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Sport: Warum Amerika kein Gold braucht

Olympische Spiele teilen sich in drei Phasen. In der ersten Phase wartet jedes Land auf seine erste Goldmedaille, auf die große Überraschung oder das rührselige Drama.

Olympische Spiele teilen sich in drei Phasen. In der ersten Phase wartet jedes Land auf seine erste Goldmedaille, auf die große Überraschung oder das rührselige Drama. In Salt Lake City war diese Phase geprägt von der patriotischen Eröffnungsfeier, den Skisprungerfolgen des Schweizers Simon Ammann und natürlich vom Triumph der Berliner Eisschnellläuferin Claudia Pechstein über ihre bayerische Rivalin Anni Friesinger. In der zweiten Phase waren die Skandale dran: der halbierte Sieg im Eiskunstlaufen, eine gedopte Weißrussin und das Revival des Eisschnelllauf-Streits um "Olympias schönsten Busen" ("Bild"). Jetzt tritt Phase drei in Kraft, die Endphase. Und in dieser geht es nur noch um eines: um den Medaillenspiegel.

Wer hat die meisten Medaillen? So fragen jetzt alle ganz aufgeregt. Welches Land kann noch aufholen? Welcher Verband kann seine olympischen Planziele nicht erfüllen? "Wir liegen gut im Soll", schallt es aus dem deutschen Haus. Die Norweger feiern ihren ersten Platz im Gold-Ranking, indem sie sich über die schwedischen Nachbarn lustig machen. Und die Österreicher jammern. (Vorsicht, bald schimpfen sie wieder auf die Europäische Union!) Nur einer will das beliebte Medaillen-Zählen nicht mitmachen: der Gastgeber. "Wer braucht schon Goldmedaillen?", fragt Amerikas bekannter Kolumnist Charles Krauthammer in der aktuellen "Washington Post". Und liefert gleich die Antwort mit: Wir nicht! Begründung: "Amerika hat den Kalten Krieg gewonnen, Serbien und Afghanistan zermalmt und die militärische Unwichtigkeit der Europäer demonstriert. Wir dominieren jedes Gebiet menschlichen Daseins auf dieser Welt, von der Kleidung über den Film bis hin zu den Finanzen."

Sicherlich sollen Krauthammers Sätze lustig sein. Und provokativ. Doch welcher Deutsche will ernsthaft bezweifeln, dass ein Sieg im Zweier-Bob das Bewusstsein der Nation hebt? Oder dass ein 5:5-Unentschieden der Eishockeyspielerinnen gegen China die Frauenbewegung stärkt? Nein, Krauthammers Thesen sind zurückzuweisen. Medaillen sind wichtig für die nationale Seele, auch nach dem Kalten Krieg. Amerika wird das noch merken. Spätestens dann, wenn die Russen eine wichtige Goldmedaille in Salt Lake City gewinnen. Im Eishockey.

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