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Sport: Vor dem Abflug

Bei der Vierschanzentournee kämpft Bundestrainer Rohwein um seinen Job. Nachfolger stehen schon bereit

Der Kritiker sitzt im Kursaal im Haus Oberstdorf in der letzten Reihe und blickt angestrengt in seinen Computer. Dieter Thoma, Skisprung-Experte der ARD, sieht nur selten auf das Podium, denn dort sitzt der Mann, dessen Ablösung er, vorerst vergeblich, gefordert hat: Skisprung-Bundestrainer Peter Rohwein. Das Verhältnis der beiden ist seitdem abgekühlt. „Wir werden nicht zusammen in den Urlaub fahren“, sagt Peter Rohwein, öffentlich mit ihm streiten aber will der brave Bundestrainer auch nicht. „Ich wende meine Energie für sinnvollere Dinge auf.“

Seit 2004 ist Rohwein deutscher Bundestrainer im Skispringen, seitdem wurde er eigentlich in jeder Saison kritisiert. Zumal er sich immer auch an den Erfolgen des am Heiligabend verstorbenen Bundestrainers Reinhard Heß messen lassen musste. Doch in dieser Saison steht der 45-Jährige tatsächlich unmittelbar vor seiner Ablösung. Thomas Pfüller, Sportdirektor des Deutschen Skiverbandes, hat ihm ein letztes Ultimatum gestellt: „Nach der Vierschanzentournee fällt die Entscheidung, das hängt natürlich auch von den Ergebnissen ab.“ Die Vorgabe für die Tournee, die am Sonntag in Oberstdorf startet, lautet: Ein deutscher Springer soll unter den ersten zehn der Gesamtwertung landen.

„Das wäre unter den gegebenen Umständen schon ein Erfolg“, sagt Peter Rohwein. Die Umstände sind: Zwei Springer, Georg Späth und Martin Schmitt, sind außer Form. Und zwei Springer, Michael Uhrmann (Fußbruch) und Michael Neumayer (Kreuzbandriss), sind vor dieser Saison von schweren Verletzungen genesen. Uhrmann kann sogar seinen Fuß nicht dauerhaft belasten, sonst schmerzt er wieder, selbst bei der Physiotherapie. Trotzdem ruhen auf ihm und Neumayer die bescheidenen deutschen Hoffnungen. Zuletzt in Engelberg sprang Uhrmann immerhin auf den sechsten Platz. Die Ergebnisse bei den übrigen Weltcupspringen dieser Saison sind nicht der Rede wert, oder vielleicht doch, weil sie so schlecht sind. „Wenn das unser Leistungsvermögen wäre, hätte ich schon längst zurücktreten müssen“, sagt Peter Rohwein.

Dem Bundestrainer ist es unangenehm, dass seinen verunsicherten Springern durch das Ultimatum eine weitere Last auferlegt worden ist. Als sie in Oberstdorf gefragt werden, wie sie damit umgehen, dass ihre nächsten Sprünge über das Schicksal des Bundestrainers entscheiden, stellt er sich schützend vor sie. „Es springt jeder für sich selbst und nicht für irgendwen“, antwortet Rohwein in diesen Momenten, „da oben auf dem Balken kann ihnen niemand helfen.“ Michael Uhrmann versucht immerhin, seinen Trainer zu verteidigen, allerdings tut er das nur halbherzig. „Wir haben selber in der Kritik gestanden, da wäre es leicht gewesen, Rohwein als Alibi zu verwenden.“ Das aber habe keiner getan, sagt Uhrmann, was für das deutsche Team spreche.

Ansonsten spricht nicht mehr viel für das deutsche Skisprung-Team. Die Misere ist tiefgreifend. Der Bundestrainer gibt die Kritik nach unten weiter, an die deutschen Stützpunkttrainer. „In Österreich kommt in jeder Saison ein Springer aus dem Nachwuchs raus“, sagt Peter Rohwein, „wenn ich von unten gefüttert werde mit Leuten, die unter die ersten 30 kommen können, dann kann ich damit arbeiten, aber bis dato haben wir das nicht bekommen.“ Angesichts der österreichischen Erfolge, deren Ursache er im Skiinternat Stams ausgemacht hat, fordert er auch in Deutschland eine Zentralisierung der Leistungsträger. Rohwein sagt: „Es wäre möglich, die Leistungszentren zusammenzuführen und an einem Strang zu ziehen.“

Der Vertrag des Trainers gilt eigentlich bis zu den Olympischen Spielen 2010 in Vancouver, doch er spürt, dass sich seine Nachfolger bereits positionieren. Der Österreicher Stefan Horngacher, der zurzeit den Stützpunkt Hinterzarten verantwortet, gilt als möglicher Kandidat. „Einige Trainer beobachten die Situation“, sagt Rohwein, der sich vorstellen kann, irgendwann wieder als Nachwuchstrainer zu arbeiten. Neben neuen Impulsen fehlen ihm vor allem sportliche Erfolge – doch dabei scheint ihn das Pech auch besonders zu verfolgen. In seine Amtszeit fällt nicht nur der unerwartete Rücktritt von Sven Hannawald. So sprang auch Michael Uhrmann bei den Olympischen Spielen in Turin als Vierter nur knapp an einer Einzelmedaille vorbei. Der Niederbayer zählte 2007 bei der Weltmeisterschaft in Sapporo sogar zu den Favoriten – und stürzte im Training so schwer, dass er sich einen Mittelfußbruch zuzog. „Das sind Stolpersteine, die immer wieder im Weg stehen, aber es kann nicht immer so weitergehen“, sagt Rohwein, „die Frage ist, ob man mir die Zeit gibt.“ Inklusive heute hat er zumindest noch neun Tage.

Skispringen im Fernsehen: Seite 31

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