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Sport: Wie ein brauner Faden

Das Magazin „11 Freunde“ wurde für seine Berichterstattung über rassistische und rechtsextreme Tendenzen im Fußball ausgezeichnet – mit dem Preis „Gegen Vergessen – Für Demokratie“. Die Laudatio im Wortlaut.

Das Simon-Wiesenthal-Center veröffentlicht regelmäßig eine Liste der zehn schlimmsten antisemitischen Äußerungen weltweit. Auf dem neunten Platz dieser Liste war in diesem Jahr ein deutscher Publizist gelandet, die Diskussion darüber wurde lange und heftig geführt. Darüber ist allerdings ziemlich außer Acht geraten, wer auf dem vierten Platz stand: der Antisemitismus europäischer Fußballfans. In der Begründung heißt es, „das Problem antisemitischer Schmähungen bei Fußballspielen, das bis vor kurzem auf Osteuropa beschränkt schien, lebt auch in Westeuropa wieder auf“.

Tatsächlich hat es in diesem Jahr eine Rückkehr der Nazis in die Stadien gegeben, gerade auch in Deutschland. In Aachen, Braunschweig und anderswo wurden die eher antifaschistisch gesinnten Ultra-Gruppen von Rechtsextremisten und verbündeten Hooligans regelrecht aus dem Stadion geprügelt. In den Jahren zuvor war es oft andersherum. So zwangen zum Beispiel Mitglieder der Kölner Ultra-Gruppe Wilde Horde bei einem Auswärtsspiel in Aue eine Gruppe von Jungnazis, sich bis auf die Unterhose auszuziehen, und trieben sie dann aus dem Block. In München bei 1860 und in Dortmund beim BVB und in etlichen anderen Städten in Deutschland marschieren inzwischen wieder bekannte Neonazis durch die Reihen, manche zeigen sogar den Hitlergruß. Viele Fans sind fassungslos darüber, weil sie dachten, die Zeit der Urwaldschreie und Bananenwürfe, der schwulenfeindlichen und antisemitischen Gesänge in den Stadien sei endlich vorbei. Aber immer weniger Fans trauen sich, dagegen vorzugehen, weil mit den Nazis auch die Hooligans in die Stadien zurückgekehrt sind.

Als ein gravierendes Beispiel für den Antisemitismus von Fußballfans nennt das Simon-Wiesenthal-Center die Vorgänge rund um den Londoner Verein Tottenham Hotspur. Der Klub ist in einem traditionell jüdischen Teil Londons beheimatet, die Fans nennen sich Yid Army, auf den Tribünen sind israelische Fahnen zu sehen. Von Anhängern anderer Vereine werden Fans und Spieler von Tottenham auf übelste Weise antisemitisch beschimpft, nicht selten sind Zischlaute zu hören, eine Anspielung auf das Gas in den Vernichtungslagern der Nazis.

In unmittelbarer Nachbarschaft von Tottenham ist die Heimat des FC Arsenal. Die Derbys sind Höhepunkte der Saison. Und manchmal auch Tiefpunkte. In der vergangenen Spielzeit hat der englische Fußballverband den jungen Arsenal-Spieler Emanuel Frimpong wegen einer antisemitischen Äußerung zu einer Geldstrafe verurteilt. Frimpong, ein Engländer ghanaischer Herkunft, hatte einen Tottenham-Fan über Twitter als „scum yid“ bezeichnet, also als jüdischen Abschaum. Interessant ist zum einen, was der Sache vorausging, und andererseits, wie sich Frimpong zu erklären versuchte. Der Tottenham-Fan hatte zuvor getwittert, er bete dafür, dass sich Frimpong Arme und Beine breche. Frimpong wiederum verteidigte sich damit, er habe nicht einmal gewusst, dass das Wort eine Beleidigung ist, weil es ständig überall zu hören sei. Tatsächlich bezeichnen sich manche Tottenham-Fans selbst als „scum yid“, so wie sich Schalker Fans in einer Mischung aus Ironie, Stolz und Provokation zuweilen selbst als „Ruhrpottkanaken“ feiern. Frimpong fügte am Ende seines Entschuldigungs-Tweets hinzu: Man lebt und lernt von seinen Fehlern.

Der Vorfall ist tatsächlich exemplarisch, denn er zeigt zweierlei: Die Grenze zwischen erträglicher Sprücheklopferei und menschenverachtenden, diskriminierenden oder abwertenden Beschimpfungen ist nicht jedem klar und muss deshalb unmissverständlich klargemacht werden, gerade im Zusammenhang mit Fußball. Zweitens, antisemitische und rassistische, homophobe und andere diskriminierende Äußerungen fallen nicht nur auf den Rängen, sondern auch auf dem Rasen, was wegen der Idolisierung von Spielern auf ihre Fans wie ein Verstärker wirkt. Ein aktuelles Beispiel ist die faschistische Parole, die der kroatische Spieler Josip Simunic, lange bei Hertha, nach der WM-Qualifikation ins Stadionmikrofon brüllte. Er ist nicht allein, solche Vorfälle kommen immer wieder vor. Wenn ein Stürmer vom Torwart der Gegenmannschaft als „schwarzes Schwein“ beschimpft wird, wie es in der Bundesliga passiert ist, darf man sich nicht wundern, wenn die Fans des Torwarts rufen: „Hau den Neger weg“.

