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In der Alten Försterei. Ob es beim offiziellen Fototermin des Zweitligisten Union Berlin für die neue Saison auch ein üppiges Buffet gegeben hat? Die Präsenz der Presse lässt ebendies schwer vermuten.

© dpa

Willmann hat wieder Lust auf Fußball: Das Märchen von den längsgestreiften Hemden

Zum Start der Zweiten Liga ist unser Kolumnist Frank Willmann wieder da. In seiner ersten Kolumne zur neuen Saison führt er Sie, liebe Leser, aufs Wasser. Dort zeigte sich die Vereinsspitze des 1. FC Union einig wie die Heilige Dreifaltigkeit.

Es ist Zeit, den Sommerschlaf zu beenden. Hört ihr es nicht? Dieses Raunen in den Ulmen und Eichen. Es ist die neue Fußballsaison mit all ihrer Unschuld und ihren verzückenden Botschaften, die unsere fußballverrückten Löffel zum Schwirren bringt. Die Dritte Liga lässt die Bälle bereits fliegen, am Wochenende folgt die Zweite Liga und der Rest lässt auch nicht mehr lange auf sich warten.

Endlich hat das Leben wieder einen tieferen Sinn. Jetzt wird jedes Wochenende ein Fest. Dramen, Lustspiele und Fisimatenten der Schiedsrichter bestimmen unser Fan-Dasein. Von jetzt auf gleich mutieren harte Männer und Frauen zu Memmen, wenn ihre heißgeliebten Klubs am Rande des Abgrunds taumeln oder den höchsten Siegerlorbeer frohgemut haschen. Ich fühle mich drei Zentimeter größer, hadere im Vorfeld vorsichtshalber aber pro forma mit meinem Schicksal. Und freue mich doch mächtig gewaltig. Wenn ich am Wochenende den ersten Anpfiff live erlebe, mich jungfräuliche Bratwurstdüfte umwerben. Was gibt es schöneres als ein fett gefülltes Stadion, zwei motivierte Mannschaften und geschmackvolles Gekreische von den Rängen?

Einen entzückenden Vorgeschmack kommender Pressebüffets bot am Montag der 1. FC Union Berlin. Auf einem lauschigen Spree-Boot wurde eine gute Stunde lang in Mitte die braune Brühe, welche unser Berlin durchfließt, betuckert. Von Union-Seite standen Präsident Dirk Zingler, Trainer Uwe Neuhaus, Pressechef Christian Arbeit und ein mir unbekannter Mann für die eisernen Finanzen Rede und Antwort. Außer dem Geldmann traten alle Herren in gestreiften Hemden auf. Die Hemden waren langärmelig und verschiedenfarbig. Längsgestreift. Langärmelig. Verschiedenfarbig. Ein starkes Bild. Zumal die drei Herren bestätigten, dass die Auswahl der Hemden unabgesprochen verlief. Die Dreifaltigkeit verkündete Einigkeit in Wille und Vorstellung. Da bekanntlich der Wille erlöst, erzeugte dieses Bild der drei Herren in mir eine starke Vision.

Dreieinigkeit. Vision. Der Dom. Angefüllt mit allerhand alten toten Fritzen gleich gegenüber. Pünktlich 17 Uhr 59 posierte ich auf schwankenden Grund und meinte recht lässig, Union wäre für mich ein Aufstiegsaspirant. Ein befreundeter Journalist fasste sich an die Nase, kratzte sich die Nase. Selbst im saupreussigen Berlin ist bienenfleißiges Werkeln möglich! Köpenicker Einfallsreichtum fernab großkopferter Einfaltspinselei. Solide und unaufgeregte Arbeit seit Jahren, eingespieltes Balltreter-Ensemble, das permanent weiter entwickelt wird. Aufrichtiger Schulterschluss zwischen Fanpräsident, Team und Anhängern.

Plötzlich läuteten die Glocken vom Dom gegenüber. Das muss ein Omen sein. Mindestens die Verkündigung eines Wunders! Oder einfach nur das tägliche 18 Uhr Glockenläuten? Man weiß es nicht. Man steckt nicht drin. Und auch nicht dahinter. Doch Aberglauben und Schabernack gehören zum Fußball wie der Gabensack zum Weihnachtsmann. Womit wir beim Thema Geschenk wären. Geschenke werden im Fußball oft und gern verteilt. Ich betrachtete zum Beispiel die Fahrt auf der Spree als Geschenk.

Bei Pressekonferenzen denkt die Mehrheit der Journalisten ans Essen

Union-Präsi Zingler verkündete dies und das, die meist männlichen Pressemenschen lauschten und ließen das Büffet nicht aus den Augen. Pressekonferenzen sind stupide Performances. Alle tun so, als ginge es um unglaublich ernsthafte Dinge. Hochkonzentrierte Sportjournalisten schauen mit ehernem Sportjournalistenblick nach vorn. Vorn sitzen hochkonzentrierte Trainer, Pressesprecher, Präsidenten und blicken hochkonzentriert zurück. Wirkliche Neuigkeiten gibt’s nie zu hören, da jeder aus dem Journalistenmob seine Meldung exklusiv haben will. Also fragt man danach unter vier Augen. Die Mehrheit der Journalisten schweigt bei den so genannten Pressekonferenzen, denkt ans Essen, einer ist meist für die blöden Fragen zuständig. Selbst bei den blöden Fragen sind die Antworten immer gleich. Obwohl die Fragen des Fragenstellers der blöden Fragen wenigstens den Anflug eines spöttischen Lächelns in das Gesicht des Trainers zaubert.

Das Schiff schunkelte über die Spree, vorbei an Kanzleramt, Reichstag usw. Blauweiße Wolken stoben, wie als wollte der zweite Berliner Zweitligist allen zeigen, dass er auch noch da ist. Präsi Zingler, Trainer Neuhaus, Pressechef Arbeit und der mir unbekannte Mann für die Finanzen nahmen Worte wie: Meinungsgebung, Leistungsgrenze, Bodenständigkeit, Fannähe, Etaterhöhung. Fünfter bis siebter Platz in den Mund. Der zweite Berliner Zweitligist war ihnen kein Thema.
Wir schipperten und schipperten, Touristen staunten, eine Schar Holländer sang ein unverständliches Fußballlied und winkte uns zu. Die Schar der Sportjournalisten blickte regungslos zurück. Union-Präsi Zingler lächelte ein ganz klein wenig. Hatte er seine Freude an diesem Tag? Wir schipperten auch an der früheren Wohnung von Markus Wolf, genannt Mischa vorbei. Bevor dieser Kochbücher verfasste, war er 34 Jahre Chef der Hauptabteilung Aufklärung des MfS. Er soll sich nie für Fußball interessiert haben. Der arme Wicht!

Als es keine Fragen mehr gab, bedankten sich drei längsgestreifte und ein unifarben behemdete Unioner für unsere Aufmerksamkeit. Ich klatsche. Um mich für das leckere Büfett und das Herumschippern zu bedanken. Die Presseschar schaute mich schweigend an. Ein schlimmer Fehler. Eventuell ein Ausdruck der Abhängigkeit. Niemals bedanken, immer ernst gucken. Denn selbst der Boulevard hält sich bei solchen Veranstaltungen für unabhängig. Man darf sich am Büffet bedienen. Auch reichlich. Aber immer ernst bleiben, immer im Dienst.

Beim Verlassen des Bootes bedankte ich mich beim Kapitän, der mich verschwörerisch angrinste. Was das nur zu bedeuten hat?

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