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Das sind sie: die Brockenhexen aus Schöneiche.

© privat

Wie die Brockenhexen-Gemeinschaft den Titel feierte: Ein ganz besonderer WM-Korso

Inmitten des Getümmels am Ku’damm tauchte in der Weltmeisternacht ein eigentümlicher Konvoi auf: Die Brockenhexen-Gemeinschaft mit einem Traktor und zwei Feuerwehrautos. Was für eine Geschichte steckt denn da dahinter? Wir haben nachgefragt.

Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin. Die Brockenhexen aus Schöneiche haben dieses Fußballfanmotto in der großen Nacht wahr gemacht. Als der Triumph der Deutschen in Rio feststand, machten sie sich auf den Weg. Von Schöneiche bis zum Ku'damm, 35 Kilometer im Traktor. Bis ins alte und neue Berliner Feierzentrum dauert die Fahrt rund anderthalb Stunden im Trecker – normalerweise, wenn in der Stadt nicht gerade eine Weltmeisterschaft gefeiert wird. Doch die Mitglieder der „Traktoren- und Fahrervereinigung“ tauchten um zwei Uhr morgens in Charlottenburg auf. Es war ein eigentümlicher Konvoi – bestehend aus einem Traktor mit Anhänger, gefolgt von zwei alten DDR-Löschfahrzeugen.

„Wir haben letzten Freitag bereits den Entschluss gefasst, nach dem Spiel mit den Treckern nach Berlin aufzubrechen, wenn wir tatsächlich gewinnen“, erklärt Mathias Wilke, der die Gemeinschaft der Traktorenliebhaber vor 13 Jahren mit seinem Großonkel gegründet hat. Zuerst sei die Idee gewesen, mit Traktoren aus ihrer Oldtimer-Sammlung in die Hauptstadt zu fahren. Mit einer Durschnittsgeschwindigkeit von 16 Kilometer pro Stunde hätten diese es aber wohl nicht vor Sonnenaufgang in die Hauptstadt geschafft. Daher griff man auf ein moderneres Gefährt zurück, hängte aber einen alten „Kremser“, also Kutschanhänger, hintendran. Da in der Brockenhexen-Gemeinschaft jedoch niemand eine Personenbeförderungserlaubnis besitzt, öffnete man den Hänger erst im anarchistischen Berlin den Schlachtenbummlern als Partykutsche. Die Mannschaft aus Schöneiche fuhr naheliegenderweise in zwei etwa 50 Jahre alten W50-Löschfahrzeugen der DDR-Feuerwehr hinterher.

Doch falsch liegt, wer glaubt, die Maschinenfreunde aus Schöneiche hätten zu einer großen karnevalesken Sauftour angesetzt. Das Gespann fungierte im Trubel der Nacht vielmehr als freundlicher Bürgerdienst. Die feiernden Fans konnten an den Ampeln auf- und abspringen, wurden bei der Rückfahrt sogar am S-Bahnhof zur Heimreise abgesetzt. So entstand auf der Ladefläche des Anhängers eine spontan zusammengetrommelte Runde aus gut gelaunten Fußballfans, welche die Aussicht auf das Geschehen rund um den Ku’damm genießen konnten.

Das Gespann war ein Hingucker dieser magischen Nacht. „Alles lief wie geschmiert“, freut sich Wilke am Tag danach. „Die Leute haben im Verkehr viel Rücksicht auf uns genommen.“ Bereits in Lichtenrade musste die Kolonne über eine Kreuzung voll mit Hunderten von Fußballfans. „Auf einmal kletterte eine 70 Jahre alte Dame hinauf ins Feuerwehrauto, um uns alle zu umarmen. Die war überglücklich“, erinnert sich Tracy Michael, ebenfalls Traktorenliebhaberin und vorne mit dabei. Erst gegen 5.30 Uhr kehrte die Truppe zurück in den Oder-Spree-Kreis. „Wir fanden es wunderbar. Nur dass wir nicht mehr auf den verstopften Ku’damm gekommen sind, war ein bisschen schade“, sagt Mathias Wilke.

Die Interessengemeinschaft im landwirtschaftlich geprägten Schöneiche hat 50 Traktoren, die meisten davon sind Oldtimer aus der DDR. Die „Ifa Brockenhexe“, eines der ersten Landwirtschaftsfahrzeuge, das in Ostdeutschland Ende der 1960er Jahre auf den Markt kam, gab dem „Hexen“ ihren Namen. Einmal im Jahr wird ein Treckerfest gefeiert, mit Wettpflügen. Die Frauen fahren das Gefährt, die Männer bedienen den Pflug, wobei die geradeste Pfluglinie gewinnt.

Ach ja, so eine Geschichte erzählt man in der Zeitung eigentlich nicht ohne Bilder. Dem Reporter versagte jedoch in dieser sagenhaften Nacht die Technik. Und die Brockenhexen haben die Kamera in Schöneiche liegen lassen – in der Aufregung des Aufbruchs.

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