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Entscheidend ist vor dem Spiel: Die brasilianischen Ureinwohner wollen verhindern, dass das ehemalige Museo do Indio abgerissen wird.

© AFP

Vor der Fußball-WM in Brasilien: Mit Kriegsbemalung gegen Schlagstöcke

In Rio de Janeiro tobt ein Streit rund um das Maracana-Stadion. Das angrenzende Museo do Indio soll im Zuge des Stadionneubaus einem Parkplatz weichen. Die ersten Verlierer des Konflikts stehen bereits fest.

Die Szene hat etwas Absurdes. Zwei Dutzend brasilianische Militärpolizisten mit schusssicheren Westen, Schrotflinten und Schlagstöcken stehen drohend vor halbnackten Indianern mit buntem Federschmuck. Rundherum Journalisten, Aktivisten und Lokalpolitiker, die erregt Interviews geben. Irgendwann tritt der Anführer der Indianer vor die Presse. Carlos Tucano, ein gedrungener Mann Anfang 50, scheint zu weinen, aber es ist nur der Nieselregen, der ihm übers Gesicht läuft und seine rote Kriegsbemalung verwischt. Tucanos Botschaft, in gebrochenem Portugiesisch vorgetragen, ist kämpferisch, aber nicht aggressiv: „Die Polizisten sind bis an die Zähne bewaffnet, aber wir werden uns nicht auf eine Konfrontation einlassen. Wir bringen alles in die Diskussion ein, was wir haben: unsere Leben.“

Am Abend, nach stundenlanger Belagerung, ziehen die Polizisten unter den Gesängen der Indianer wieder ab. Der Gerichtsbeschluss zur Attacke ist nicht gekommen. Angerückt waren sie, um das Museu do Indio in Rio de Janeiro zu räumen. Das Museum ist ein hochgeschossener und imposanter Bau aus dem Jahr 1862. Um ihn tobt derzeit ein Konflikt, wie er bezeichnender für das Rio dieser Tage nicht sein könnte. Drei Jahrzehnte lang interessierte sich niemand für das Museu do Indio, es stand leer und vergammelte. 2006 zogen dann 23 Familien der indigenen Ethnien Guajajara, Apurina, Fulni-o, Kaingang und Guarani auf das Gelände, viele von ihnen Kunsthandwerker. Nun sollen sie gegen ihren Willen verschwinden. Denn die Regierung möchte das Haus dem Erdboden gleich machen. Es befindet sich unmittelbar neben dem Maracana-Stadion und damit in einer der begehrtesten Lagen Rio de Janeiros. In dem Stadion werden die Olympischen Spiele 2016 und das Endspiel der Fußball-WM 2014 stattfinden.

Das Grundstück, um das es geht, gehört dem Bundesstaat Rio de Janeiro. Dessen Gouverneur Sergio Cabral ordnete vergangenes Jahr den Abriss des Gebäudes an. Die Entscheidung war mit seinem Parteifreund Eduardo Paes abgestimmt, dem Bürgermeister von Rio. Sie argumentierten, dass der Zugang zum Stadion vereinfacht werden solle. Nun begann eine öffentlich Diskussion, die im Empfinden vieler eigentlich vor der Abrissentscheidung geführt hätte werden müssen. Die Gegner argumentierten, dass das Maracana-Stadion schon 1950, kurz nach seiner Fertigstellung, 200.000 Menschen empfangen hatte, ohne dass das Haus gestört hätte. Und auch in den folgenden 62 Jahren beschwerte sich keiner der Millionen von Fans, die in das Stadion strömten. Cabral schob nun die Fifa vor: Sie hätte den Abriss verlangt. Doch die Fifa dementierte. Daraufhin sagte Cabral: „Wir haben das Grundstück gekauft. Die Indianer sind das Problem der Funai. Das Museum hat keinen historischen Wert.“ Letzteres kann nur jemand behaupten, der Brasilien ohne seine Ureinwohner definiert.

