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Sport: Wenn der Wind sich dreht

Welche Surf-Sparte darf olympisch sein? Nach dem Rauswurf der Kitesurfer tobt in der Szene ein großer Streit.

Berlin - Normalerweise liegt der tiefere Sinn des olympischen Mottos darin, dem Sport ein Stück weit Verbissenheit zu nehmen. Wenn es jedoch konkret um Olympische Spiele geht, kann aus dem Wahlspruch schnell Ernst werden. Ob eine Sportart bei Olympia ausgetragen wird oder nicht – davon ist neben der finanziellen Förderung auch der Zulauf an Nachwuchssportlern und Sponsoren und damit ein ganzes System von Vereinen, Trainern und Wettbewerben abhängig. Deshalb feierten die Mitglieder des Berliner Windsurfing-Vereins bei ihrer Abschlussparty kürzlich nicht nur eine erfolgreiche Saison, sondern vor allem auch die Entscheidung des Internationalen Seglerverbandes ISAF. Vereinschef Dirk Meyer brachte die frohe Kunde unters Volk, auf dem Deck des Vereinsschiffs löste sie Beifall aus. „Seit gestern Abend ist Windsurfen wieder olympisch“, rief Meyer.

Bei Holger Hennschen herrschte dagegen Frustration. Am Abend zuvor hatte der Kitesurfing-Manager des Sailing Team Germany (STG) eine SMS von der neunfachen Weltmeisterin Kristin Boese aus dem irischen Dun Laoghaire bekommen. „Kitesurfing ist nicht mehr olympisch“, lautete ihre Nachricht von der ISAF-Jahreskonferenz. Sämtliche Vorzeichen hatten sich damit binnen weniger Stunden umgekehrt. Erst im Mai waren Kitesurfrennen in die Liste der zehn olympischen Bootsklassen in der Kategorie Segeln aufgenommen worden. Dafür verlor das Windsurfen seinen Status als olympische Sportart. In London sollten die Windsurfer zum letzten Mal bei Olympia antreten.

International erfolgreiche Windsurfer wie Moana Delle und Toni Wilhelm, die als Fünfte und Vierter aus England zurückkehrten, mussten sich komplett neu orientieren. Denn das Sailing Team Germany (STG), die vom Deutschen Segelverband (DSV) aufgestellte deutsche Nationalmannschaft im Segeln, fördert nur die zehn olympischen sowie die paralympischen Bootsklassen. Etwa 1,3 Millionen Euro verteilt der DSV jährlich allein an Bundesmitteln. Angesichts der ISAF-Entscheidung legte die Teamleitung zunächst sämtliche Planungen über Zuteilung von Startgeldern oder Trainern für die Windsurfer auf Eis. Für eine neue Kitesparte stellte man den ehemaligen Windsurfer Holger Hennschen ein. Er machte sich daran, einen Trainer und einen Trainingsstützpunkt zu finden sowie Sponsoren anzusprechen. Vor allem aber musste er geeignete Sportler finden. Zur Sichtung von geeigneten Kitesurfern lud er auch die Windsurfer ein. „Natürlich hätten die lieber weiter Windsurfing gemacht, aber sie hätten es auch mit Kiten probiert, um wieder bei Olympia starten zu können“, sagt Hennschen.

Auch in Berlin sah man sich zum Umsatteln gezwungen. Beim Yacht-Club Grünau, bei dem etwa 20 Nachwuchssurfer vom Sportgymnasium Flatow trainieren, fürchtete man sogar das Aus der gesamten Sparte. „Es drohte alles wegzubrechen“, sagt Spartenleiter Steffen Kienzle. Jedes Jahr sind sechs der zwölf Seglerplätze bei der Sporteliteschule für Windsurfer reserviert. Für die Karriere der Kinder gehen die Eltern häufig in Vorleistung, indem sie Material, Unterricht und Startgelder finanzieren. Umso größer ist die Erleichterung nach der jüngsten ISAF-Entscheidung. „Die Telefone standen nicht still“, sagt Kienzle.

Auch Dirk Meyer vom Windsurfing Verein Berlin freut sich für seinen Sport. Nicht nur die Kaderunterstützung von Landessportbund und Segelverband wären weggefallen; ohne Aussicht auf Olympia wäre auch die Motivation für Jugendliche gesunken, überhaupt mit dem Windsurfen anzufangen. Allerdings sieht Meyer die ISAF-Entscheidung kritisch. „Da ist mit einer dilettantischen Ignoranz gearbeitet worden“, sagt der Olympionike von 1984 und 1988. Damals war Windsurfen gerade neu bei den Olympischen Spielen. Der Trend gehe zu radikaleren Spielarten des Segelns – eben auch zum Kitesurfen. „Da muss der Weltverband über seinen Schatten springen,“

DSV-Präsident Bähr vertritt da eine ruhigere Linie. Er war bei beiden Entscheidungen im Mai und Oktober dabei. Die Debatte sei sehr emotional gewesen. Als Council-Vertreter stimmte er schon bei der ersten, mit 19 zu 17 Stimmen gefällten Entscheidung gegen Kitesurfen als olympische Sportart. „Kitesurfen hat keinen Unterbau für den Nachwuchs wie Windsurfen“, sagt Bähr. Außerdem seien die Trainingsmöglichkeiten eingeschränkt, weil das Kiten auf deutschen Binnenseen verboten ist. Den schnellen Strukturumbau im Nationalteam findet er voreilig: „Da ist Geld verbrannt worden.“ Und die Richtungswechsel bei der ISAF sieht er kritisch. Immer mehr Stimmen werden laut, die eine Reform des 138 Mitgliedsstaaten zählenden Verbandes fordern.

Holger Hennschen glaubt: Coole Kitesurfer statt elitärer Segler hätten womöglich mehr Publikum und Nachwuchs aus den mittleren sozialen Schichten angelockt. Außerdem rechnete er sich gute Medaillenchancen aus. Der Internationale Kite-Verband betont, es sei nie darum gegangen, die Windsurfer aus dem Olympischen Wettbewerb zu verdrängen. Dirk Meyer findet, dass beide Disziplinen ihren Platz verdienen: „Wenn die olympische Idee fortbestehen soll, gehört Kitesurfen in den Wettbewerb.“

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