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Vorabdruck: Ali macht den Dreck weg

Playback-Geiger, Guildo Horn und die Putzlegende: Szenen einer Inszenierung / Von Clemens Meyer

Aufwachen. Erste Frage: Wo bin ich? München, Hotel Mariandl. Was war los? Blöde Frage, und wenn ich’s nicht mehr wissen würde, nach dieser Nacht, neben meinem Bett liegt eine Zeitung: MASKE DIE ANGST SEINER FRAU VOR DEM KAMPF.

Ich geb’s ja zu, das Zeitungscover war von mir inszeniert. Aber was ist das nicht an diesem Kampf?

Einer hat auf jeden Fall Gewinn gemacht, mein alter Freund UKG, Betreiber einer Galerie in Leipzig. Er hat vor unserer Fahrt nach München hundert auf Maske gesetzt, Quote eins zu drei Komma acht. Ich hätte ja das Doppelte auf Hill gesetzt (Quote maximal eins zu eins Komma drei), aber im Regierungsbezirk München ist das Wettgeschäft mal wieder gesetzlich eingeschränkt, und die Wettbüros, die nicht schließen mussten, bieten diese Eventwette nicht an. Danke München. Aber Wetten wollt’ ich trotzdem, und alte Gäule liefen in Dortmund auf der Rennbahn. Also statt zweihundert auf Hill fünfzig auf Holga, relativer Außenseiter, viertes Rennen, auf Platz. Holga gibt mächtig Zunder, reicht ja, wenn sie Dritter wird, aber Holga bricht auf der Schlussgeraden ein. Verdammt!

Im Internet kann man auf den Kampf setzen, sagt UKG, setz doch auf Maske, der hat bessere Quoten als Holga, der Maske ist ’n alter Offizier und hält sein Wort! AUS ANGST VOR HILL-PRÜGEL: TV-VERBOT FÜR MASKES TÖCHTER. Aber ich will nicht ins Internetcafé und glaube auch nicht, dass der Maske seinen Worten Taten undsoweiter, und setze auf ein Pferd im fünften Rennen, Riesenquote und verliere wieder. München ist (eigentlich liefen sie ja in Dortmund) kein gutes Pflaster für Außenseiter.

Wer macht eigentlich den Dreck weg? Und – verdammt nochmal – was ist das für eine Kette um meinen Hals?

Sprünge, Sprünge, Sprünge, Sie müssen mich verstehen, MEINE DAMEN UND HERRRREN, let’s get ready to rumble. Ali macht übrigens den Dreck weg.

Aber erst am Montag, wenn der Ring und der Vip-Bereich abgebaut ist und die Olympiahalle wieder sehr leer und still ist. Die Kette um meinen Hals ist eine Presseakkreditierung an einem schicken goldenen Band. Und mit dieser Kette verschaffe ich mir Zugang zur Putzkammer in der Olympiahalle (hätte ich das ohne auch geschafft?). Also: Herrmann & Schmidt, seit 1905, „Sauberkeit mit System“. Die Putzkammer ist einer der wenigen Orte, zu dem ich mit meiner schicken Kette Zugang habe. Innenraum für Presse gesperrt, Garderobe gesperrt, Catering auch, Boxring sowieso. Vip-Raum? Nein. Tribüne? Aber nicht doch. Sprünge, Sprünge, Sprünge, MEINE DAMEN UND HERRREN, THE BOXING LEGEND.

Also der Ali. Mit fünf Kollegen sitzt er in der Putzkammer auf Abruf bereit. Falls jemand Dreck macht in dieser langen, langen Nacht. Putzer Ali war auch schon 1996 beim ersten Maske-Hill-Kampf dabei, time to say goodbye. „Nee, da war der Zirkus nicht ganz so groß, schon allein die Vips jetzt“ (machen jede Menge Dreck, will er wohl sagen). Aber die Vips darf ich ja nicht sehen, nur den Guildo Horn hab ich beim Einlaufen beobachtet, hatte eine hübsche Blonde dabei, aber hallo! hab ich gedacht und gerufen, „Meister“, hab ich gerufen, aber er hat’s nicht gehört. Also der Ali ist seit über dreißig Jahren dabei, hat schon beim Ali die Arbeit gemacht, irgendwann in den Siebzigern, „Ali in München?“, frage ich, und er kratzt sich am Kopf und sagt: „Ja, gegen irgend’nen Ungarn.“ – „Nachprüfen“, notiere ich auf meinen Zettel.

„Drinajs Birne leuchtet“, steht auch auf meinem Zettel. Drinaj, Drinaj, überlege ich, das war in einem der Vorkämpfe. Da sehe ich ihn wieder vor mir, Drinajs leuchtenden Kopf, rot geprügelt vom Nachwuchstalent Oliver Güttel aus meiner Stadt, aus Leipzig, MEINE DAMEN UND HERRRREN. Güttel war aufgeregt, große Kulisse, das hat man gesehen, bisschen verkrampft, aber talentiert, und Drinajs Birne … Ja, und dann hat’s noch richtig geleuchtet: Maske gegen Hill.

Oder war’s zappenduster? Ja, der alte Offizier hat sein Wort gehalten. Da stand die Halle. Da könnt ich jetzt viel schreiben, war’n Scheiß-Kampf und so weiter, der Hill hat mich enttäuscht, der Maske hat nach zehn Jahren … Respekt, war’n Scheiß-Kampf. Hatte ich nicht sogar den Hill knapp vorne? „Nachprüfen“, steht auf meinem Zettel, aber darum ging’s ja nicht, wir wollen Träume, Märchen und Legenden. „The impossible dream“ sang Sarah Connor, oh nein, bitte kein Pathos. Und ja, da stand ein Playback-Orchester, die Playback-Streicher, Playback-Kontrabassspieler in Kostümen, mit goldenem Schals wie Zeugen Jehovas – und Winkelemente für die zahlenden Zuschauer und und und. Alles vergessen und vergeben. Alle Versprechen gehalten … ein Offizier steht zu seinem ... Respekt.

Den Ali hab ich übrigens wieder gesehen. Im legendären Münchner „Sportcafé Schiller“ an der Wand. Und mein alter Freund UKG hat mir alles bezahlt.

Clemens Meyer ist Schriftsteller in Leipzig. In seinem Bestseller „Als wir träumten“ beschrieb er boxende Jugendliche. Für den Tagesspiegel ist er nach München zum Comeback von Henry Maske gefahren.

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