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Angetrieben von ihrem Vater richtete Keli Lane alles auf ihr großes Ziel aus: Olympia 2000 in Sydney. Ein Kind passte nicht in diesen Plan.

© dpa

Wasserballerin Keli Lane: Ein Baby als Problem

Die australische Wasserballerin Keli Lane soll ihr Kind aus Angst um ihre Karriere umgebracht haben. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen. Denn Tegans Leiche ist nie entdeckt worden.

Wenn Keli Lane von ihrer Tochter sprach, sprach sie nur von „dem Problem“. Unzählige Telefongespräche hat die Polizei abgehört, und nie nannte Lane ihr Kind beim eigentlichen Namen Tegan. „Mir waren die Details egal – ich wollte nur, dass das Problem verschwindet“, sagte Lane in der Gerichtsverhandlung, die Australien die vergangenen vier Monate in Atem hielt. Doch fünfzehn Jahre später hat sie das Problem wieder eingeholt. Ein Gericht in Sydney sah es als erwiesen an, dass die australische Wasserballerin ihre Tochter kurz nach deren Geburt 1996 ermordet hatte, weil sie fürchtete, dass das Kind ihre Karriere negativ beeinflussen könnte. Die mittlerweile 36-jährige Frau wurde zu einer 18 Jahre langen Haftstrafe verurteilt.

Die Verteidigung hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, und tatsächlich ist der Fall wohl noch nicht abgeschlossen. Denn Tegans Leiche ist nie entdeckt worden – und nach dem überraschenden Hinweis eines Taxifahrers kurz vor der Urteilsverkündung besteht offenbar wieder eine kleine Hoffnung, dass Lanes Kind noch lebt. Lane selbst hatte zuvor im Fernsehen an die Öffentlichkeit appelliert, ihr bei der Suche nach der auf mysteriöse Weise verschwundenen Tegan zu helfen. Der Fernsehsender hat eine Belohnung von umgerechnet 350 000 Euro ausgesetzt, wenn Tegan, die jetzt 15 Jahre alt wäre, gefunden würde.

Der Prozess hat in Australien Schlagzeilen produziert wie kaum ein Verfahren seit dem berühmten Prozess gegen Lindy Chamberlain, der ebenfalls Kindsmord vorgeworfen worden war. Chamberlain hatte erklärt, ihr Baby Azaria sei 1980 von einem australischen Dingo verschleppt worden. Nach mehreren Prozessen wurde ihre Unschuld festgestellt und sie freigesprochen. Der Fall wurde 1988 mit Meryl Streep in der Hauptrolle unter dem Titel „Evil Angels“ verfilmt. Ähnliches ist im Falle Lanes durchaus möglich – genau wie bei Chamberlain hatten viele Australier zu Hause, am Arbeitsplatz und in Kneipen diskutiert, ob diese nun schuldig sei oder nicht.

Eine dramatische Zuspitzung missverstandenen sportlichen Ehrgeizes

Darüber hinaus ist Keli Lanes Geschichte ganz offensichtlich eine dramatische Zuspitzung der Frage, wohin missverstandener sportlicher Ehrgeiz führen kann. Während des vier Monate langen Verfahrens hatte sich das Bild einer emotional verwirrten und von Ehrgeiz, Schuldgefühlen und Schamgefühl angetriebenen jungen Frau herauskristallisiert. Lanes Vater Robert war ein bekannter Surfer und Rugbyspieler, eine überaus dominierende Figur und offenbar ursprünglich die treibende Kraft ihrer Karriere. Lane wurde eine erfolgreiche Wasserballerin, 1995 gewann sie mit dem australischen Juniorenteam die Silbermedaille bei den Weltmeisterschaften. Ihr großes sportliches Ziel waren die Olympischen Spiele in ihrer Heimatstadt Sydney im Jahr 2000.

1995 soll sie zum ersten von insgesamt fünf Malen schwanger gewesen sein, diese Schwangerschaft aber wie alle weiteren von ihrem gesamten Umfeld inklusive ihren Teamkameradinnen im Umkleideraum geheim gehalten haben. Zwei der Schwangerschaften ließ sie abbrechen. Verdächtig machte sich Lane dann 1999. Nachdem ihr eine weitere Abtreibung verweigert worden war, gebar sie ein Kind, das sie zur Adoption freigab. Die Behörden stellten bei ihren Recherchen fest, dass dieses entgegen Lanes Behauptungen nicht ihr erstes Baby gewesen war – sondern tatsächlich bereits ihr drittes. Vor Tegans Geburt hatte sie schon ein anderes Kind an Pflegeeltern abgegeben. Sie bestritt dies zunächst, was ein Sozialarbeiter letztlich zum Anlass nahm, die Polizei zu alarmieren.

Die Suche nach Tegan war die ausführlichste in der Geschichte Australiens

Die Polizei versuchte daraufhin jahrelang vergeblich, Tegan oder deren Vater aufzuspüren, über dessen Nachnamen – Morris oder Norris – sich Lane nicht einmal sicher war. Dies sei die ausführlichste und aufwendigste Suche nach einer vermissten Person in der Geschichte Australiens gewesen, hieß es von den Ordnungshütern. Im Verlaufe der Ermittlungen gab Lane teils unter Eid insgesamt acht Erklärungen für das Verschwinden ihres Babys ab, darunter die, sie habe das Neugeborene dem leiblichen Vater übergeben, mit dem sie eine kurze Affäre gehabt hatte. Später hatte sie erklärt, Tegan würde bei einer Familie in Perth leben.

Doch Tegan konnte nicht gefunden werden. Die Staatsanwaltschaft warf Lane deswegen unter anderem vor, eine „endgültige Lösung“ gefunden zu haben, um ihre sportliche Karriere fortzusetzen und Eltern und Freunde nicht zu enttäuschen. Sie habe ihr Image als „Golden Girl“ aufrechterhalten wollen, und eine Schwangerschaft habe nicht in ihre Pläne gepasst. Zeugen berichteten, dass die damals 21 Jahre alte Sportlerin bereits zwei Tage nach Tegans Geburt bei einer Hochzeitsfeier gesichtet worden war. Sie sei bester Stimmung gewesen, von einem Baby war nie die Rede, es fehlte bereits jede Spur.

Ein Taxifahrer erklärte, er habe Tegan noch lebend gesehen

Später hatte sie geheiratet und ein weiteres Kind geboren und tragischerweise in einem anderen abgehörten Telefongespräch gesagt: „Es war mir so wichtig, ein Sportstar zu sein und diese wundervollen Dinge zu erreichen. Aber das Einzige, worin ich wirklich gut war, ist, eine Mutter zu sein.“ Lane ist inzwischen von ihrem Mann getrennt, der sie aber trotzdem während des Verfahrens unterstützte, das kurz vor dem Ende eine weitere dramatische Wendung nahm.

Ein Taxifahrer erklärte, er habe Lane damals vom Krankenhaus abgeholt. Dann habe er auf einem Highway anhalten sollen, sie sei ausgestiegen, ohne Kind wieder zurückgekehrt und habe erklärt, es bei einem Babysitter gelassen zu haben. Später sei er an die Stelle zurückgekehrt und habe Tegan neben einem Baum gefunden. Eine andere Frau hätte sich ihrer angenommen und versprochen, die Polizei zu kontaktieren. Die Aussagen des Taxifahrers werden gegenwärtig überprüft.

Keli Lane hatte es im Übrigen nicht geschafft, sich für das Olympiateam der Spiele in Sydney 2000 zu qualifizieren. Ohne sie gewannen die Australierinnen die Goldmedaille.

Alexander Hofmann

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