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Sport: Willkommene Stille in Boris Beckers Tennis-Internat

FRANKFURT .Wenn Boris Becker gelegentlich den Fernseher anschaltet und das Wirken seines ehemaligen Schützlings Nicolas Kiefer verfolgt, kommt der alte Meister ins Grübeln: "Dem Jungen hätte es gutgetan, wenn er noch ein bißchen länger in unserem Team geblieben wäre", sagt der dreimalige Wimbledon-Champion und moniert den "überhasteten Abschied" Kiefers aus dem Mercedes-Junior Team nach den Australian Open im Januar.

FRANKFURT .Wenn Boris Becker gelegentlich den Fernseher anschaltet und das Wirken seines ehemaligen Schützlings Nicolas Kiefer verfolgt, kommt der alte Meister ins Grübeln: "Dem Jungen hätte es gutgetan, wenn er noch ein bißchen länger in unserem Team geblieben wäre", sagt der dreimalige Wimbledon-Champion und moniert den "überhasteten Abschied" Kiefers aus dem Mercedes-Junior Team nach den Australian Open im Januar.Erst jetzt wisse Kiefer wahrscheinlich, "was er an unserer Rundum-Betreuung hatte", glaubt Becker, der dem aufstrebenden Niedersachsen selbst viele private Nachhilfestunden gegeben hatte und ihm auch im laufenden Tennis-Circuit mit der Vermittlung von Trainingspartnern und der Beschaffung von Wild Cards hilfreich war.

Während Kiefer noch an seinem Abitur bastelte, entsandte Becker sogar den Junior-Team-Coach Klaus Langenbach in die südniedersächsische Provinz zur täglichen Übungsarbeit am Wohnsitz des Tennis-Senkrechtstarters: "Modellhaft für das Projekt der Nachwuchsförderung" sei das Fallbeispiel Kiefer gewesen, sagt Becker, "unsere Arbeit mit ihm war perfekt organisiert".In der Sache Kiefer hätten die Stuttgarter Automobilbauer und ihr Angestellter Becker sogar gern eine Ausnahme von der ungeschriebenen Regel gemacht, "daß man einen Spieler entlassen muß, wenn er an der Schwelle zur Weltspitze angelangt ist", wie Sportmarketing-Chef Burghard Graf Vitzthum meint.Mit ein paar zielgerichteten Hilfestellungen und Tips hätte man, sagt Becker, "den Kiefer vielleicht schon Richtung Top ten bringen können".

Als Shooting-Star im richtigen Moment hatte Kiefer der privaten Talentschule von Mercedes die gewünschte Anschubenergie und reichlich Medienpräsenz verschafft.Nach dem unharmonischen Fortgang des eigenwilligen Jungstars ist es nun ein bißchen still geworden um Beckers mobiles Tennis-Internat.Doch das stört den Mann, der mittlerweile alle Strippen im deutschen Herrentennis nach Belieben zieht, nicht im mindesten: "Wir sind auf einem sehr guten Weg." Für die 17- bis 19jährigen Teenager im Mercedes-Kader sei es sogar "ausgesprochen positiv", daß die öffentliche Aufmerksamkeit nachgelassen habe.Trainer und Betreuer könnten die Jugendlichen wie Boris Bachert, Junior Ghedina oder Björn Phau viel problemloser an die Profizeit heranführen, erklärte Becker am Rande des zweiten Sichtungsturniers des Mercedes-Teams in Frankfurt.Dort wurde bekannt, daß der Bad Homburger Alex Radulescu Ende Juli aus der Mercedes-Gruppe ausgeschieden ist.

Abseits des untypischen Beispiels Kiefer, "der ja schon sehr gut ausgebildet war, als er ins Team stieß" (Becker), wünscht sich der größte deutsche Tennisspieler mehr Langmut und Geduld mit dem Nachwuchs: "Wir wollen keine Helden mit 16, die dann ruckzuck ausgebrannt sind im Tennis-Wanderzirkus", sagt der Mann, der einst mit 17 Jahren in Wimbledon gewann und die deutsche Sport-Landschaft veränderte."Gestern ist gestern", sagt Becker und weist auf die neue Situation hin: "Heute finden die Spieler erst viel später zu ihrer eigentlichen Klasse - mit 25, 26 Jahren.Einen Grand-Slam-Champion mit 17 wird es in der neuen Ausgeglichenheit im Tennis nicht mehr geben."

Weg von der frühen Erfolgsorientierung, hin zu akribischer Ausbildung und etappenweisem Hereinschnuppern in die Profi-Szene - das ist das Konzept von Cheftrainer Klaus Hofsäß und Becker."Bis zum 19.Lebenjahr müssen die Schläge perfekt sitzen, danach lernt man nichts mehr", sagt Becker, der in seiner Talentschmiede auch völlige Bescheidenheit predigt."Wir sind keine Luxuseinrichtung, in der den Spielern jeder Wunsch von den Lippen abgelesen wird." So muß sich einer wie Hofsäß gelegentlich mit seinen Kids auch in Jugendherbergen herumschlagen und lange Zugfahrten übers Land in Kauf nehmen: "Wir wollen, daß die Jungs hungrig bleiben", sagt der ehemalige Chefcoach im deutschen Damentennis.So bleibt es auch bei der Regel, daß den Teammitgliedern jeweils nur Ein-Jahres-Verträge angeboten werden : "Zuviel Sicherheit schadet der Motivation", sagt Becker, der im Team "Burschen" sehen will, "die sich mit Haut und Haaren der Sache verschreiben".

Aus Beckers Talentschuppen sollen nicht jene Typen kommen, "die gegenwärtig wieder in der deutschen Bundesliga das schnelle Geld abzocken und die großen Turniere meiden".Für Becker ist es ein Rückfall in schlimmste Zeiten der 80er Jahre, "daß wir bei großen ATP-Wettbewerben wie jetzt in Connecticut nur zwei deutsche Spieler im Feld haben".Das sei "fürchterlich für die deutsche Szene", sagt der Mann, der weltweit 50 Turniere gewann: "wenn man wirklich ein Großer werden will, dann darf der Horizont nicht bei der leicht verdienten Mark in der Bundesliga aufhören".Um diese Verhältnisse zu ändern, will Becker seine "ganze Machtfülle einsetzen, um unsere Besten wieder hinaus auf die Tour zu schicken - und zwar ständig".Und beim Aufräumen wird Becker vielleicht auch jene "kleinkarierten Geister" (Becker) ins Visier nehmen, die jetzt unter Strafandrohung verhinderten, daß ihre besten regionalen Talente am großen Mercedes-Sichtungsturnier teilnehmen durften.Genau dies hat der Verband Westfalen zum "Kopfschütteln" Beckers verfügt: "Wir sind doch keine Konkurrenzveranstaltung zum DTB, das müßte inzwischen auch dem letzten Kritiker klar sein."

JÖRG ALLMEROTH (MAIN)

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