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Wüstenfüchse. Der Deutsche Timo Gottschalk hat die Rallye Dakar gewonnen, als Co-Pilot von Nasser Al-Attiyah aus Katar.

© AFP

Wie ein altes Ehepaar: Gottschalk und Al-Attiyah gewinnen die Rallye Dakar

'Du, da vorne hätten wir links gemusst': Timo Gottschalk und Nasser Al-Attiyah streiten wie ein altes Ehepaar – und gewinnen die Rallye Dakar.

Von Christian Hönicke

An seine erste Begegnung mit Nasser Al-Attiyah kann sich Timo Gottschalk noch gut erinnern. Es war eine Testfahrt im Juni 2009, und „ich war wirklich geschockt. Nasser fuhr richtig wild. Ich dachte, der hat sie doch nicht alle, und wäre am liebsten gleich wieder ausgestiegen.“ Doch der gebürtige Neuruppiner blieb an Bord, und nun hat er als Kopilot und Navigator seines impulsiven Nebenmannes aus Katar erstmals die berüchtigte Wüstenrallye Dakar in Südamerika gewonnen. „Auf der Ziellinie haben wir wie Verrückte gebrüllt“, sagt Gottschalk. Das ist im VW Touareg mit der Nummer 302 aber nichts Ungewöhnliches.

Al-Attiyah und Gottschalk sind ein äußerst temperamentvolles Paar. „Wir sind beide sehr ehrgeizig und zielstrebig, und da knallt es dann schon mal und wir brüllen uns im Auto an“, sagt Gottschalk. „Im Ziel schütteln wir uns aber dann die Hand, dann sind wir wieder Freunde.“

Am lautesten wurde es auf der zehnten Etappe kurz nach den weißen Dünen von Fiambala, die die beiden mit großem Vorsprung vor ihrem härtesten Stallrivalen und Vorjahressieger Carlos Sainz durchpflügt hatten. Plötzlich irrten die beiden orientierungslos durch einen trockenen Flusslauf. Gottschalk: „Wir haben den Ausgang aus dem Canyon nicht gefunden, da gab es richtig Stress im Auto.“ Die beiden stritten wie ein altes Ehepaar, einer wollte nach links, der andere nach rechts, dadurch verloren sie acht Minuten. „Am Ende hatte aber ich recht“, sagt der deutsche Navigator grinsend.

Timo Gottschalk (l.) und sein "Chef".
Timo Gottschalk (l.) und sein "Chef".

© dpa

Am nächsten Morgen hatten beide noch eine andere Prüfung zu überstehen. Sie saßen im Teambus, der bei einem Verkehrsunfall völlig zerstört wurde. „Da haben wir richtig Schwein gehabt“, sagt Gottschalk. „Der andere war voll und hat uns die Vorfahrt genommen.“ Selbst der furchtlose Al-Attiyah spricht im Siegestaumel nachdenklich vom „schlimmsten Unfall, den ich je hatte. Ich will gar nicht mehr daran denken.“

Sein Beifahrer Gottschalk hat übrigens noch eine andere Sache, auf die er lieber nicht mehr angesprochen werden möchte. Er saß nämlich im März am Steuer jenes Touareg, der bei einer Showveranstaltung in der Drittelpause des Eishockeyspiels Wolfsburg gegen Düsseldorf das Eis dermaßen zerfräste, dass es fast abgesagt werden musste. Er wurde daraufhin deutschlandweit verlacht, „dabei konnte ich gar nichts dafür“. Bei den Proben habe alles geklappt, doch dann habe er mit viel längeren Spikes fahren müssen.

An seiner mangelnden Fahrerfahrung kann es jedenfalls nicht gelegen haben – der Diplom-Ingenieur für Fahrzeugtechnik fuhr schon 1995 seine ersten Rallyes in einem Trabant. Recht bald darauf rutschte er allerdings auf den Beifahrersitz und ging in der Rallye-WM an den Start. 2007 war er erstmals bei der Dakar Rallye dabei, seit 2009 bildet er ein heißblütiges Paar mit Al-Attiyah.

Nach dem um nur gut zwei Minuten verpassten Sieg im vergangenen Jahr hat der akribische Gottschalk alles dafür getan, diesmal den Sieg einzufahren. Sieben Kilogramm nahm er ab, auch auf Al-Attiyahs Andeutungen hin, um noch ein paar Sekunden herauszuquetschen. Dass er trotz solcher Opfer im Schatten des schillernden Mitglieds der katarischen Königsfamilie steht, ist dem bodenständigen Gottschalk ganz recht. Die Rolle des Beifahrers scheint wie für den 36-Jährigen gemacht. „Ich bin nicht der Typ für großen Trubel“, sagt er. Während sich direkt nach der Zieldurchfahrt vor Buenos Aires Kamerateams unter den „Nasser“-Rufen der argentinischen Fans auf den Piloten stürzten, konnte Gottschalk nach ein paar Handyfotos in Ruhe SMS nach Rheinsberg tippen, wo er nach einem Abstecher nach Berlin wieder lebt. Vielleicht machte er sich da auch schon ein paar Gedanken darüber, wie es mit ihrer Schicksalsgemeinschaft weitergeht.

Noch ist unklar, ob VW weitermacht bei der Dakar. In ein paar Wochen wird der Veranstalter ASO verkünden, wohin es die nächste Dakar verschlägt. VW-Motorsportchef Nissen spekuliert auf Märkte wie Bolivien, Peru, Indien, China oder Brasilien, wenn es wieder zurück nach Afrika gehen sollte, „hätten wir nicht so viel Interesse“. Es heißt, dass die VW-Tochter Porsche das Dakar-Team übernehmen könnte und VW dann in die Rallye-WM einsteigt.

„Vielleicht fahre ich nächstes Jahr Rallye-WM“, sagt Gottschalk, „das muss VW im Februar entscheiden.“ Al-Attiyah dagegen will „auf jeden Fall nächstes Jahr wieder die Dakar fahren“ und hat schon angekündigt, das Team notfalls selbst zu übernehmen. Vielleicht überredet er ja Gottschalk dazu, wieder neben sich Platz zu nehmen. Denn er hat schon bei jener Testfahrt im Mai 2009 die Magie zwischen beiden gespürt. „Ich habe in Timos Augen gesehen und sofort seine Leidenschaft erkannt. Zwischen uns hat es von Anfang an gepasst.“ So unterschiedlich können die Erinnerungen an die erste Begegnung sein.

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