Fans werden, zu Recht, für rassistische Äußerungen mit einem langen Stadionverbot bestraft, wenn sie erwischt werden. Spieler kommen oft mit einer Geldstrafe davon, wie Simunic. 3200 Euro muss er zahlen, das ist nicht mal die Hälfte seines letzten Tagesgehalts. Oder es gibt eine kurze Sperre, begleitet von verständnisvollen Worten des Trainers.

In England greift der Verband inzwischen härter durch. Bemerkenswert ist der Fall des Liverpooler Stürmers Luis Suarez. Wegen rassistischer Beleidigung seines Gegenspielers Patrice Evra von Manchester United wurde er in der vergangenen Saison für acht Spiele gesperrt. Suarez hatte Evra mehrfach mit dem spanischen Wort „negro“ bezeichnet. Evra blieb dagegen ohne Strafe, obwohl er die Entschuldigung von Suarez mit den Worten abwehrte: „Fass mich nicht an, du Südamerikaner.“ Das war durchaus ebenfalls als Beleidigung zu verstehen. Und nicht unumstritten, aber folgenreich war die Reaktion des englischen Verbandes auf Rassismusvorwürfe gegen den Chelsea-Spieler John Terry: Die FA setzte ihn als Kapitän der Nationalmannschaft ab.

Manche werten das verhältnismäßig harte Durchgreifen des englischen Verbandes als Konter gegen den auf der Insel unbeliebten Fifa-Chef Sepp Blatter. Der hatte allen Ernstes erklärt, es gebe überhaupt keinen Rassismus im Fußball, allenfalls mal das eine oder andere „nicht ganz korrekte Wort“.

Zuweilen sieht es so aus, als versuchten die Verbände und Vereine tatsächlich, das Problem lieber durch Nichtbeachtung zu erledigen. Typische Reaktionen auf rassistische, antisemitische, diskriminierende Vorfälle, auch hierzulande, hören sich oft so an: Das sind doch nur 30 Leute von 30 000, das gibt es doch nicht nur bei uns, das wird doch alles aufgebauscht von den Medien. Dazu passt auch der Trend, in Deutschland, aber auch in England, die Stadien komplett zu entpolitisieren, mit der Begründung, man wolle jegliche Provokation vermeiden. So soll in London den Tottenham-Fans verboten werden, sich selbst als Juden zu bezeichnen und Israel-Fahnen mit zum Spiel zu bringen, und in Deutschland versuchen einige Vereine ausgerechnet jene Fangruppen aus den Stadien zu drängen, die offen gegen diskriminierendes Verhalten auftreten. So hat beispielsweise Fortuna Köln auch antirassistische Plakate im Stadion verboten. In der Logik der Funktionäre ziehen solche Statements die Rassisten erst an. Ein perfides, ja gefährliches Argument, das sich die Nazis längst zu eigen gemacht haben. Sie werben so zynisch wie offen dafür, die Politik aus den Stadien herauszuhalten, und die Klubs behaupten anschließend, sie könnten nichts gegen deren Stadionbesuch tun. Dabei droht völlig unterzugehen, dass diese Leute damit begonnen haben, die Fanblocks zurückzuerobern, also einen rechten Mainstream durchzusetzen – und dass nicht politische Äußerungen das Problem sind, sondern menschenverachtende Verhaltensweisen.

Das Magazin „11 Freunde“ beschäftigt sich seit seiner Gründung mit Themen wie den genannten, mit Rassismus, Diskriminierung und rechter Gewalt im Fußball. Nicht plakativ, nicht demonstrativ, nicht situativ, nicht kurzatmig alarmistisch und erst recht nicht pädagogisch. Sondern ernsthaft, kontinuierlich, analysierend, vorbildlich. Die Redakteure und Autoren recherchieren gründlich und direkt, in die örtliche Breite wie auch in die sachliche Tiefe, bis weit nach Odessa am Schwarzen Meer und tief hinunter in die Dorfplatzliga.

Das aktuelle Heft ist dafür ein gutes Beispiel. Wer meint, über die gefährlichen Vorgänge bei Eintracht Braunschweig schon alles gelesen zu haben und mithin alles zu wissen, wird hier auf eine andere Erkenntnisebene geführt. Völlig frei von Klischees und unvoreingenommen berichten die Autoren über die Ergebnisse ihrer intensiven Recherche. Am Ende steht nicht ein schnelles Urteil, sondern das nachdenklich stimmende Fazit: „Eine Kultur des Vermittelns wurde über Jahre verpasst.“

Das exakte Gegenteil lässt sich über das Magazin „11 Freunde“ sagen. Wer durch die Ausgaben der vergangenen Jahre geht, bis zurück zur Gründung, sieht, dass sich das Thema Rassismus und rechte Gewalt im Sport wie ein brauner Faden durch die Hefte zieht. In einem der ersten Artikel über rechte Gewalt in italienischen Stadien, erschienen 2001, wurde Giacomo Ferrara zitiert, ein Fan von Hellas Verona. Er sagte: „Es kann nicht sein, dass wenige hundert Fans ein ganzes Stadion terrorisieren.“ So denken viele im Stadion. Sie wissen oft nur nicht genau, wie viele sie sind. „11 Freunde“ zeigt es ihnen. Das Magazin hat sich selbst eine gesellschaftliche Verantwortung übertragen, und es ist ihr besser gerecht geworden als so mancher Funktionär. Herausgebildet hat sich dabei ein Common Sense, der lange nicht selbstverständlich war: Wer Fußball liebt, wie „11 Freunde“ ihn liebt, kann niemals andere Menschen wegen ihrer Religion, ihrer Herkunft, ihrer Sexualität verachten.

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