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Sport: Wandel zur rechten Zeit

Hertha ist in der entscheidenden Phase dort stark, wo sie anfangs schwach war: im Olympiastadion

Berlin. Dieter Hoeneß stoppte auf der noch nicht fertig gestellten Tribüne in seiner Begeisterung gerade noch rechtzeitig vor einer provisorischen Absperrung, später tanzte er auf dem Rasen mit dem Maskottchen Herthinho. Und er vergaß nicht, den jubelnden Fans seinen Dank abzustatten. „Es freut mich riesig, dass die Zuschauer für ihre Treue belohnt werden“, sagte der Manager nach dem beeindruckenden 6:2 gegen die Borussia aus Dortmund. Belohnt durch eine Topleistung des Berliner Fußball-Bundesligisten Hertha BSC in jener Arena, die in dieser Saison so erschreckende Spiele gesehen hatte. Und in der es am Samstag zum dritten Mal in Folge einen Hertha-Sieg gab.

Noch vor Wochen beklagten die Verantwortlichen die miserable Heimbilanz. In der Hinrunde hatte Hertha bei einem Torverhältnis von 8:16 gerade mal sechs von 24 möglichen Punkten geholt. Von einer Blockade im Kopf sprachen die einen, von mangelnder spielerischer Substanz die anderen. Für Huub Stevens, den glücklosen Trainer, waren die Auftritte im Olympiastadion immer mehr zum Spießrutenlaufen geworden. Der ganze Frust entlud sich, oft schon vor dem Anpfiff, über ihm, und die verunsicherten Spieler boten eine bemitleidenswerte Darstellung nach der anderen.

Nun, da der Absturz in die Zweitklassigkeit droht, ist alles ganz anders. „Wir haben die letzten Heimspiele souverän gewonnen, und die Mannschaft hat gezeigt, dass sie eine gewisse Qualität hat“, sagt Hoeneß. Die Angst vor dem Versagen scheint aus den Köpfen raus zu sein. Sicher, die Dortmunder haben Hertha mit ihren eklatanten Fehlern in der Abwehr vor einem indiskutablen Torhüter Guillaume Warmuz stark gemacht. Doch in früheren Wochen hätten die Herthaner selbst daraus kein Kapital geschlagen.

Dabei können sich die Spieler den Wandel selbst nur schwer erklären. „Die Ergebnisse in den Spielen gegen Kaiserslautern und Dortmund waren zwar klar, doch beide Spiele standen auf der Kippe“, sagt Andreas Neuendorf, am Samstag unter den erfolgreichen Schützen beim unerwarteten Torfestival. Arne Friedrich, der Mannschaftskapitän, hatte dagegen „zu keinem Zeitpunkt des Spiels Angst, dass wir verlieren könnten“.

Für Christian Fiedler und Roberto Pinto ist die geänderte Erwartung der Mannschaft und der Zuschauer ein Grund dafür, dass Hertha heute mit viel breiterer Brust auftritt. „Jeder weiß jetzt, worauf es ankommt. Da kann sich keiner mehr hinter Alibi-Fußball verstecken“, sagt Fiedler. Und Pinto fügt hinzu: „Am Saisonanfang haben wir uns und unseren Anhängern mit dem Gerede von der Champions League Sand in die Augen gestreut. Jetzt wissen alle, dass es nur gegen den Abstieg geht.“ Das mache es für Spieler und Zuschauer leichter. So richtig freuen kann sich Pinto, der in der Rückrunde mit zwei Toren bessere Voraussetzungen für eine Vertragsverlängerung geschaffen zu haben schien, dennoch nicht. „Mit mir hat noch niemand geredet. Ich gehe davon aus, dass ich in der nächsten Saison bei einem anderen Verein spielen werde“, sagt der Portugiese.

Natürlich sind auch die imposanten Kulissen mit den euphorischen Fans eine große Rückenstärkung. Während die Dortmunder Anhänger anfangs höhnten „Zweite Liga, Hertha ist dabei“ und dann früh ihre Fahnen einrollten, standen die Hertha-Fans voll hinter ihrer Mannschaft. 56 300 waren im Olympiastadion, 45 300 sahen das Spiel gegen Kaiserslautern. Und sollte es am letzten Spieltag gegen den 1. FC Köln noch um alles gehen, wäre das Stadion sicher ausverkauft.

Aber vielleicht macht Hertha schon vorher alles klar, dann nicht in einem Heimspiel, sondern am Samstag im Münchener Olympiastadion gegen den TSV 1860. Nach der gestrigen 0:3-Niederlage der Münchner bei Hansa Rostock würde den Berlinern schon ein Unentschieden reichen. Der Vorstand der Sechziger hat schon mal seine Verwunderung darüber geäußert, dass sein kürzlich entlassener Trainer Falko Götz gesagt hatte, er werde an seiner bald alten, neuen Arbeitsstätte Hans Meyer „Fragen über den TSV 1860 München beantworten“, sofern Meyer sie stellen werde. In der Fußballstadt München scheint die Verunsicherung noch längst nicht vorbei zu sein.

Klaus Rocca

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