Die Funai ist die staatliche brasilianische Indianerbehörde Fundaçao Nacional do Indio. Sie war bis 1978 im Indianermuseum untergebracht, in dem bereits ihre Vorgängerorganisation residierte. Der Indianerschutzdienst war 1910 von dem legendären Abenteurer Candido Rondon gegründet worden. 1961 wurde dann unter dem Dach des Museums die Einrichtung des ersten brasilianischen Nationalparks „Xingu“ beschlossen. Nach Cabrals geschichtsvergessener Bemerkung solidarisierten sich linke Aktivisten, Historiker und Denkmalschützer mit den etwa 60 Indianern und ihrer Aldeia Maracana – dem Maracana-Dorf. Sie forderten das Ende des Ausverkaufs von Rio. Es entstand ein Besetzercamp.

Zehn-Tage-Frist zum Räumen: Der Regierung rennt die Zeit davon

Wenige Tage nach der Polizeibelagerung stehen im Inneren des verfallenen Gebäudes Zelte auf dem verkratzten Kachelboden. Junge Leute sitzen an Computern, um per Facebook über die Situation zu informieren. In einem riesigen Raum porträtiert ein Fotograf die Indianer mit Pfeil und Bogen. Er arbeite an einem Buch über die Vertriebenen von Rio, sagt er. An den grünen Wänden kleben historische Fotos und prangen Durchhalteparolen: „Man bringt ein Volk um, indem man ihm seine Kultur raubt.“

Auf einem Treppenaufgang sitzt Garapira Pataxo mit prächtigem Federschmuck. Der Kunsthandwerker stammt aus Bahia, im Gesicht trägt er eine wilde Bemalung. In der Rechten hält der 37-Jährige ein Smartphone, in der Linken den Schlüssel seines Renault. Er sagt: „Wohin sollen wir in Rio gehen? Die Stadt ist sehr teuer geworden. Hier ist unser Platz. Wir möchten den Besuchern der WM unsere Kunst verkaufen.“ Widerstand gegen den Abriss kommt nun auch aus den staatlichen Institutionen. Zwei Denkmalschutzbehörden opponieren gegen den Beschluss, sie fühlen sich übergangen. Nun prüft die Unesco, ob das Museum nicht Teil des Weltkulturerbes sei, als das sie Rio „zwischen Bergen und Meer“ ziemlich schwammig deklariert hat.

Die Landesregierung von Rio de Janeiro scheint das bisher nicht zu beeindrucken. Die Gelder für den Abriss des Indianermuseums sind bereits bewilligt worden. Den Besetzern um Häuptling Tucano wurde vergangenen Freitag der Räumungsbeschluss mit einer zehntägigen Frist zum Verlassen des Geländes zugestellt. Der Regierung rennt offenbar die Zeit davon. Die Brasilianer müssen das Maracana-Stadion am 28. Mai der Fifa übergeben, bereits für den 2. Juni ist das Einweihungsspiel gegen England geplant. Und am 15. Juni startet in Brasilien der Confederations-Cup.

Anstelle des Indianermuseums soll ein Parkplatz entstehen. Dieser könnte nicht nur dem Maracana, sondern auch einem Shoppingcenter dienen, das der reichste Mann Brasiliens, Eike Batista, möglicherweise neben dem Stadion plant. Batista und Gouverneur Cabral sind Freunde. Der Unternehmer lieh dem Politiker schon sein Privatflugzeug. Derselbe Batista konkurriert auch um den Betrieb des Maracana-Stadions. Es wird wie andere brasilianische Stadien nach seiner Fertigstellung privatisiert. Den Umbau des Stadions finanzieren die Steuerzahler mit umgerechnet rund 350 Millionen Euro, der neue Betreiber erhält es dann für 2,5 Millionen Euro im Jahr – viel zu wenig, wie Kritiker monieren. Allerdings ermittelt bereits die Justiz gegen die Ausschreibungsbedingungen. Die Machbarkeitsstudie wurde von Batistas Firma IMX besorgt, die nun die besten Chancen auf die Übernahme des Stadions hat.

Die ersten Verlierer des Konflikts stehen bereits fest: Zwei Arbeiter von der Maracana-Baustelle solidarisierten sich spontan mit den Indianern. Als sie zu ihrer Arbeit zurückkehren wollten, wurden sie entlassen.

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