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Die Verantwortlichen sagen, dass nichts passieren kann.

© Kögel

Whistler: Todesbahn als Touristenattraktion

Vor einem Jahr starb der Rodler Nodar Kumaritaschwili bei Olympia in Whistler – jetzt darf jeder für 110 Euro auf die Strecke. Mit fast 110 km/h stürzen sie sich hinunter - bremsen können sie kaum.

Auf den Fotos ist nichts zu sehen als blankes Eis. „Jetzt habe ich schon ein Dutzend Bilder geschossen, aber die Athleten auf dem Skeletonschlitten sind einfach zu schnell, die erwischt man nicht mit der Kamera“, sagt Mark Kissner. Der junge Vater ist Shuttlefahrer für Wintersportler in Westkanada – und er kann es gar nicht erwarten, bis er selbst den Eiskanal im Whistler Sliding Center herunterschießen kann. „Ich liebe Speed“, sagt er. In wenigen Tagen ist es soweit: Mitte Februar gibt die „Whistler Sport Legacy Society“, jene Nonprofit-Gesellschaft, die jetzt die Sportstätten der Olympischen und Paralympischen Spiele 2010 in Kanada verwaltet, die Rodelbahn frei für die öffentliche Nutzung.

Dann kann man gut 90 Stundenkilometer schnell auf dem Skeletonschlitten mit dem Kopf vorneweg liegend und nur wenige Zentimeter über der eisharten Röhre die Bahn herunterfahren – Olympiafeeling für jedermann. Kostenpunkt: 110 Euro, inklusive Einweisung und Helm sowie gleich zweimal Geschwindigkeitsrausch, besondere Vorkenntnisse sind nicht nötig. 300 Interessenten stehen auf der Warteliste, sie kommen aus Kanada, den USA, Australien, Lateinamerika, Großbritannien und Deutschland.

„Wir machen gerade die letzten Testläufe und absolvieren die Überprüfung der kanadischen Sicherheitsbehörden“, sagt Keith Bennett, Präsident der Legacy-Gesellschaft für das olympische Erbe Kanadas. Sicherheit zählt, erst recht auf der derzeit weltschnellsten Strecke. Der österreichische Rennrodler Manuel Pfister stellte im letzten Jahr mit 154 km/h einen Weltrekord auf. 1458 Meter ist die Bahn lang, knapp 100 Millionen Euro hat der Bau gekostet, die Viererbobs der Männer aus Deutschland hatten mit Silber und Gold einen Doppelsieg gefeiert.

Das olympische Erbe ist aber für immer mit Nodar Kumaritaschwili verbunden. Der 21 Jahre alte Georgier starb bei einer Testfahrt am ersten Tag der Spiele, dem 12. Februar 2010, als er aus der 16. Kurve kurz vorm Zieleinlauf herausgeschleudert und beim Aufprall gegen einen Pfeiler tödlich verletzt wurde.

Ort der Stille. Eine Tafel erinnert an das Unglück.
Ort der Stille. Eine Tafel erinnert an das Unglück.

© Kögel

Mit diesem Schockereignis gehen die Tourismusbehörden offensiv um. Sie empfehlen ihren Gästen sogar den Besuch der Gedenkstätte in der Fußgängerzone von Whistler, die damals spontan entstanden ist. Auch im interaktiven Olympiamuseum unten im Ort wird des Verunglückten gedacht, bald soll noch ein Denkmal für Kumaritaschwili gebaut werden, und oben an der Bobbahn am Berg kann man auf einer Gedenkbank Platz nehmen. Als der Georgier starb, waren viele Konkurrenten geschockt.

Dennoch gingen die Wettbewerbe auf der Bahn von Whistler bereits einen Tag nach dem tödlichen Unfall weiter – auch heute noch werden Weltcups im Bob, Rodeln und Skeletonsport hier ausgetragen. Zwar entschärften Bahnarbeiter die Strecke an heiklen Stellen, trotzdem gilt der Kurs unter den Athleten immer noch als schwierigster im gesamten Weltcup. Im Besonderen gilt das für die Kurve, die Fahrer vor den Olympischen Spielen „Fifty Fifty“ tauften – nach der Wahrscheinlichkeit, heil durch sie hindurchzukommen.

Anders als die Profis fahren die Besucher des Sliding Centers nicht die ganze Strecke, sie beginnen beim sogenannten Ahornblatt-Start. Der liegt in der sechsten Kurve von unten, danach hat man noch gut ein Drittel der Strecke vor sich. Die Verantwortlichen sagen deshalb, dass nichts passieren könne. Man werde gebremst im langen Anlauf, der steil hinaufführt, sagen sie.

Wie das alles genau funktioniert, erfahren 20 zumeist junge Leute gerade im Empfangssaal der Bobbahn, wo noch ein Medaillenpodest steht und T-Shirts, Kuhglocken sowie Olympiapins verkauft werden. Auch Hochzeiten und Unternehmensfeiern werden hier organisiert. Die Leute, die der Einweisung lauschen, sind freiwillig hier. Es sind Mitarbeiter von Geschäften oder dem Tourismusbüro. Das Thema: Ausrüstung, Schlitten, Fliehkräfte.

Keith Bennett, der Bahnchef, ist einer der Mutigen, er hatte seinen Testlauf am Vortag. „Das ist Wahnsinn, man beschleunigt die ganze Zeit“, sagt der 58-jährige gebürtige Engländer aus Whistler. Wie ein Mensch da überhaupt in der Lage ist, zu verarbeiten, wo oben und unten ist und auch noch zu lenken, das ist ihm völlig rätselhaft. „Das erste Mal ist ein Adrenalinrausch. Beim zweiten Mal weiß man, das geht alles gut. Und dann möchte man nur noch eines: schneller werden“, erzählt er.

An Kurve 16 versuchen derweil Touristen aus Australien, die Raser im Kanal zu fotografieren. „Das ist voll cool“, sagt die kleine Paige, sie ist erst zehn Jahre alt. Man könne da bald selbst runterfahren, erklärt man ihr. Da macht die Kleine große Augen und schlägt die Hände vors Gesicht.

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