zum Hauptinhalt
STabhoch

© ddp

Wettkampf des Tages: Dem Himmel immer näher

Stabhochspringerin Jelena Isinbajewa könnte in Berlin ihren 27. Weltrekord aufstellen. Doch den ständigen Leistungsdruck empfindet die Russin als ermüdend – auch wenn sie ihn selbst mitverursacht.

Jelena Isinbajewa hatte ihre Baseballkappe tief in die Stirn gezogen. Ihr Gesicht war nur schlecht zu sehen. Man hätte denken können, sie wolle sich möglichst unauffällig vorbeischleichen, aber das ist natürlich Unsinn. In der Mixedzone des Olympiastadions, wo nach einem Wettkampf die Journalisten auf die Athleten warten, da schrien sofort einige Reporter nach ihr. Isinbajewa hätte schon in ein Osterhasen-Kostüm steigen müssen, um unerkannt zu bleiben.

Jelena Isinbajewa inszeniert sich einfach, sie denkt darüber wahrscheinlich gar nicht mehr nach, wenn sie in der Öffentlichkeit steht. Auch wenn sie bloß gerade die Stabhochsprung-Qualifikation als Pflichttermin abgehakt hat. 4,55 Meter hatte sie überquert, das war für sie so aufregend, als hätte sie ihren Sportwagen unfallfrei in die Garage gefahren.

Spannender wird es am Montagabend. Da geht es um die Goldmedaille, da steht die 27-Jährige im Rampenlicht. Da ist es Zeit, die Rolle des Glamour-Stars richtig zu spielen. Sie schminkt sich, sie lächelt in die Kameras, sie winkt zu den Zuschauern, sie ist die perfekte Hauptdarstellerin auf der großen Bühne. Sie setzt Gesten und Rituale ein wie Usain Bolt, der 100-Meter-Weltrekordler, aber sie macht es feinsinniger, femininer. Nicht so exaltiert wie Bolt. Die Show korrespondiert ideal mit ihren Leistungen. Jelena Isinbajewa ist der größte Star des Stabhochsprungs der Frauen; sie ist zweifache Olympiasiegerin, hat 26 Weltrekorde aufgestellt, hält mit 5,05 Metern natürlich die derzeitige Weltbestmarke und ist eine der wenigen weltbekannten Gesichter der Leichtathletik.

Natürlich ist sie die große Favoritin heute Abend. Die Frage bei ihr ist immer nur: Springt sie auch Weltrekord?

Eine Routinefrage. Vermutlich sind viele, die sie stellen, gar nicht mehr ernsthaft an einer Antwort interessiert. Man stellt sie einfach, die Frage, fertig, aus. Aber diese Frage ist der Hauptgrund dafür, dass Jelena Isinbajewa immer mehr Mühe hat, ihre Rolle durchzuhalten. Das Besondere ist das Normale, das besitzt eine Zeitlang einen Reiz.

Aber für Jelena Isinbajewa ist das Besondere inzwischen zur Last geworden. „Wenn du gewinnst ist es, wie wenn du die ganze Zeit Schokolade bekommst. Immer Schokolade, Schokolade, Schokolade. Irgendwann hasst du es.“ Nach den Olympischen Spielen 2008 fühlte sie sich ausgebrannt. „Ich habe mir überlegt, ob ich mir das alles noch weiter antue. Alle erwarten etwas von mir. Und die körperliche Belastung ist verdammt hoch.“

Ein guter Stabhochspringer muss schnell sein, Kraft besitzen, er muss unglaublich beweglich sein, und er darf keine Angst haben. Die entscheidende Phase des Stabhochsprungs sind die letzten sechs, sieben Schritte. Da klärt sich, ob ein Springer Kraft und Tempo optimal auf den Stab überträgt. Isinbajewas Trainer Witali Petrow hatte der Weltklassespringerin jahrelang jene Technik beigebracht, die er auch für einen anderen Superstar der Szene entwickelt hat, für Sergej Bubka, den Ukrainer, der 37 Weltrekorde aufgestellt hat und ihn noch immer hält (6,14 Meter). Bei dieser Technik springt der Athlet in dem Moment ab, in dem der Stab in den Kasten einsticht. Dann addieren sich die einzelnen Bewegungen in einer Kette zu einer optimalen Beschleunigung nach oben. Lange hatte Isinbajewa noch Bodenkontakt, als der Stab sich bereits gebogen hatte. Aber diese Technik belastet die Knöchel. Und da die bei Isinbajewa eher schwach entwickelt sind, ist das Training für sie teilweise auch eine Tortur.

Außerdem braucht man Kraft, um mit harten Stäben springen zu können. Je härter ein Stab ist, desto mehr Katapultwirkung besitzt er. Aber um ihn zu beherrschen, muss man viel Kraft einsetzen.

Niemand sieht die Arbeit von Isinbajewa, niemand registriert die Abnützungserscheinungen ihres Körpers. Aber jeder registriert ein schwächeres Ergebnis. Schwächer, das heißt bei der Russin, keine Tophöhe. Nachdem sie bei der Hallen-WM in Moskau 2006 an Weltrekord Nummer 19 gescheitert war, da urteilte ein russischer Reporter: „Sie ist fertig.“ Dem „Spiegel“ klagte sie: „Egal, wo ich starte, jeder erwartet, dass ich einen Rekord aufstelle. Aber das geht nicht. Ab fünf Meter ist jeder weitere Zentimeter, als wäre er ein Meter.“

Man könnte mitfühlen mit Isinbajewa. Man könnte mitfühlen, wenn sie diese Weltrekordhatz nicht selber befeuern würde. „5,20 oder 5,30 Meter sind drin“, sagt sie. Und, noch dramatischer: „Ich möchte so viele Weltrekorde aufstellen wie Bubka.“ Dafür fehlen ihr noch mal elf.

Natürlich hätte sie aufhören können. Aber sie macht jetzt weiter, weil sie diesen Vertrag mit Li Ning unterschrieben hat. Der Chinese Li Ning war dreimaliger Olympiasieger im Turnen von 1984, jetzt leitet er eine Sportartikelfirma und zahlt der Russin 1,5 Millionen Dollar im Jahr. Der Vertrag läuft bis 2013. „Dieser Vertrag verpflichtet mich natürlich, dass ich noch mein Bestes gebe. Und er hat mich neu motiviert“, behauptet Isinbajewa.

Die Motivation wird heute wahrscheinlich bis zum Sieg reichen. Ob die 27-Jährige auch Weltrekord springen wird, ist eine andere Frage.

Für die drei Deutschen im Finale, Silke Spiegelburg, Anna Battke und Kristina Gadschiew, die sich für das Finale qualifiziert haben, ist das ohnehin eine eher akademische Frage. Sie versuchen, an ihre jeweilige persönliche Bestleistung zu kommen. Damit hätten sie ihr Ziel schon erreicht.

Und zumindest Silke Spiegelburg liegt es völlig fern, sich selbst zu inszenieren. Als sie vor den Journalisten in der Mixedzone steht, da beißt sie erst mal genussvoll in ein Butterbrot.

Stabhochsprung Frauen, 18 Uhr 45, live in der ARD

Sie versteht es, sich selbst zu inszenieren – wie Usain Bolt.

Nur weniger exaltiert als der Sprintstar. Isinbajewa ist die perfekte Hauptdarstellerin auf der großen Bühne Stadion

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false