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Sport: Wie ein zweiter Herzinfarkt

Mario Götze fällt für das Finale gegen Bayern aus. Ein erneuter Schock für Borussia Dortmund.

Als die Nachricht verkündet war, blieben die Tore am zugigen und nasskalten Trainingsgelände von Borussia Dortmund geschlossen. Trainer Jürgen Klopp hatte seine ursprünglichen Planungen geändert und die Medien kurzerhand ausgesperrt. Denn vor den Toren wurde bereits eifrig diskutiert und spekuliert.

Die Meldung hatte die Öffentlichkeit um 15.59 Uhr erreicht, und sie war inhaltsschwer. Das, was im ersten Satz der Pressemitteilung der Dortmunder zu lesen war, dürfte bei der Fangemeinde des BVB eine mittlere Depression auslöst haben: „Mario Götze muss verletzungsbedingt auf einen Einsatz im Champions-League-Finale am Samstagabend im Londoner Wembley-Stadion gegen den FC Bayern München verzichten.“ Vor drei Wochen hatte sich der Nationalspieler beim Halbfinale in Madrid einen Muskelfaserriss im Oberschenkel zugezogen. Seitdem war die Dortmunder Medizinabteilung fieberhaft bemüht, den 20-Jährigen rechtzeitig zum Spiel des Jahres wieder fit zu bekommen.

Am Dienstag nahm Götze erstmalig wieder am Mannschaftstraining teil. Als er sich an den lädierten Muskel packte und die Übungseinheit abbrechen musste, wuchs die Furcht zu Gewissheit: Es wird nicht reichen. „Das Finale war mein großes Ziel, und ich habe in den vergangenen Wochen hart darum gekämpft“, ließ Götze über den Verein mitteilen: „Es tut mir unglaublich leid, der Mannschaft in dieser wichtigen Partie nicht helfen zu können.“ Er werde mit nach London reisen, um seine Mannschaft abseits des Rasens zu unterstützen.

„Dass er nicht dabei ist, ist eine Schwächung für uns, aber unser Kader ist qualitativ so gut besetzt, dass wir das auffangen können“, wurde BVB-Präsident Reinhard Rauball in verschiedenen Medien zitiert. „Ein Ausfall von Götze wäre für den BVB fatal, wahrscheinlich sogar entscheidend“, sagte der frühere Bayern- und Dortmund-Trainer Ottmar Hitzfeld kurz vor der Nachricht des endgültigen Ausfalls.

Jürgen Klopp muss sich damit arrangieren, dass sein bester Spieler beim wichtigsten Spiel nicht zur Verfügung steht. Mental hat sich der Trainer mit dieser Situation bereits intensiv beschäftigt, denn sie wird in Dortmund zum Dauerzustand. Die Ankündigung Götzes, im Sommer zum Rivalen nach München zu wechseln, löste ein mittleres Beben aus, nun erfolgt der Ausstand ein Spiel früher, als alle erhofft hatten. Durch die Verletzung endet die Zeit von Götze in Dortmund vorzeitig nach zwölf Jahren, 83 Bundesligaspielen und 22 Toren.

Wenige Tage, nachdem der spektakuläre Transfer publik geworden war, hatte Klopp noch suggeriert, dies tangiere ihn höchstens peripher: „Andere Mütter haben auch schöne Kinder, und die können sogar richtig gut kicken.“ Alles halb so wild, das war die Botschaft, die es zu vermitteln galt. Wie es tief in ihm drin aussah, konnte in diesem Moment niemand erahnen. Es war finster, wie mittlerweile bekannt ist. In einem Interview mit dem britischen „Guardian“ berichtet Klopp, Götzes Entscheidung habe ihn getroffen „wie ein Herzinfarkt“. Die Nachricht, die den Trainer einen Tag nach dem dramatischen 3:2 im Champions-League-Viertelfinale gegen den FC Malaga ereilte, war wie ein kleiner Tod. Danach wollte Klopp nur noch eins: Mit seiner Trauer und seiner Enttäuschung allein sein. Ähnlich bestürzt habe auch die Mannschaft reagiert. Einige Spieler hätten nicht schlafen können.

Beim BVB dachten sie aber nur noch daran, wie sie Mario Götze für seinen letzten Auftritt in Schwarz-Gelb fit bekommen könnten. Nun muss Klopp über einen Plan B nachdenken. Die erste Möglichkeit wäre, Kevin Großkreutz auf die linke Seite zu stellen und Marco Reus dafür hinter Stürmer Robert Lewandowski agieren zu lassen. Eine weitere Option wäre, Ilkay Gündogan aus dem defensiven Mittelfeld in die offensive Schaltzentrale zu beordern. „Es wäre eine Umstellung. Aber ich weiß eigentlich, was auf der Zehner-Position zu tun ist“, kommentierte Gündogan die Spekulationen.

Der Ausfall des Spielmachers trifft die Borussia hart. Zudem ist noch immer offen, ob Abwehrchef Mats Hummels rechtzeitig fit wird. Rechtsverteidiger Lukasz Piszczek fällt ohnehin aus, ihm soll nach einer Hüft-OP sogar eine Zwangspause von bis zu fünf Monaten drohen.

Was auch immer Klopp aus dem Hut zaubert, es wird Götze nicht helfen, der vor einigen Tagen noch verkündete, ein Sieg im Finale wäre das Größte für ihn. Der Neu-Münchener wird in London auf der Tribüne Platz nehmen. Es ist bereits das zweite Endspiel, das Götze verpasst. Bereits vor einem Jahr saß er bei Dortmunds DFB-Pokalsieg gegen Bayern nach einer Schambein-Entzündung nur auf der Bank.

Der erneute Ausfall hat für die Dortmunder Fangemeinde zumindest den Vorteil, dass sie sich keine diplomatische Zurückhaltung mehr auferlegen muss. Zuletzt hatte der Pädagoge Klopp den Menschen in Dortmund noch glaubhaft vermittelt, „dass der Verein über allem steht“, und es nicht darum gehe, die Wut der Anhänger an einem Abtrünnigen auszulassen. Von der Hoffnung beseelt, Götze könne ihr Team beim letzten Spiel in Wembley zum Sieg schießen, hielten sich die Fans an den Schulterschluss. Doch was die Volksseele wirklich empfindet, wurde jüngst beim Ligaauftritt der Bayern in Dortmund offenbar, als die Verletzung Götze bereits zum Zuschauen zwang. Das Banner, das entrollt wurde, hätte deutlicher kaum sein können: „Das Streben nach Geld zeigt, wie viel Herz man wirklich hat. Verpiss dich, Götze.“ (mit dpa)

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