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Sport: Wer hat die Macht im deutschen Fußball?

Die Auseinandersetzung zwischen Bundestrainer Joachim Löw und Michael Ballack ist mehr als ein gewöhnlicher Streit – es geht darum, wer in der Nationalelf das Sagen hat

Bei schwierigen Entscheidungen, so sagt man, ist es ratsam, erst einmal eine Nacht über die Sache zu schlafen – um nicht aus der ersten Erregung heraus eine Entscheidung zu treffen, die man später vielleicht bereut. Joachim Löw hat am Mittwoch eine gegenteilige Erfahrung gemacht. Am Dienstag erfuhr der Bundestrainer von einer Vorabmeldung aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die ein Interview mit Michael Ballack, dem Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, geführt hatte. Löw äußerte sich enttäuscht und verwundert über die Vorwürfe, die Ballack darin erhoben hatte; doch am Morgen danach, nachdem der Bundestrainer das Interview gelesen hatte, war die Verärgerung nicht etwa verflogen: Sie hatte sich noch verstärkt. Die offizielle Reaktion, die Löw vom Deutschen Fußball-Bund verbreiten ließ, schließt mit dem Satz: „Es hat kein Spieler, auch nicht der Kapitän, das Recht, in Sachen Aufstellung oder Personalpolitik den Trainer zu kritisieren oder sogar öffentlich Stimmung gegen das Trainerteam zu machen.“

Ob Ballack Kapitän der Nationalmannschaft bleibt, ist fraglich. Die Entscheidung hängt von einem persönlichen Gespräch ab, das der Bundestrainer mit íhm führen will. Bis zum Nachmittag hatten beide noch nicht miteinander gesprochen. Er werde Ballack zu einem Gespräch in Deutschland auffordern, teilte Löw mit, „um ihm zu sagen, dass ich von dem Weg, den er gewählt hat, maßlos enttäuscht bin und die inhaltlichen Aussagen von ihm nicht akzeptabel sind. Ich lasse mir das nicht gefallen und werde auf diese Unterredung bestehen.“ Ballack hatte sich unter anderem über den Umgang Löws mit Torsten Frings beschwert, dem Bundestrainer mangelnden Respekt und ein falsches Spiel vorgeworfen: Er habe das ungute Gefühl, dass Frings den neuen Konkurrenzkampf gar nicht gewinnen könne.

Ballacks Aussagen sind mehr als die beleidigten Einlassungen eines enttäuschten Führungsspielers; sie sind der vorläufige Endpunkt einer Geschichte, die seit Monaten schwelt. Es geht um die Frage, wer bei der Nationalmannschaft das Sagen hat, es geht um Einfluss – oder kurz: um die Macht im deutschen Fußball.

Begonnen hat alles bei der Europameisterschaft, und zwar nicht erst nach dem verlorenen Finale, als Ballack und Oliver Bierhoff am Rande einer körperlichen Auseinandersetzung standen. Schon im Laufe des Turniers hatte sich beim Kapitän erheblicher Unmut angestaut. Ballack missfiel die große Linie, die für ihn vor allem von Bierhoff, dem Manager der Mannschaft, verkörpert wurde. Bierhoff stand dafür, dass die Nationalspieler während der EM in einer Wohlfühloase logierten, sich in loungiger Atmosphäre auf die Anforderungen des Turniers vorbereiten durften und mit weisen Sinnsprüchen zu Höchstleistungen inspiriert werden sollten. Ballack fühlte sich von dem ganzen Bohei eher abgelenkt als inspiriert.

Auch sportlich gab es zwischen dem Kapitän und der sportlichen Leitung Spannungen. Sie entzündeten sich an der Frage, welches System das beste für die Mannschaft sei. Löw hatte vor dem Turnier immer wieder betont, dass er entgegen dem allgemeinen Trend zum 4-5-1 am 4-4-2 festhalten wolle, weil das von ihm gewünschte offensive Spiel zwei Anspielstationen im Sturm benötige. Vor dem Viertelfinale gegen Portugal änderte Löw dann überraschend seine Aufstellung, er installierte eine zusätzliche Sicherung im defensiven Mittelfeld, opferte einen Stürmer und versetzte Ballack weiter nach vorne, damit der seine offensiven Stärken wieder besser zur Geltung bringen konnte. Die Deutschen gewannen 3:2 und zeigten das beste Spiel des Turniers.

