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Begeistert vom Adler. Der frühere Bundespräsident Horst Köhler schätzt das Trikot der Eishockey-Nationalmannschaft noch.

© picture alliance / dpa

Wenn Ehre zur Qual wird: Die Lust an der deutschen Nationalmannschaft

Volle Terminkalender, vorgeschobene Verletzungen: Ist es nach wie vor eine Ehre für deutsche Sportler, den Adler auf der Brust zu tragen? Oder wird eine Einladung zur Nationalmannschaft als Qual empfunden?

Scheitern wird auch dadurch nicht leichter zu ertragen, dass man es schon vorher einkalkuliert hat. Als im Spiel um Platz fünf bei der Champions Trophy der Hockey-Männer alles vorbei war, saß Torwart Felix Reuß deprimiert in seinem Tor, die Feldspieler sanken in die Knie. Deutschland, aktueller Olympiasieger, hat den Klassenverbleib durch ein 4:5 (4:4, 0:2) nach Verlängerung gegen Belgien verpasst. Es war genau das, was Bundestrainer Markus Weise schon vor dem Turnier befürchtet hatte: „Es kann natürlich sein, dass wir mit solch einem Team dann auch mal auf den Deckel kriegen.“

Solch ein Team – Weise hatte bewusst auf seine Leistungsträger verzichtet, die in diesem Jahr die Grenzen der Belastung längst erreicht hatten. Vier Debütanten standen in seinem Kader, dazu sechs Spieler mit weniger als zehn Länderspielen. „Es ging darum, sich die Spieler anzuschauen, die es nicht ins Olympia-Team geschafft haben“, sagte Weise. „Sie konnten gegen hochklassige Gegner Erfahrungen sammeln. Das ist eine sehr gute Lernumgebung, und das war der Zweck unserer Reise.“ Der Abstieg lässt sich verkraften, weil die Deutschen als Olympiasieger vermutlich eine Wildcard für die Champions Trophy erhalten werden.

Dass Weise seinen wichtigsten Spielern das Turnier in Melbourne am Ende eines strapaziösen Jahres nicht mehr zumuten wollte, ist kein Einzelfall. In letzter Zeit klagen Leistungssportler zunehmend über die extreme Belastung, die ihnen der Spielplan abverlangt. Diese Debatte führt automatisch zu einer Diskussion um den Status deutscher Nationalteams. Ist es nach wie vor eine Ehre, den Adler auf der Brust zu tragen? Oder wird eine Einladung als Qual empfunden?

Handball-Nationalspieler bestreiten bis zu 80 Spiele im Jahr

Als der deutsche Fußball um die Jahrtausendwende seinem Tiefpunkt entgegensteuerte, galten taktische Grippe und Muskelverletzung als probates Mittel, um sich eine Verschnaufpause zu verschaffen. Diese Zeiten sind vorbei, die Nationalspieler brennen auf ihre Berufung. Einerseits, weil das Nationalteam bei der Steigerung des eigenen Marktwerts hilft. Andererseits, weil sich die Konkurrenz enorm verschärft hat. Zur EM 2000 musste noch Paolo Rink eingebürgert werden, damit die DFB-Auswahl überhaupt über einen vollständigen Kader verfügte. Heute stehen die Özils und Götzes auch deshalb Schlange, weil es als ziemlich aussichtslos gilt, wieder in den Kader zurückzukehren, wenn Joachim Löw einen Spieler einmal aussortiert hat. Und weil die Chance auf einen Titel weiter gegeben ist. Etablierte Strukturen, Konkurrenz auf höchstem Niveau und die Aussicht auf Erfolg sind, neben der ungebrochenen Popularität der Sportart, die Kriterien für den unantastbaren Stellenwert der A-Mannschaft.

Beim Deutschen Handball-Bund (DHB) muss man sich derweil nicht nur ob zuletzt fehlender sportlicher Erfolge um den Status als zweitpopulärste Auswahl der Republik sorgen, der durch den WM-Sieg 2007 im eigenen Land lange als gesichert galt. „Grundsätzlich ist es natürlich eine Ehre für jeden Spieler, wenn er berufen wird“, sagt Dierk Schmäschke zwar. „Trotzdem müssen wir alle der Frage nachgehen, wie man die terminliche Belastung in den Griff bekommt“, ergänzt der Manager von Bundesligist SG Flensburg-Handewitt. Im Durchschnitt absolvieren Handball-Nationalspieler bis zu 80 Pflichtspiele im Jahr, weil Welt- und Europameisterschaften im Zwei-Jahres-Rhythmus ausgetragen werden.

