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Der Star. Auf Christian Eriksens Schultern wiegt der ganze Druck des dänischen Fußballs.

© dpa

Vor dem WM-Achtelfinale gegen Kroatien: Spätzünder Christian Eriksen ist Dänemarks Messi

Christian Eriksen hat sich in Tottenham zum Weltstar entwickelt. Im Nationaltrikot soll er nun auch das legendäre Danish Dynamite neu beleben.

Die dänische Nationalmannschaft leide unter einem „Messi-Syndrom“, behauptete der frühere Auswahlspieler Stig Töfting vergangene Woche in seiner Zeitungskolumne. Wie die Argentinier erwarten die Dänen von einem Spieler, dass er das ganze Team auf seinen schlanken Schultern zum Erfolg trägt. Der dänische Messi heißt Christian Eriksen.

Am Sonntagabend (20 Uhr/ZDF) bestreitet Dänemark zum ersten Mal seit 2002 ein WM-Achtelfinale. Wie 2002 dürfte das Team eigentlich in dieser Runde ausscheiden, denn gegen Kroatien sind die Dänen krasse Außenseiter. Aber wer einen Christian Eriksen hat, hat auch einen Funken Hoffnung. Seitdem er 2013 zu Tottenham Hotspur in die Premier League wechselte, ist Eriksen zum Weltstar gereift. Mit Eleganz, Spielintelligenz und genialer Technik hat er am unaufhaltsamen Aufstieg der Spurs mitgewirkt.

Vergleich mit De Bruyne und Silva

Sein Vereinstrainer Mauricio Pochettino vergleicht ihn bereits mit Kevin De Bruyne oder David Silva. „Ein Spieler wie Christian, der laufen, kämpfen, aber auch Fußball spielen kann, hat einen unglaublichen Wert für die Mannschaft“, sagte Pochettino. In der Nationalmannschaft, wo seine Mitspieler nicht Harry Kane und Heung-Min Son heißen, hat Eriksen einen noch höheren Wert. Bei dieser WM ist er von seinem Topniveau immer noch weit entfernt, und trotzdem hat er eine entscheidende Rolle gespielt. Zwei Tore genügten Dänemark zum Weiterkommen. Das erste gegen Peru leitete Eriksen ein, das zweite gegen Australien schoss er selbst.

Wenn Dänemark mehr erreichen will, muss sich Eriksen aber noch steigern. Vor dem Spiel gegen Kroatien ist deshalb nur die Rede davon, wie Trainer und Mitspieler das Beste aus ihrem 26 Jahre alten Superstar herausholen können. „Natürlich wollen wir, dass Christian auf der großen Bühne aufblüht, aber er kann nicht immer alles alleine machen“, sagte Trainer Age Hareide. „Wir müssen ihm bessere Arbeitsbedingungen geben.“ Es gehe vor allem darum, für Eriksen mehr Platz in der Offensive zu schaffen, sagte Hareide.

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Bisher hat Dänemark auf eine solide Abwehr gesetzt, für den Zauberer Eriksen sind das alles andere als perfekte Bedingungen. Trotzdem hat er sich nicht beschwert, sondern seine defensiven Aufgaben fleißig miterledigt. So ist er eben, der nette Junge aus Middelfart, einer kleinen Stadt auf der Insel Fünen. In den vergangenen Monaten strömten Sportjournalisten aus aller Welt in den 15 000-Einwohner-Ort, um Eriksens Wurzeln aufzudecken. Fast jeder von ihnen begegnete dabei einem freundlichen Sportlehrer namens Kim Frank Petersen, der nur allzu gerne von seinem alten Schüler erzählte.

Angebot vom FC Chelsea früh abgelehnt

„Er war ein bescheidener Junge“, sagte Petersen der britischen Zeitung „Independent“. „Er wusste schon, wie gut er war, aber er musste es niemandem erzählen.“ Lange galt diese Bescheidenheit als Schwäche. Eriksens Talent wurde schon sehr früh erkannt, viele haben damit gerechnet, dass er schon als Teenager zu einem Spitzenklub wechseln würde. Mit 15 Jahren lehnte der Mittelfeldspieler ein Angebot vom FC Chelsea ab. Stattdessen wechselte er zu Ajax Amsterdam, wo er, trotz angeblicher Anfragen aus Barcelona, Manchester und Madrid, bis 2013 auch blieb.

Als er dann endlich in die Premier League wechselte, entschied er sich für Tottenham Hotspur. Was damals viele Experten überraschte, erwies sich letztlich als weitsichtig. Eriksen entwickelte sich an der White Hart Lane zum Weltstar, Tottenham mit ihm zum Weltklub. Pochettinos Spitzname für Eriksen ist „Golazo“, in Anspielung auf seine wunderbaren Fernschüsse und Freistöße. Seine Klasse ist aber viel umfassender. Theoretisch spielt er auf der Acht, aber für Tottenham und Dänemark taucht er überall auf: links, rechts, auf der Sechs und auf der Zehn.

Das Duell. Auf Dänemarks Eriksen und Kroatiens Modric wird es ankommen.
Das Duell. Auf Dänemarks Eriksen und Kroatiens Modric wird es ankommen.

© AFP

Seine aufrechte Körperhaltung und der lässige Gang lassen ihn altmodisch wirken, wie seine Helden: Francesco Totti, Michael Laudrup. Vergleiche mit Laudrup sind unvermeidbar. Eriksen ist schließlich das größte Talent, das sein Land seit den Gebrüdern Laudrup produzieren konnte. Der Anspruch, das Nationalteam ähnlich zu verzaubern wie einst Brian und Michael, war oft auch eine Last. Nicht immer konnte er sein riesiges Talent zeigen. Oft verschwand er, und erntete dafür eine Menge Kritik. „Eriksen ist schuld, weil er das Spiel nicht kontrolliert hat,“ sagte der damalige Nationaltrainer Morten Olsen 2014 nach einer 0:1-Niederlage gegen Portugal.

Olsens Abschied: Für Eriksen ein Segen

Erst unter Hareide konnte Eriksen für Dänemark wirklich glänzen, zum Beispiel als er im vergangenen November sein Team mit drei Toren beim 5:1 in Irland zur WM schoss. Dass er unter dem eher pragmatischen Hareide mehr Erfolg hat als unter dem spielfreudigen Olsen erscheint zunächst merkwürdig. Aber gerade wegen seines Pragmatismus’ stellt Hareide ihn mehr in den Vordergrund. Als der Publikumsliebling Olsen nach 16 Jahren hinwarf, waren viele in Dänemark enttäuscht, für Eriksen aber war es ein Segen.

Auch Michael Laudrup hat einmal einen ähnlichen Trainerwechsel erlebt. 1990 war der beliebte Sepp Piontek nach elf Jahren „Danish Dynamite“ plötzlich weg. Nach einer chaotischen Übergangsperiode wurde er durch den drögen Richard Möller Nielsen ersetzt. Laudrup kam mit Möller Nielsen nicht klar, und trat aus der Nationalelf zurück. Ohne ihn wurde Dänemark 1992 sensationell Europameister. Dieses Mal können der glänzende Spielmacher und der unpopuläre Trainer gut miteinander. Auch deshalb wird ein neues dänisches Wunder nur mit Eriksen möglich sein.

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