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Sport: Wer Sturm sät, wird Siege ernten

So gut wie bei der EM, war der deutsche Angriff lange nicht besetzt – Bundestrainer Löw bietet viele Varianten, um die Gegner zu überraschen

In der vergangenen Woche hat Joachim Löw Oliver Bierhoff einen großen Vertrauensbeweis entgegengebracht. Der Bundestrainer brauchte den Manager der Nationalmannschaft dringend: auf dem Platz, für ein Trainingsspiel zehn gegen zehn. Allerdings musste Bierhoff auf einer Position aushelfen, die ihm aus seiner Karriere überhaupt nicht geläufig ist. Der frühere Stürmer wurde als Innenverteidiger eingesetzt, was Bierhoff zwar „eine neue Betrachtungsweise“ auf das Fußballspiel beschert hat, allerdings auch die Erkenntnis, dass er in seiner eigentlichen Bestimmung wohl nicht mehr benötigt wird, nicht mal im Training. „Im Sturm haben wir in Deutschland keine Probleme“, sagt Mario Gomez, der den Innenverteidiger Bierhoff im Trainingsspiel mit einer Körpertäuschung ins Leere laufen ließ und dann ins Tor traf.

Zwölf Jahre ist es her, dass Oliver Bierhoff den Deutschen mit seinem Golden Goal gegen Tschechien den EM-Titel beschert hat. Das 2:1 war nicht nur der letzte Sieg bei einer Europameisterschaft, Bierhoffs Golden Goal war auch das letzte Stürmertor der Nationalmannschaft bei einer EM. Seitdem haben nur noch Mittelfeldspieler getroffen: 2000 Mehmet Scholl gegen Rumänien, 2004 Torsten Frings (gegen Holland) und Michael Ballack (gegen Tschechien). Allerdings stehen die Chancen nicht schlecht, dass die Deutschen beide Serien in Österreich und in der Schweiz beenden werden. Wobei die Aussichten auf den ersten Sieg seit 1996 vor allem durch die Besetzung im Sturm genährt werden. „Wir können uns nicht beklagen“, sagt Kapitän Michael Ballack.

So viel Qualität im Angriff hat schon lange kein Bundestrainer mehr vorgefunden. Rudi Völler nahm 2002 mangels Alternative den Nulltorestürmer Carsten Jancker mit zur WM, 2004 nominierte er neben dem formkriselnden Klose Fredi Bobic und Thomas Brdaric, und weil er keinem der drei unbegrenzt vertraute, ließ er in Portugal nur einen Angreifer – Kevin Kuranyi – spielen. Das ist diesmal undenkbar. Das Angebot an Angreifern ist so groß, dass Löw darüber nachdenkt, den eigentlichen Stürmer Lukas Podolski im Mittelfeld aufzubieten. „Es ist eine schöne, aber auch eine schwierige Aufgabe für die Trainer, zwei aus diesen fünf Stürmern auszuwählen“, sagt Bierhoff.

In der Vorbereitung hat Löw verschiedene Varianten getestet, „wir haben mehrere Möglichkeiten“, sagt er. Kevin Kuranyi wurde einmal gefragt, mit wem er denn tags zuvor im Training ein Sturmpaar gebildet habe. Er wusste es nicht mehr. Und selbst wenn: „Das war vorgestern anders. Und vorvorgestern wieder anders.“ Heute, im Auftaktspiel gegen Polen, wird vermutlich Mario Gomez neben Miroslav Klose beginnen. Klose, der Torschützenkönig der WM 2006, ist vor allem wegen seiner historischen Verdienste bei Löw gesetzt. Er weiß selbst, dass er bei den Bayern eine ganz schlechte Rückrunde gespielt hat, doch der Bundestrainer hat schon vor zwei Wochen prognostiziert, dass Klose wie schon vor der Weltmeisterschaft mit jedem Tag der Vorbereitung besser werde. Diese Einschätzung sieht Löw kurz vor dem Turnierstart bestätigt. „Er ist in einer hervorragenden körperlichen Verfassung“, sagt er. Klose habe seine „Dynamik, Zielstrebigkeit, Beweglichkeit“ zurückgewonnen. Es ist müßig darüber zu diskutieren, ob Gomez neben Klose stürmt, ob Klose die Nummer eins im deutschen Angriff ist oder nur noch die Zwei. „Ein Ranking möchte ich nicht vornehmen“, sagt der Bundestrainer. Oliver Neuville, in der Theorie nur fünfter Stürmer, wird in der Praxis schnell zur Nummer drei, weil er Löws erste Einwechseloption ist. Gomez aber gehört auf jeden Fall die Zukunft. „So, wie er in dieser Saison gespielt hat, traue ich ihm alles zu“, sagt Bierhoff. „Er bringt alles mit, was ein großer Stürmer mitbringen muss.“

Luca Toni, Cristiano Ronaldo, Ruud van Nistelrooy, Fernando Torres, Karim Benzema, Zlatan Ibrahimovic, Mario Gomez – die Europameisterschaft könnte eine EM der Stürmer werden. „Im modernen Fußball ist es enorm wichtig, einen guten Sturm zu haben, weil sich die Mannschaften kaum noch überraschen können“, sagt Ballack. Im Kampf der ausgeklügelten Systeme, in dem wenig Raum zur offensiven Entfaltung bleibt, ist Effizienz das wesentliche Unterscheidungsmerkmal. „Ein guter Sturm gibt Sicherheit“, sagt Ballack. „Wenn du als Mannschaft weit kommen willst, brauchst du treffsichere Stürmer.“ Die Deutschen haben also mindestens zwei Gründe, zuversichtlich in das Turnier zu gehen.

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