Absurde Szenarien sind die Folge. Ein Beispiel: Von Januar 2012 bis Januar 2013 finden mit EM, Olympischen Spielen und WM gleich drei große Turniere statt. „Darunter leiden Vereine und Verband gleichermaßen“, sagt Schmäschke, „denn selbstverständlich wollen alle gesunde Spieler haben.“ Aktuell ist jedoch das Gegenteil der Fall, vor der WM in Spanien (11. bis 27. Januar) zeichnet sich mal wieder eine lange Ausfallliste mit prominenten Spielern ab. Die Verletzungen zweier deutscher Spieler sind dabei fast zum Politikum verkommen: Die Flensburger Lars Kaufmann und Holger Glandorf hatten ihre Teilnahme an zwei EM-Qualifikationsspielen des DHB-Teams Anfang November abgesagt.

Wenige Tage nach dem Doppelspieltag des Nationalteams liefen sie allerdings im Bundesliga-Spitzenspiel beim THW Kiel auf, wenn auch nur phasenweise. Schmäschke betont zwar, das sei mit dem Verband so abgesprochen gewesen. Trotzdem ist der Manager genervt von der Thematik: „Man muss auch die Nationalspieler verstehen. Manchmal haben sie innerhalb eines Jahres keine drei zusammenhängenden freien Tage.“

Die deutsche Eishockey-Auswahl gleicht einem besseren Nachwuchsteam

Im Basketball ist die Belastung auf Vereinsebene durchaus vergleichbar. Alba Berlin muss durch den Einzug in die Euroleague-Zwischenrunde 14 zusätzliche Spiele absolvieren, noch bevor überhaupt die Play-offs in der nationalen Meisterschaft beginnen. „Ein heftiges Programm, das die Spieler auf Dauer nicht nur körperlich, sondern auch geistig beansprucht“, sagt Henning Harnisch, Albas Vizepräsident. Der Sommer gehört traditionell den Nationalmannschaften, mit EM, WM und allen vier Jahren den Olympischen Spielen. „Ich habe mich persönlich immer unheimlich auf diese Zeit gefreut“, erzählt Ex-Nationalspieler Harnisch, der 1993 sensationell den EM-Titel gewann. „Wenn ich heute unsere Nationalspieler sehe, stelle ich erfreut fest, dass sich daran nichts geändert hat.“

Als Paradebeispiel gilt dabei Deutschlands bester Basketballer: Wenn es der Körper noch irgendwie erlaubte, ließ Dirk Nowitzki trotz einer regulär 82 Spiele dauernden Saison in der nordamerikanischen Profiliga NBA selten eine Gelegenheit aus, um für sein Heimatland zu spielen. Natürlich ist die Anwesenheit des Superstars auch ein Faktor für die anderen Nationalspieler. „Schließlich bekommt man nicht so häufig die Chance, mit einem Spieler seines Levels in einer Mannschaft zu stehen“, sagt Harnisch.

Deutsche Superstars aus der besten Liga der Welt – die gibt es auch im Eishockey, aktuell spielen wegen des Lockouts in der National Hockey League (NHL) mit Christian Ehrhoff, Marcel Goc, Dennis Seidenberg, Alexander Sulzer und Thomas Greiss sogar fünf in der Deutschen Eishockey-Liga. Auf die Nationalmannschaft hat das allerdings nicht zwangsläufig positiven Einfluss, sie gleicht oft vielmehr einem besseren Nachwuchsteam. Zum einen haben Spieler wie Florian Busch, Sascha Goc oder Jochen Hecht im besten Sportleralter ihren Rücktritt erklärt.

Zum anderen kollidieren auch im Eishockey die Termine: Jedes Jahr im Mai findet eine Weltmeisterschaft statt – zu einem Zeitpunkt, da in der NHL die Play-offs laufen und die besten Spieler verhindert sind. Dabei halten es die wenigsten deutschen Spieler so wie ihre Kollegen aus Finnland oder Russland. Der russische Superstar Alexander Owetschkin fliegt umgehend zur WM, sobald sein Verein Washington Capitals aus den Play-offs ausgeschieden ist. Beim Deutschland- Cup Mitte November verzichteten Seidenberg und Sulzer, Marcel Goc fiel verletzt aus. Und die Versicherungssumme in Höhe von 20 000 Euro für Christian Ehrhoff konnte sich der Deutsche Eishockey-Bund gar nicht erst leisten.

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