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Sport: Vorwärts in die Defensive

In Dortmund ist die Finanznot so groß, dass Rosicky wohl verkauft werden muss

Dortmund. Matthias Sammer saß am Rande des Trainingsgeländes. Und er sollte unbequeme Fragen beantworten. Vor allem die, wie denn kurzfristig ein Verlust von Tomas Rosicky zu kompensieren sei. Sammer wich aus. Er deutete auf den trist-trüben Himmel über dem Kohlenpott und sagte nur: „Schönes Wetter heute, oder?“

Der 36-jährige Trainer des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund flüchtet sich dieser Tage häufiger in Sarkasmus. Auch er muss den Realitäten ins Auge schauen. Seine Mannschaft hat die Champions League verpasst, ist im Uefa-Cup und im DFB-Pokal vorzeitig rausgeflogen und steht in der Bundesliga nur auf Platz sechs. Die Mannschaft ist sündhaft teuer, die Finanzlage der Borussia angespannt. Was liegt also näher, als Mittelfeldstar Tomas Rosicky zu verkaufen? Es gibt Angebote. Das beste wohl vom FC Chelsea. Der russische Öl-Milliardär Roman Abramowitsch hat dem Londoner Klub bereits für 160 Millionen Euro neue Spieler geholt, da kommt es auf ein paar Millionen mehr auch nicht an. Bei 30 Millionen Euro soll das Gebot des FC Chelsea für Rosicky aktuell stehen. Eine Summe, bei der die Dortmunder weich werden könnten. Ingo Süßmilch, Analyst der WGZ-Bank, die beim Börsengang der Borussia im Herbst 2000 maßgeblich Hilfestellung gegeben hat, stellt im Magazin „GQ“ fest: „Seit Jahren arbeitet Dortmund an der Liquiditätsgrenze. Dortmund finanziert seine Gegenwart mit den erwarteten Einnahmen der Zukunft.“ Die Hypovereinsbank hat just eine Schätzung veröffentlicht, nach der beim BVB im laufenden Geschäftsjahr ein Verlust von 44,8 Millionen Euro anfallen wird, bei einem Umsatzrückgang von knapp über 30 Prozent.

Rosickys Verkauf würde die wirtschaftliche Lage etwas freundlicher gestalten. Der Tscheche seinerseits spricht von einer „bevorstehenden schweren Entscheidung“. Für ihn ist alles ohnehin nur noch Verhandlungssache. „Ob der Wechsel zustande kommt, entscheiden jetzt allein die Vereine.“ Noch im Laufe dieser Woche wollen Vertreter des FC Chelsea in Dortmund die Verhandlungen aufnehmen. „Uns liegt kein Angebot für Rosicky vor“, kann BVB-Präsident Gerd Niebaum derzeit noch behaupten – wohl wissend, dass sich diese Sachlage sehr bald ändern kann. Zumal nach Angaben der spanischen Sportzeitung „As“ auch der FC Barcelona um Rosicky wirbt. „In Spanien zu spielen, wäre ein Traum für mich“, soll Rosicky – laut „As“ – das Interesse von „Barca“ sehr wohlwollend kommentiert haben.

Als Tomas Rosicky vor drei Jahren für rund 28 Millionen Mark Ablöse von Sparta Prag nach Dortmund kam, erschien das der Borussia wie die Prophezeiung, auf lange Sicht in einer Liga mit Real Madrid, Manchester United und dem AC Mailand mitspielen zu können. Uli Hoeneß vom FC Bayern hatte seinerzeit um den heute 23-Jährigen mitgeboten, kapitulierte aber irgendwann angesichts des stetig steigenden Preises. Geld spielte damals für den BVB offenbar noch keine Rolle. Peter-Thilo Hasler von der Hypovereinsbank behauptet indes in einer Studie, dass der Verein schon vor seinem Börsengang mit über 70 Millionen Euro Schulden belastet gewesen sein soll. Der Börsengang, der 130 Millionen Euro in die Kasse brachte, war demnach nichts weiter als die dringend erforderliche Rettung vor dem Konkurs.

Mittlerweile schraubt der BVB seine Ansprüche zurück. Trainer Sammer hat im Trainingslager im spanischen Marbella gesagt, er habe „überhaupt kein Problem damit, notfalls eine junge Mannschaft ohne Stars zu trainieren“. Allerdings müsse dann „die Zielsetzung eine andere sein“. Borussia Dortmund, angetreten, dem FC Bayern den Rang abzulaufen, müsste sich mittelfristig von großen Zielen wie Meisterschaft oder Champions League verabschieden. Konsolidierung im Mittelfeld der Liga wäre fortan das Ziel.

Dabei könnten sich auch die Kräfteverhältnisse im Revier verschieben. Während der Rivale Schalke 04 seinen Kader mit hohem finanziellen Aufwand aufpäppelt, muss sich der Anhang der Schwarz-Gelben auf magere Jahre einstellen. Der zahlende Kunde der Borussia behält dennoch die Ruhe. Selbst der bevorstehende Transfer von Rosicky löst keinen Sturm der Entrüstung aus. Zu alarmierend waren wohl die seit Wochen kursierenden Berichte über Millionenschulden und Misswirtschaft, was die Dringlichkeit eines solchen Deals vermittelbar macht. Zumindest Manager Michael Meier sorgt sich nicht um einen Bruch mit der Anhängerschaft. „In der Vergangenheit konnten wir oft auf eine gemeinsame Linie zusteuern“, sagt er.

Und Matthias Sammer fordert im Moment ohnehin nur eines: „Klarheit – und zwar möglichst schnell, so oder so.“

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