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Volle Bude: So wird die Dortmunder Arena erst einmal nicht aussehen.

© Kirchner-Media/Imago

Wann können Fans zurück in die Stadien?: „80.000 in Dortmund halte ich für nahezu ausgeschlossen“

Der Profifußball will schnell wieder Publikum in die Stadien lassen. Doch das birgt große Gefahren, warnt der Sportmediziner Fritz Sörgel.

Es ist bei dem Pharmakologen Fritz Sörgel gute Tradition, dass er einmal im Jahr im Garten des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg ein Benefizkonzert veranstaltet. Es kommen dann bis zu 600 Menschen und die Einnahmen gehen an eine Onkologie.

Nur dieses Jahr ist alles ein bisschen anders. Das Geld geht an die Familie eines Babys, dessen Mutter vier Wochen nach der Geburt an den Folgen des Coronavirus gestorben ist. Auch werden nicht so viele Leute kommen können, nur 200 wegen des Infektionsschutzes vor dem heimtückischen Virus. „Damit müssen Veranstalter jetzt eben leben“, sagt Sörgel.

Aber die Veranstalter wollen immer weniger damit leben, besonders im Sport. So hat auch der renommierte Forscher Sörgel die Bilder aus diversen Fußballstadien Europas gesehen, in denen sich die Fans nach einem Tor in den Armen liegen und zusammen feiern. „Das geht natürlich gar nicht“, sagt Sörgel. Der 69-Jährige beschäftigt sich in diesen Wochen intensiv mit der Frage, wie der Sport, speziell der Fußball, am besten mit der Coronavirus-Pandemie umgehen sollte.

Im Gegensatz zum deutschen Profifußball, wo im Moment sämtliche Spiele vor leeren Zuschauerrängen stattfinden, ist etwa in Serbien, Ungarn oder Dänemark eine begrenzte Anzahl an Fans wieder erlaubt. Auch Frankreich will schon ab 11. Juli die Tore für bis zu 5000 Zuschauer wieder öffnen. Und es war so klar wie das Amen in der Kirche, dass auch hierzulande die Rufe nach einer Wiederzulassung von Fans laut werden würden. Diese Forderung kam von verschiedenen Klubvertretern, aber auch von Politikern wie etwa dem Bundesinnenminister Horst Seehofer.

Der DFB will für das Pokalfinale 5000 Anhänger pro Verein ins Stadion lassen

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) wurde schon etwas konkreter und beantragte für das Pokalfinale am 4. Juli in Berlin, je Klub 5000 Anhänger zuzulassen. Doch der Berliner Senat lehnte dies ab. „Die aktuelle Verfügungslage in Berlin besagt, dass bis zum 30. August 2020 in der Hauptstadt Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Personen untersagt sind“, hieß es auf der DFB-Homepage.

Die Argumente für das Ende der Geisterspiele liegen auf der Hand: Fußball ohne Fans macht nicht einmal halb so viel Spaß. Er wirkt leblos – und ist damit schlecht fürs Geschäft. Deshalb hat die Deutsche Fußball Liga (DFL) bei ihrer Mitgliederversammlung am Montag noch einmal deutlich gemacht, dass der anvisierte Beginn der neuen Saison im September möglichst mit Zuschauern erfolgen soll. „Wir versuchen, dafür die Rahmenbedingungen zu schaffen“, sagte DFL-Geschäftsführer Christian Seifert.

Auch der Wissenschaftler und Fußballfan Sörgel ist einer Zulassung von Besuchern nicht komplett abgeneigt. Grundsätzlich könne man schon anfangen, behutsam Zuschauer wieder ins Stadion zu lassen, sagt er dem Tagesspiegel. „Dann kann man auch Erfahrungswerte sammeln.“

Sörgel hat zum Beispiel schon ein paar Mal das hiesige Berliner Olympiastadion besucht. Eine konservative Herangehensweise wäre, hier etwa 15.000 Besucher zuzulassen, findet er. Im Max-Morlock-Stadion seiner Heimatstadt Nürnberg, das ein Fassungsvermögen von 50.000 Zuschauern hat, könne er sich 5000 bis 7500 Besucher vorstellen. Das wäre vermutlich nicht der ganz große Wurf für die Profiklubs, aber besser als gar nichts. Zumal schon die reglementierte Zulassung von Fußballfans fragwürdig ist.

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„Das Problem sind die Superspreader“, erklärt Sörgel. „Die Gefahr, dass sie sich im Stadion befinden, besteht natürlich immer. Und je mehr Leute im Stadion, desto größer ist diese Gefahr. Sie ist aber auch schon bei viel weniger als 10 000 Zuschauern da.“

Der geplante Wiederanpfiff im Profifußball kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt

Als Superspreader werden Infizierte bezeichnet, die das Virus exorbitant stark verbreiten. Großveranstaltungen wie Fußballspiele mit Fans könnten daher zu wahren Virenschleudern werden. Zumal, wie Sörgel anmerkt, der geplante Wiederanpfiff im deutschen Profifußball auf einen sehr ungünstigen Zeitpunkt falle.

„Wir sprechen von September oder Oktober, und dann geht wieder die Grippe- und wohl auch die Coronasaison los. Es dürfte wieder mehr Coronavirus-Fälle geben“, sagt Sörgel und schlussfolgert daraus: „Sollte es dann zu einem Vorfall wie gerade bei Tönnies kommen, dann wäre Schluss. Dann würden die Gesellschaft und die Politik keine Zuschauer mehr in den Stadien auf absehbare Zeit dulden.“

Zuschauertest beim Kopenhagener Derby: Im Stadion von Bröndby sitzen die Fans der dänischen Superliga mit Mindestabstand auf der Tribüne.
Zuschauertest beim Kopenhagener Derby: Im Stadion von Bröndby sitzen die Fans der dänischen Superliga mit Mindestabstand auf der Tribüne.

© Lars Moeller/dpa

Es wäre dies eine Art Super-GAU für den Profifußball, der in der Coronavirus-Pandemie wie so viele andere Branchen finanziell schwer ins Trudeln geraten ist. Der Fußball ist dringend darauf angewiesen, dass er wieder lebendiger wird, dass wieder Atmosphäre in den Stadien herrscht. Doch allzu optimistisch, dass perspektivisch wieder richtig was los ist in den Stadien, sollten die Freunde des Sports offenbar nicht sein.

Der Fußball solle nicht zu große Erwartungen wecken, findet Sörgel. „Dass irgendwann in der nächsten Saison wieder 80.000 Zuschauer im Dortmunder Stadion sind, halte ich für nahezu ausgeschlossen. Ich denke, wir müssen mit dem Coronavirus für immer in irgendeiner Form leben.“

So geht es dem Fußball nicht anders als in anderen Bereichen der Gesellschaft: Er klammert sich an die Hoffnung, dass schnellstmöglich Normalität einkehrt. Er sollte dabei nicht vergessen, dass es vermutlich auf lange Sicht nur eine neue Normalität mit dem Virus geben kann.

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