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Sport: Wende mit System

Trainer Babbel denkt über grundlegende Änderungen nach, um den Absturz von Hertha BSC zu stoppen

Berlin - Ganz weit oben, wo es am leersten war im Olympiastadion, wehte ein Transparent mit der Losung: „Ein schwuler Ball fliegt genauso gut“. Gegenstand einer abgehobenen Betrachtung könnte nun die Frage sein, warum sich der Ball nicht mehr so hingezogen fühlt zu den Spielern von Hertha BSC. Warum sie schon nicht mehr nur in der Provinz verlieren, in Koblenz, Paderborn, Osnabrück, sondern auch daheim in ihrem Olympiastadion, so geschehen am Samstag beim 0:2 gegen den MSV Duisburg. Am Ende aller Metaphysik stünde die rationale Erkenntnis: An der sexuellen Orientierung des Balles liegt es nicht. Sondern daran, dass sie bei Hertha keine Idee haben, was sie mit ihm anfangen können.

„Wir schaffen es momentan nicht, zusammenzuwirken“, sagt Markus Babbel. Er ist als Trainer zuständig für die Spielidee. Seit fünf Monaten und 14 Spielen in der Zweiten Liga arbeitet Babbel bei Hertha, und immer noch weiß man nicht, welche Philosophie dieser Arbeit zugrunde liegt. Als die Berliner in den ersten Wochen ihre Konkurrenz überrannten, war das der individuellen Klasse Einzelner geschuldet. Spieler von der Qualität des Brasilianers Raffael oder des Kolumbianers Adrian Ramos sind eigentlich zu gut für diese Liga, sie machten den Unterschied gegen Bielefeld und Karlsruhe, gegen Düsseldorf und Fürth. Der Mangel an taktischer Ordnung ging durch als temporäre Erscheinung beim Aufbau einer neuen Mannschaft.

Im Rückblick sagt Babbel: „Zum Saisonbeginn, als das Team noch nicht so gut drauf war, hatten die Spieler mehr Biss, denn sie wussten, dass sie vorher Mist gebaut hatten.“ Mittlerweile ist ihnen das Einschätzungsvermögen offenbar abhanden gekommen. Der Mittelfeldmann Peter Niemeyer behauptete allen Ernstes, Hertha habe das Spiel dominiert, „aber wieder mal haben wir unsere guten Chancen nicht genutzt“. Dazu ist zweierlei anzumerken: Erstens ist Ballbesitz nicht gleichzusetzen mit Dominanz. Und zweitens: Welche Chancen? Einmal kam Ramos eher zufällig zum Schuss, ein anderes Mal irrte der Schiedsrichter bei einem Abseitspfiff gegen Waleri Domowtschiski. Mehr war nicht in der ersten Halbzeit, und in der zweiten kam nichts mehr dazu.

Der MSV ist personell längst nicht so gut ausgestattet. Schon deshalb ist es bedenklich, dass Hertha nie eine realistische Siegchance hatte. Auf diesen Vorhalt formulierte Christian Lell den Einwand, „dass man die Duisburger doch bitte nicht so schlecht reden sollte“. Genau darum geht es auch nicht. Denn eines hat der MSV seinem Gegner voraus, nämlich ein in sich schlüssiges und eingespieltes System. Mit einem gedanklich wie läuferisch beweglichen Mittelfeld, das in schöner Regelmäßigkeit schnelle Konter vortrug in die empfindlichen Bereiche der Berliner Abwehr, wo die Gehege der hüftsteifen Innenverteidiger Sebastian Neumann und Roman Hubnik ineinander übergehen.

Schon zur Pause hätte das Spiel entschieden sein können. Hertha konnte von Glück reden, dass Duisburgs Trainer Milan Sasic für seine Idee vom Fußball nicht über Markus Babbels personelle Möglichkeiten verfügt. Die Berliner hätten auf den Stil des Gegners reagieren können, etwa mit der Einwechslung des defensiven Mittelfeldspielers Fanol Perdedaj für den unsichtbaren Domowtschiski. Babbel aber setzte auf die beruhigende Wirkung einer Spielverlagerung in die Hälfte der Duisburger, denen gar nichts Besseres hätte passieren können. Beide Tore schossen sie nach dem in der ersten Halbzeit demonstrierten Schema.

Markus Babbel will auf den dramatischen Abwärtstrend mit einem grundlegenden Revirement reagieren: „Jedes System muss man mit Leben erfüllen. Deswegen mache ich mir Gedanken, auch mal was zu ändern.“ Bisher ist Herthas System nur eine Schablone, ein immer wiederkehrendes Aufstellungsmuster mit einem Stürmer und fünf Mittelfeldspielern, die mal offensiver (daheim) und mal defensiver (auswärts) zu Werke gehen. Zum System wird die Schablone erst, wenn sie variabel auf verschiedene Situationen reagiert, wenn sie das Tempo wechseln und Lösungsmöglichkeiten gegen defensiv orientierte Mannschaften erarbeiten kann. Davon ist bei Hertha nichts zu sehen.

Pierre-Michelle Lasogga leidet als einzige Sturmspitze nach seinem umjubelten Startelfdebüt gegen Bochum am Rob- Friend-Syndrom, das bei maximaler physischer Präsenz ein Minimum an Spielbeteiligung impliziert. Adrian Ramos ist auf dem Flügel verschenkt, wenn er es mit einer tief und dicht gestaffelten Abwehr zu tun hat. Auf Rechtsaußen hindern technische Defizite Nikita Rukavytsya daran, auch nur eine einzige gute Flanke zu schlagen. In der Zentrale ist der defensive Niemeyer ein zuverlässiger Arbeiter, aber er kann nur ein eher gemächliches Tempo gehen. Beim offensiven Raffael geht es immer noch nach Lust und Laune, beides hat er in den vergangenen Wochen verloren. Verstärkt werden die Unzulänglichkeiten in der Spielgestaltung durch das Unbehagen, dass Herthas Innenverteidigung immer gut ist für ein großes Loch.

Diese Bestandaufnahme lässt wenig Gutes erwarten für die letzten drei Spiele der Hinrunde, für die Babbel die bescheidene Vorgabe von neun zu holenden Punkten ausgegeben hat. 1860 München, Aue und Augsburg gehören zur gehobenen Zweitliga-Klasse, und wenn alles schlecht läuft, könnte der einst souveräne Spitzenreiter Hertha BSC noch sehr viel tiefer stürzen als auf Platz drei. „Jetzt kommt die kalte Jahreszeit, da musst du sehen, dass du an der Sonne stehst“, hat der Duisburger Stefan Maierhofer zum Abschied gesagt. Herthas spielprägende Figuren kommen aus Südamerika und in der Kälte hat es ihnen noch nie gefallen. Das verträgt sich schlecht mit den allgemeinen Wetterprognosen für einen Jahrtausendwinter.

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