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Wie Bosnier und Kroaten in Berlin Fußball schauen: Gespalten vor dem Fernseher

Bosniens Fußballnationalmannschaft hat mit dem Sieg gegen Litauen die WM-Qualifikation und damit ihren größten Erfolg geschafft. In einer kroatisch-bosnischen Kneipe in Berlin sind die Zuschauer während des Spiels trotzdem geteilter Meinung.

Die Sportsbar "Chicago" in Berlin-Schöneberg hat zwar einen kroatischen Besitzer, doch auch viele Bosnier sind hergekommen. "Wir sind gemischt", erzählt eine Barkeeperin, "doch wenn die Kroaten spielen, ist es lauter." Auch die Trikots, die zwischen den vier Fernsehern an den Wänden Bar hängen, gehören hauptsächlich Kroaten. Neben Niko Kovac, Srdjan Lakic und Ivica Olic hängt allerdings auch ein Trikot von Tomislav Piplica, mittlerweile Torwarttrainer von Bosnien und Herzegowina.

Die Kellnerinnen sprechen die jeweiligen Amtssprachen, die sich kaum unterscheiden und auch der Fernseher ist auf Bosnisch eingestellt – Deutsch bekommt man hier nicht zu hören. Im Publikum sind vor allem junge Leute, die in Gruppen in der Mitte sitzen, aber auch Männern mittleren Alters. Die Atmosphäre ist familiär, Zuspätkommer werden mit vielen Handschlägen in jeder Ecke der Bar begrüßt. Man kennt sich. Allerdings kommen sie aus verschiedenen Teilen des früheren Jugoslawiens: "Viele hier sind Kroaten. Ich bin für das Spiel danach da", sagt ein Gast. Danach wird Kroatien gegen Schottland spielen. Und 0:2 verlieren.

Sind die Kroaten auch für Bosnien und Herzegowina? "Ja, das wäre doch schön", sagt ein Kroate. Aber ein anderer sagt: "Ich bin neutral. Hauptsache Kroatien gewinnt nachher." "Nein", sagt wieder ein anderer schmunzelnd, aber bestimmt, "ich bin für Kroatien und Deutschland." Dass die halbe bosnische Mannschaft in der Bundesliga spielt oder gespielt hat – geschenkt.

Am Anfang des Spiels ist die Atmosphäre angespannt, alle starren auf die Fernseher, keiner redet oder isst. Erst als sich Bosnien erste gute Chancen erspielt, wird es lauter. Nach guten Paraden des litauischen Keepers gibt es erste nervöse Gespräche und deutliche Emotionen; einige der kroatischen Anhänger grinsen hämisch. In der Halbzeit beim Stand von 0:0 wird diskutiert, allerdings – soweit man das als Deutscher beurteilen kann – sachlich.

"Ich bin aus Srebrenica", erzählt ein Bosnier, "das Spiel hat eine riesige Bedeutung für uns alle." Er glaube, dass Bosnien und Herzegowina es schafft. Ob eine Qualifikation das Land zusammenwachsen lassen würde, wisse er aber nicht. "Das ist eine komplizierte politische Frage."

In der zweiten Halbzeit sehen die Gesichter der bosnischen Fans immer ungeduldiger und nervöser aus . Doch auch so manches Grinsen wird immer breiter. In der 67. Minute ist es dann endlich so weit. Nach dem erlösenden 1:0 durch Vedad Ibisevic ist nicht nur der bosnische Kommentator aus dem Häuschen, auch im "Chicago" wird laut gejubelt. Ein älterer Mann tanzt vor dem Fernseher – einige gucken allerdings auch genervt weg, machen abfällige Gesten oder murren vor sich hin. Danach herrscht vorerst wieder angespannte Stille.

Erst nach dem Abpfiff in der 94. Minute hält es die Bosnier dann nicht mehr auf ihren Sitzen: Sie liegen sich in den Armen und feiern. Der Kommentator ruft: "Die Drachen fahren zur WM!" Es ist einer der diversen Spitznamen der bosnischen Fußballnationalmannschaft. Der Nation Bosnien-Herzegowina ist damit ihr größte Triumph gelungen, doch in der Berliner Bar freuen sich nicht alle. Manchen Kroaten ist ihre schlechte Laune anzusehen. Zumindest bis Kroatien spielt und es wieder losgeht.

Paul Kurreck

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