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Zur Not geht’s auch ganz altmodisch. Sandro Wagner (links) ist bei Hertha BSC für die Verwertung hoher Bälle zuständig. Foto: AFP

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Vor dem Duell mit dem HSV: Hertha BSC und die holländische Schule

Acht Tore hat Hertha BSC in den ersten beiden Saisonspielen erzielt, so viele wie kein anderer der 18 Bundesligisten. Trainer Jos Luhukay erfreut sich an Herthas offensivem Potenzial – und am neu gewonnenen Spielraum.

Pierre-Michel Lasogga ist im Moment weit weg. Im wahren Sinne des Wortes. Der Stürmer von Hertha BSC, der sich Anfang des Monats ein Knochenmarködem im Sprungbein des linken Knöchels zugezogen hat, absolviert seine Reha zum größten Teil im Ruhrgebiet, im Dunstkreis seiner Familie. Ein großes Thema bei den Berlinern ist der absente Mittelstürmer im Moment nicht – was weniger an ihm liegt als am Erfolg der Mannschaft. Das Fehlen des Angreifers hat sich noch nicht nachteilig bemerkbar gemacht. „Wir haben nicht das Problem, dass wir offensiv nicht stark genug sind“, sagt Herthas Trainer Jos Luhukay.

Acht Tore hat Hertha BSC in den ersten beiden Saisonspielen erzielt, so viele wie kein anderer der 18 Bundesligisten. Damit war vor Saisonbeginn nicht unbedingt zu rechnen, nicht bei einem Aufsteiger, auch wenn Luhukay darauf verweist, dass seine Mannschaft schon in der vorigen Saison die meisten Tore geschossen hat. Stimmt, aber da spielte Hertha in der Zweiten Liga und war den Gegnern in der Regel deutlich überlegen. Das gilt seit der Rückkehr in die Bundesliga nur noch bedingt.

In der Zweiten Liga hatten es die Berliner meist mit Gegnern zu tun, die von Beginn an darauf bedacht waren, den Schaden so gering wie möglich zu halten: Sie zogen sich weit zurück, verbarrikadierten ihren eigenen Strafraum und spekulierten auf den goldenen Konter. Hertha hat sich damit oft schwer getan. In der Bundesliga hingegen findet die Mannschaft als Aufsteiger und damit vermeintlicher Außenseiter mehr Platz vor, trifft auf Gegner, die selbst aktiv sind und ihr den Raum lassen, den sie für ihr schnelles Umschaltspiel benötigen. „Wir haben offensiv eine gute Qualität“, sagt Luhukay, „wir haben Spieler, die Tempo mitbringen, vorbereiten, aber auch vollstrecken können.“

Das Offensivspiel ist Luhukay immer schon ein besonderes Anliegen gewesen. Es mag etwas mit seiner fußballerischen Sozialisation zu tun haben. In seiner holländischen Heimat gelten Wagemut und Schönheit mehr als das reine Ergebnis. Luhukay ist in dieser Frage alles andere als ein Fanatiker, aber man kann die holländische Schule auch bei ihm entdecken – wenn er etwa sagt, dass ihn die Punktausbeute im Moment nicht interessiere, „mein Interesse gilt vielmehr der Art und Weise, wie wir Fußball spielen“.

Feigheit im Spiel ist das Letzte, was man Luhukay vorwerfen kann. Als er Trainer bei Borussia Mönchengladbach war, lag seine Mannschaft einmal 0:2 bei Carl Zeiss Jena zurück. Luhukay wechselte einen Offensivspieler nach dem nächsten ein, ließ am Ende mit einer Zweierkette verteidigen – und holte tatsächlich noch einen Punkt. „Wir wollen nicht defensiv auftreten, passiv sein und abwarten“, sagt Herthas Trainer. „Wir wollen initiativ sein und offensiv agieren.“

Diese Haltung war auch am vergangenen Wochenende zu beobachten, bei Herthas Spiel in Nürnberg. Anstatt einen Punkt zu verteidigen, brachte Luhukay unmittelbar nach Herthas Ausgleich zum 1:1 mit Ronny und Sandro Wagner zwei neue Offensivkräfte. Er opferte einen defensiven Mittelfeldspieler, um das Spiel noch zu gewinnen. Jos Luhukay kann ohne größere Probleme vom standardisierten 4-2-3-1- System auf ein 4-1-4-1 umstellen; und in höchster Not ist auch die archaische Variante „Alle Bälle hoch in den Strafraum“ mit Wagner als Zielspieler möglich. Insgesamt besitzt Hertha durch das vorhandene Personal verschiedene Optionen, gerade im Offensivspiel.

Mut und Übermut liegen oft dicht beieinander; bei Luhukay aber ist das Risiko ein kalkuliertes. Offensivgeist erlaubt er seiner Mannschaft nur aus dem Gefühl einer starken Defensive heraus, und die offensiven Wechsel in Nürnberg nahm er vor, weil das Spiel ihm das Gefühl gab, Hertha sei am Drücker. Das heißt nicht zwingend, dass das 4-1-4-1 künftig zum Standard wird. Aber würde sich dieses System, mit Ronny als zusätzlichem Spielmacher neben Alexander Baumjohann, nicht gerade heute im Heimspiel gegen den Hamburger SV anbieten? Gegen eine Mannschaft, die nach dem 1:5 gegen Hoffenheim am vergangenen Wochenende mutmaßlich tief verunsichert ist? Die bereits acht Gegentore kassiert hat und daher zunächst auf defensive Stabilität bedacht sein dürfte? Jos Luhukay sagt, dass es „natürlich eine Überlegung“ sei, Ronny zum ersten Mal in der Startelf aufzubieten. „Aber wir haben bis jetzt eine gute Balance gefunden, auch ohne Ronny.“

Und Ronny für alle Fälle noch auf der Bank zu haben ist auch nicht unbedingt von Nachteil.

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