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Sport: Wenn es dunkel wird

Der Fußballer Jan Simak hat psychische Probleme – ein Krankheitsbild, mit dem der Profisport sich schwer tut

Berlin. In dieser Woche soll er mit der Therapie beginnen. Wenn er denn will, und wenn er kann. Wie krank Jan Simak ist, weiß niemand. Und auch nicht, warum. Simak ist „nervlich und körperlich nicht in der Lage, den Druck des Profi-Fußballs auszuhalten“, heißt es in einer Mitteilung von Bayer Leverkusen und Hannover 96, das den Mittelfeldspieler von Leverkusen ausgeliehen hat. Deshalb ist der Tscheche vor zwei Wochen nicht mehr zum Training und auch nicht zum Spiel erschienen. Niemand wusste, wo er war, um dem Druck zu entfliehen. Der Druck, das sind die Medien, die Fans, der Verein, das sind die Erwartungen von allen Seiten und der Erfolgszwang.

Jan Simak hatte Erfolg. Bevor er im Sommer letzten Jahres nach Leverkusen wechselte, schoss er Hannover in die Bundesliga. Trotz seiner Unzuverlässigkeit, übertriebenen Machogehabes und Alkoholeskapaden war er der Held. Das konnte er sich leisten. „Profifußballer haben keine materiellen Sorgen, finden viel Anerkennung und sind täglich in einen Sozialverband integriert“, sagt der Kölner Sportpsychologe Oliver Kirchhof. Nach seiner Erfahrung treten psychische Erkrankungen eher bei Einzelsportlern in Ausdauerdisziplinen wie Radfahren oder Skilanglauf auf, bei denen tagtäglich monotone Trainingsabläufe auf dem Programm stehen. In anderen Sportarten wie Turnen führen häufig Essstörungen zu Problemen.

Viele bekannte Fälle aus dem Leistungssport gibt es nicht, obwohl in den westlichen Industrienationen etwa zehn Prozent der Bevölkerung gelegentlich an Depressionen leiden. Es erregte großes Aufsehen, als sich der Radstar Marco Pantani im Sommer in einer Klinik mit Depressionen behandeln ließ. Das Thema wird im Sport tabuisiert, vielleicht, weil die Kluft zwischen dem Bild eines strahlenden Siegers und dem eines niedergeschlagenen, müden Menschen zu groß ist.

In der Männergesellschaft Profifußball ist es sowieso schwierig, Schwäche zu zeigen und damit ernst genommen zu werden. Der Brasilianer Jardel und der Franzose Claude Makelele haben sich psychische Probleme attestieren lassen, um einen Vereinswechsel zu forcieren. Danach ging es ihnen schnell besser. Klaus Toppmöller, der Simak in Leverkusen trainierte, hatte den Tschechen als „Pflegefall“ bezeichnet. Der lustige Spruch wurde schnell zum geflügelten Wort. „Wenn jemand verschlossen ist, ist es für Außenstehende sehr schwierig, psychische Probleme als solche zu erkennen“, sagt Experte Kirchhof. „Persönliche Risikoeigenschaften sind Introvertiertheit und emotionale Instabilität. Bei solchen Persönlichkeiten dominiert oft die Intuition gegenüber der Rationalität“, sagt Kirchhof.

Wer auf dem Platz „verrückte Dinge“ macht und mit spielerischer Intuition glänzt, gilt als genialer Fußballer. Wenn sich der Erfolg in Misserfolg verwandelt, kann der Druck aber schnell zu negativem Stress werden. Extrovertierte Spieler wie Mario Basler oder Stefan Effenberg lassen in solchen Situationen ihre Wut an anderen aus. „Bei in sich gekehrten Persönlichkeiten können kritische Lebensereignisse, egal ob im Beruf oder privat, eher Störungen hervorrufen. Mangelnde Integration in einem anderen Land und Probleme mit der Sprache können das noch verstärken“, sagt Kirchhof. „Das setzt eine Spirale in Gang , an deren Ende negative Zukunftserwartungen an alle Lebensbereiche und die eigene Leistung stehen.“ Simak, der in Leverkusen nicht zurechtkam, fand seine Leistung nach der Rückkehr in sein altes Umfeld in Hannover wieder. Alle waren zufrieden, bis er plötzlich verschwand.

Simak soll sich in Tschechien tagelang in einem abgedunkelten Zimmer aufgehalten haben. Als er wieder auftauchte, lautete die erste Diagnose: Erschöpfungssyndrom. Das hört sich nicht so schlimm an wie Depression, obwohl beides nicht weit voneinander entfernt ist und die Depression häufig der Erschöpfung folgt. Simak fuhr mit dem Attest zu seiner Mutter, am Donnerstag wird er in Deutschland erwartet. „Ich hoffe, dass die Mediziner eine endgültige Diagnose stellen und wir eine entsprechende Therapie einleiten können. Falls er seelisch und körperlich gesund ist, muss er spielen“, sagt Hannovers Präsident Martin Kind. Die Fans rätseln, ob hinter der ganzen Geschichte wieder eine Eskapade ihres Stars steckt oder ob sie ihn abschreiben sollen. „Vergesst Simak. Der Typ ist aus psychisch-sozialen Gründen für den Profifußball so geeignet wie ein Mann mit Holzbein. Beim Einbeinigen sieht man es nur schneller“, lautet eine der vielen Ferndiagnosen im Forum der Internetseite des Klubs.

Falls Simak Depressionen hat, könnte sogar Sport helfen. Studien der Freien Universität Berlin, bei denen die Antriebslosigkeit mit einer Lauftherapie behandelt wurde, zeigten Erfolge. Dafür muss man sich aber helfen lassen wollen. Und am Start mit beiden Beinen auf dem Boden stehen.

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