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Sport: Wer oder was ist ein Tycoon? (Glosse)

In unserer heutigen Unterrichtsstunde zum Verhalten des wirklich fundiert gebildeten Fernsehfußballzuschauers in harter Europa-Fron nehmen wir das Wort "tycoon" durch. Das ist zunächst weit schwieriger als es den Anschein hat, denn neuerdings ist immer wieder vom Auftreten eines Tycoon die Rede, obgleich niemand weiß, was ein Tycoon ist.

In unserer heutigen Unterrichtsstunde zum Verhalten des wirklich fundiert gebildeten Fernsehfußballzuschauers in harter Europa-Fron nehmen wir das Wort "tycoon" durch. Das ist zunächst weit schwieriger als es den Anschein hat, denn neuerdings ist immer wieder vom Auftreten eines Tycoon die Rede, obgleich niemand weiß, was ein Tycoon ist. Jedenfalls klingt es ziemlich englisch, so dass wir das hier kompetente Cassels Wörterbuch (Deutsch-Englisch und Englisch-Deutsch) hinzuziehen. Das Wort Tycoon kommt allerdings hier nicht vor. Es ist höchstens von einem "tyke" die Rede - übersetzt: Grobian oder Lümmel. Das kann unmöglich gemeint sein. In unserem Brockhaus wird lediglich "Typhon" erwähnt: Ein schlangenleibiger Riese. Schließlich bleibt noch "coon": Waschbär. Es muss aber sogar mehrere Tycoone (sprich: Taikuhne) geben, denn wie jeder Fernsehfußballzuschauer in diesen aufregenden Wochen erfahren hat, verdankt er den Genuss bewegter Bilder in der schönsten Ecke des Wohnzimmers einzig und allein der Tycoon-Existenz. In jedem Fall handelt es sich bei einem Tycoon um real existierende Leute, die so Namen wie Kirch (Deutschland), Murdoch (Austral-Britannien) oder Berlusconi (Italien) tragen. Auch Bertelsmann gehört dazu, obgleich das kein menschlicher Tycoon ist, sondern eine Firma.

Zur Erinnerung: Vor einigen Monaten hat sich jeder ordentliche Fernsehfußballzuschauer darüber mokiert, dass er die tollen Spiele jetzt bei einem angeblichen Frauensender namens tm 3 zu sehen bekommt, wobei festzustellen bleibt, dass dieser Frauensender eine ganze Menge Männer beschäftigte. Wochenlang waren wir alle wahnsinnig gespannt, welche männlichen Reporter der weibliche Sender für Fußball verpflichten wird, der übrigens zu zwei Dritteln dem Murdoch-Tycoon gehört. So furchtbar neu waren die Reporter dann aber doch nicht und die Kleinigkeit von achthundert Millionen Mark war auch nicht gerade preiswert, so dass der Murdoch-Tycoon zum Kirch-Tycoon ging und meinte, man solle sich zusammentun. Es kann natürlich auch sein, dass es umgekehrt war, denn ein richtiger Tycoon bittet keinen anderen Tycoon um Hilfe, sondern wird höchstens gebeten. Der Tycoon an sich ist nämlich das mächtigste Lebewesen, dass man sich vorstellen kann. So ein Tycoon zu werden, ist ziemlich teuer - noch teurer ist es aber, ein Tycoon zu bleiben.

Deshalb hat der Kirch-Tycoon einen Sender namens Premiere mit einem Sender namens DF 1 zusammengetan zu einem anderen Sender namens Premiere World. Vereinfacht ausgedrückt. Bis dieser Premiere-World-Kanal aus dem Schneider ist, wird laut Tycoon-Aussage das Jahr 2001 angebrochen sein, was rund sechs Milliarden Mark kosten wird - ebenfalls stark vereinfacht.

Bei einer solchen Summe ist offensichtlich selbst ein Tycoon wie Kirch ins Grübeln geraten und deshalb wird der Murdoch-Tycoon angeblich eine von diesen Milliarden in das Geschäft zuschießen. Da dieser Betrag kaum aus der Portokasse zu bestreiten ist, hat der Murdoch-Tycoon seine Rechte an der Champions League, die er zur Freude aller nicht nur weiblichen Fernsehfußballzuschauer beim früheren Frauensender tm 3 geparkt hatte, zum Teil wieder an RTL verhökert. Wenn es nach der Winterpause wieder losgeht mit dieser Europa-Liga, soll der Fußball-Mittwoch also wieder RTL gehören.

Was den Fernsehfußballzuschauer angeht, so vermag er sich durchaus zu erinnern, dass vor weniger als einem Jahr diese Spiele schon einmal bei RTL waren, so dass die Umgewöhnung nicht so krass sein dürfte. Für einige Sendestunden Fußball werden wieder ein paar hundert Millionen bewegt. Vielleicht wird aus dem Kindersender der neue Fußballsender oder umgekehrt. Für einen Fernsehfußballzuschauer besteht der Unterschied nur bei den drei oder vier Zentimetern zwischen den jeweiligen Knöpfen auf der Fernbedienung.

Ulrich Kaiser

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