger Wild Wings verloren. 5:7. Und das mit einer Rumpftruppe. Etliche Spieler hatten den Klub bereits vor der Abstiegsrunde verlassen, die Mannschaft hatte seit zwei Monaten kein Gehalt mehr bekommen.

Der 7. April 2002 in der Deutschlandhalle war ein Abschied, das Finale eines Untergangs mit Ansagen. Das Ende einer Ära. An diesem Sonntag wurde der Rest vom Herz des West-Berliner Eishockeys zu Grabe getragen. Denn wie die Klubs aus dem Westen der Stadt auch hießen, sie standen seit fast einem Jahrhundert für Erfolg: Vor allem der 20-malige deutsche Eishockeymeister Berliner Schlittschuh-Club, dann der BSC Preussen und schließlich die Berlin Capitals.

Gunnar Leidborg, Trainer der Capitals, sagte nach dem letzten Spiel: „Wenigstens haben die meisten Spieler Charakter gezeigt – im Gegensatz zu manchen anderen hier.“ Einer der Spieler, die bis zum Ende durchgehalten hatten, war Lorenz Funk junior, Sohn des damaligen Sportdirektors Lorenz Funk. Der Junior stand in jener Saison 60 Mal für die Capitals auf dem Eis. Funk erinnert sich heute: „Die Saison war ein Auf und ab. Oft dachten wir Spieler, dass es vorbei ist, doch dann ging es am nächsten Tag weiter.“

Der Klub hatte seine Blütezeit, die großen Jahre in der Eissporthalle an der Jafféstraße, 2002 längst hinter sich. In den Achtziger Jahren waren die Preussen im Profisport die Nummer eins im Westen Berlins gewesen, noch vor dem damaligen Fußball-Drittligisten Hertha BSC, doch nun befanden sie sich seit Jahren unter ihrem neuen Namen Capitals im freien Fall.

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Dabei stand vor der Saison 2001/2002 nach dem Beschluss die Halle an der Jafféstraße abzureißen, die für das Messegelände weichen musste, der vom Klub lang ersehnte Umzug in die Deutschlandhalle an. Doch die Freude darüber war eher verhalten, kurz vor Saisonbeginn in der DEL standen die hochverschuldeten Capitals ohne Lizenz da.

Keinen Spaß am Job. Trainer Gunnar Leidborg im letzten Spiel der Capitals.
Keinen Spaß am Job. Trainer Gunnar Leidborg im letzten Spiel der Capitals.

© Olaf Wagner/Imago

Hauptgesellschafter Egon Banghard konnte in letzter Sekunde den Hebel umlegen, es gelang dem Unternehmer aus der Immobilienszene, mit Hilfe eines alten Freundes aus dem Süden, Dietmar Hopp. Bei Hopp war Banghard in der Verzweiflung vorstellig geworden. Hopp, Gesellschafter bei Ligakonkurrent Adler Mannheim und Mäzen des noch unterklassigen Fußballklubs TSG Hoffenheim, half, so hieß es, aus.

Kurz vor der Saison erhielten die Capitals von der DEL ihre Lizenz zurück – ihr Hauptgesellschafter hatte elf Millionen Mark locker gemacht. Im Schatten dieses Triumphes fiel es Banghard nicht schwer, zur Tagesordnung überzugehen. So, als ob nichts gewesen sei, als ob bei den Capitals nicht Dutzende von Mitarbeitern monatelang vergeblich auf ihre zugesicherte Entlohnung gewartet hätten. Sicher, sei das „eine traurige Geschichte“, sagte Banghard. Aber es sei auch traurig für ihn gewesen, der ja schon „15 Milliarden Mark in die Stadt gesteckt“ habe.

