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Was ist da nun los? Ganz so klar ist das Bild nicht, das Julia Stepanowa abgibt.

© dpa/Kappeler

Whistleblower: Julia Stepanowa: "Die Wahrheit lohnt sich nicht"

Seitdem sie das systematische Doping in der russischen Leichtathletik öffentlich gemacht hat, lebt Julia Stepanowa in Angst. In einer Videokonferenz sagt sie: „Wenn uns etwas passiert, ist das kein Unfall.“

Nein, ängstlich wirkten die beiden Doping-Whistleblower nicht. Besorgt aber schon. „Wir wissen momentan nicht, woher die Attacken stammen“, erklärte Witali Stepanow in der am Montag eilig eingerichteten Videokonferenz. Hacker hatten versucht, die E-Mail und weitere Konten des Läufer-Ehepaares zu knacken und ließen sie den langen Atem ihrer Gegner spüren. „Erst konnte ich nicht mehr in meinen E-Mail-Account einloggen“, sagte Julia Stepanowa. „Da habe ich mir noch nicht viel gedacht. Als aber auch mein Adams-Account nicht aufging, war klar, das etwas anderes dahintersteckt. Einen Account in diesem Meldesystem hackt man nur, wenn man die Adresse eines Sportlers herausbekommen möchte.“

Die beiden Kronzeugen des russischen Doping-Vertuschungs-Systems wechselten daraufhin ihren Wohnort. Und wie sie auf der Videokonferenz mitteilten, baten sie bereits Freunde, sich um ihren kleinen Sohn zu kümmern, falls ihnen etwas zustößt. „Wenn uns etwas passiert, dann sollten Sie wissen, dass das kein Unfall ist“, sagte Stepanowa den zugeschalteten Journalisten.

Die Sportlerin und ihr Mann, ein früherer Mitarbeiter der russischen Anti-Doping-Agentur, wissen natürlich, was mit Leuten passiert, die gegen das System aufstehen. Angst verspüren sie deshalb nicht. „Wir würden es immer wieder machen. Das einzige, was wir bedauern, ist, dass wir nicht schon früher ausgepackt haben“, sagte Stepanowa.

Witali Stepanow zeigte sich enttäuscht, dass kein russischer Athlet die Bühne von Rio nutzte, um die Machenschaften in der Heimat aufzuklären

Die Videokonferenz ergab auch ein düsteres Bild des russischen Sports und des wenig mustergültigen Verhaltens internationaler Sportorganisationen. Witali Stepanow zeigte sich vor allem enttäuscht, dass kein russischer Athlet die Bühne von Rio nutzte, um die Machenschaften in der Heimat aufzuklären. Die Stepanows gehen davon aus, dass die meisten, wenn nicht alle russischen Olympiateilnehmer über die Doping-Vertuschungs-Praktiken in der Heimat Bescheid wissen. Aber das System lasse kaum eine Chance. „Wer auspackt, der droht, aus der Sportförderung zu fliegen. Selbst wenn du bei Gazprom angestellt bist, steht dein Job auf dem Spiel“, berichtete er.

Wenig Erfreuliches berichtete er aber auch von den internationalen Sportorganisationen. „Als ich 2010 das erste Mal die Wada informierte, musste ich feststellen, dass sie dort gar kein Programm für Whistleblower haben. Sie haben uns nur gesagt, wir sollten zuallererst an unsere Sicherheit denken“, blickte er zurück. Viele der Informationen, die aktuell zu einem Teilausschluss russischer Sportler von den Olympischen Spielen führten, waren schon vor London 2012 bekannt. Wada und IOC spielten aber auf Zeit.

Besonders enttäuscht waren die Stepanows vom Verhalten des IOC. „Sie haben sich einfach nicht für unsere Situation interessiert“, sagte Witali. Und Julia kommentierte ihren Ausschluss von den Olympischen Spielen wie folgt: „Das sendet das Signal: Den Mund aufmachen lohnt sich nicht. Wer zu den Betrügereien hingegen schweigt, darf zu den Spielen.“

Die Freude am Sport hat ihr das aber nicht versalzen. „Natürlich gucke ich mir das 800-Meter-Finale an. Meine Haltung zum Sport hat sich doch nicht geändert“, sagte sie stolz. Und ihr Training setzt sie fort und hofft jetzt auf gute Ergebnisse in der Hallensaison.

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