Doch statt allgemeiner Freude brach ein kleinlicher Streit um die Urheberschaft an der taktischen Meisterleistung los. Das 4-5-1-System – wer hat’s erfunden? Ich!, suggerierte Ballack. Im Sinne des gemeinsamen Erfolgs habe der Kapitän den Bundestrainer quasi zu seinem Glück gezwungen. Löw, ein Bundestrainer von Ballacks Gnaden? Ein solcher Eindruck ist für jeden Trainer, für seinen Ruf und für seine Stellung in der Mannschaft gefährlich. Löw sah sich schließlich zu einer Klarstellung genötigt: „Die letzte Entscheidung trifft natürlich der Trainer.“

Sein Vorgänger Jürgen Klinsmann hatte es nicht nötig, solche Alltäglichkeiten besonders herauszustellen. Bei ihm wusste jeder, wer das Sagen hat. Sogar Ballack hat das zu spüren bekommen. Sein Mitwirken beim Eröffnungsspiel der WM 2006 stand wegen einer Wadenverletzung lange in Frage, Klinsmann verkündete am Tag vor dem Spiel, dass er seinen Kapitän nicht aufbieten werde, woraufhin Ballack via „Bild“-Zeitung konterte: Ich bin fit. Ich kann spielen. Klinsmann setzte Ballack trotzdem auf die Bank.

Löw fehlt für diese Konsequenz nicht nur die fußballerische street credibility, die Klinsmann als Welt- und Europameister hatte; ihm hat vor allem der Mut gefehlt. Zumindest war das bis zur EM so, seinem ersten großen Turnier als Chef. Löw traute sich nicht, sein Team allein nach Leistungskriterien aufzustellen. Torsten Frings, der jetzt über mangelnden Rückhalt klagt, erhielt von Löw eine umfassende Einsatzgarantie: Wenn er nach seiner Verletzung wieder im Verein spiele, sei er auch bei der EM dabei. „Im Prinzip hat sich Löw die Sache selbst eingebrockt“, sagt jemand aus dem Umfeld der Nationalmannschaft. Denn was vor der EM galt, gilt plötzlich nicht mehr. Löw bestreitet, seinen Stil geändert zu haben. Er habe jetzt sportliche Alternativen, die er vor der Europameisterschaft noch nicht gehabt habe. Doch es fällt auf, dass der Bundestrainer anders klingt. „Wir haben hier einen Führungsstil der Trainer, die natürlich die Regeln vorgeben“, hat Löw vor zwei Wochen gesagt. „Die Spieler haben sich diesen Regeln zu unterwerfen.“

Mit Unterwerfung hat jemand wie Ballack, der einzige Weltstar des deutschen Fußballs, seine Probleme. Das hat sich schon nach dem verlorenen EM-Finale gezeigt, als er sich Bierhoffs Aufforderung widersetzte, sich mit einem Transparent bei den Fans zu bedanken. Der Konflikt wurde von beiden Seiten über Monate am Köcheln gehalten. Bierhoff stichelte: „Wir haben sehr gute Spiele mit Michael Ballack gemacht, wir haben auch sehr gute Spiele ohne Michael Ballack gemacht.“ Ballack wiederum erwähnte eher beiläufig, dass es ein Armutszeugnis sei, wenn die Deutschen es nicht schafften, die Spielernamen auf die Trikots zu flocken. Die Angelegenheit fällt in Bierhoffs Ressort. Nach seinem Tor gegen Russland legte Ballack den Finger auf den Mund – angeblich habe er mit dieser Geste niemand Bestimmtes gemeint.

Den eher subtilen Formen der Kritik folgte nun Ballacks frontaler Angriff, nicht gegen Bierhoff, sondern direkt gegen den Bundestrainer – vielleicht auch weil Löw nach Kuranyis Flucht aus der Nationalmannschaft und Frings’ öffentlicher Klage angegriffen und geschwächt schien. Das Publikum aber ist von den Streitereien längst genervt. Franz Beckenbauer hat das allgemeine Empfinden so ausgedrückt: „Das ist ein Mimosenhaufen geworden. Unglaublich.“

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