Banghard versprach für das Saisonende „eine schwarze Null“ auf dem Konto der Capitals GmbH und in Windeseile wurde von Manager Olle Öst und Sportdirektor Lorenz Funk eine Mannschaft zusammengeklaubt, die mit vielen Niederlagen in die Saison stolperte, sich aber zwischendurch fing, wie sich Funk junior erinnert: „Die Stimmung war anfangs sehr gut in der Mannschaft. Für mich war das sowieso etwas Besonderes noch einmal im Westen Berlins spielen zu können.“

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Funks Vater war in den Siebzigerjahren mit dem Schlittschuh-Club zwei Mal Meister geworden. Später hatte er die Preussen mit aufgebaut, der Westen Berlins war neben den Teams aus Nordrhein-Westfalen lange Zeit der einzige Standort, der den Klubs aus den bayrischen Eishockeyhochburgen Paroli bieten konnte. Bis heute ist der Schlittschuh-Club deutscher Rekordmeister.

Viele Profis gingen wegen ausbleibender Gehälter in den letzten Wochen der Saison vorzeitig

Für die Preussen und die Capitals gab es keine Titel, in der letzten Saison der Erstklassigkeit war davon auch nicht mehr zu träumen. Die Lage um die Mannschaft wurde immer diffuser. Viele selbsternannte Retter wurden vom zunehmend überfordert wirkenden Banghard ins Rennen geworfen. Am Ende taumelte die Mannschaft dem Saisonende entgegen. „Als unser Trainer Leidborg dann auch noch schlechte Stimmung verbreitete, war es vorbei“, erinnert sich der Spieler Lorenz Funk.

Viele Profis gingen wegen ausbleibender Gehälter in den letzten Wochen der Saison vorzeitig, bei einem Spiel in München konnte die Mannschaft nur dank über Nacht verpflichteter Gastspieler das Eis betreten. Die Capitals wurden das Schmuddelkind der Liga. Am Ende stand der Abstieg. Aber es gab noch Eishockeybegeisterte Menschen, die das Scheitern in jener Saison als Chance sahen. Unter dem neuen Geschäftsführer Michael Wuscher sollte die Sanierung der verschuldeten Capitals angegangen werden. Statt Banghards versprochener „schwarzer Null“ hatte die GmbH am Saisonende im April 2002 4,5 Millionen Euro Schulden.

Am Ende Abstieg. Die Capitals (in weiß) verloren ihr letztes Spiel überhaupt in der ersten Liga gegen Schwenningen 5:7.
Am Ende Abstieg. Die Capitals (in weiß) verloren ihr letztes Spiel überhaupt in der ersten Liga gegen Schwenningen 5:7.

© Olaf Wagner/Imago

Das Projekt Sanierung scheiterte. Nach 15 Jahren musste sich der Klub nicht nur aus der höchsten Spielklasse verabschieden, auch der Name Berlin Capitals war Geschichte. Lorenz Funk senior sagte aber: „Es geht weiter. In der zweiten Liga oder in der Oberliga.“ Für die zweite Liga gab es keine Lizenz, es ging nach einem Jahr in der Regionalliga und einem Aufstieg weiter unter dem Namen Preussen in der Drittklassigkeit mit erstklassigen Träumen vom Wiederaufstieg – bis sich auch das verbot. Die Deutschlandhalle wurde abgerissen.

Heute spielt das Charlottenburger Eishockey in einer kleinen neuen Halle an der Glockenturmstraße, unter dem Namen ECC Preussen. Zur Zeit in der vierten Liga, Träume von mehr gibt es immer wieder. Aber die DEL ist, Stand jetzt, unerreichbar. Sie findet heute in Berlin in der Arena am Ostbahnhof statt, bei den Eisbären, die nach der politischen Wende der kleinere Klub im Berliner Eishockey waren.

Heute ist das kaum noch vorstellbar. Wobei der Untergang der Capitals durchaus aktuelle Parallelen finden könnte: 2002 ahnte niemand im damaligen Klub, welche traurige Relevanz der 7. April haben würde. Auch vor der jetzt laufenden Krise ahnten viele Klubs im professionellen Sport nicht, wie schwer es bald werden könnte mit dem Überleben.

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