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Stille im Jenaer Fanblock. Man tauscht sich nur noch schriftlich mit der Mannschaft aus...

© Holger Arnold

Willmann in Jena: Auf  Platz 18 sprießt eventuell noch Leben

Der traditionsreiche FC Carl Zeiss Jena ist am Wochenende aus der Dritten Liga abgestiegen. Unser Kolumnist Frank Willmann weint den Thüringern mehr als eine Träne nach - und klammert sich noch an einen letzten Strohhalm.

Vorm Spiel übte ich die Woche über Stoßgebete gen Hölle, wo die alten Götter schmoren. Oh großer Peter Ducke, oh Eberhard Vogel, oh Eintagsfliege Andreas Bielau, helft unserem FC Carl Zeiss Jena in dieser schweren Stunde!

Hallo ihr da draußen. Wir alle kennen sie, die nackte, eisigkalte Abstiegsangst. Als wir noch unschuldig waren und die Welt gut war, lebten wir in lichten Hainen. Neben uns der garstige Rivale Rot-Weiß Erfurt rauschte wohl hin und wieder in den Hitkeller. Doch uns schien das ewige Licht, dank Papa Biermann, dem großen Lenker. Biermann, von 1975 bis 1989 Generaldirektor des VEB Carl Zeiss Jena, war im Besitz des ewigen Füllhorns und verteilte reichlich seine Gaben, um gar herrliche Fußballtreter nach Jena zu locken.

Heute sind unsere Sponsoren schmalhüftige Kuppler und Kleinversorger aus dem Holzland zwischen Zipfelmützenhausen und Michelsdorf. Ach, wie ist das Leben bitterböse, in Thüringen. Ich meißle es mit dem Vorschlaghammer in den Asphalt, der FCC ist sportlich abgestiegen. Ohne Elan und Würde siegte der Klub 1:0 gegen Wehen Wiesbaden. Doch es nutzte nichts. Zu schlecht die entwürdigende Bilanz. Alle anderen zogen die Schlinge aus dem Kopf, die nun den FCC ziert.

Herrlich schien die Sonne, ich mampfte Thüringer Rostbratwürstchen, doch niemand brüllte mir in die Gehörschnecken. Stimmungsboykott in Jena seit einigen Spieltagen. Keine Gesänge, kein Fahnenmeer, kein Schalgewitter. Scheiß Team, drei Jahre Scheiße, heißt das Motto der Ultras. Die Fans waren lange Zeit motiviert das Team anzufeuern, doch irgendwann war ihre Geduld zu Ende. Seitdem schweigt der Mob. Und hofft auf bessere Tage. Trotzdem besteht eine Chance auf den Klassenerhalt.

Ein Spieltag steht noch aus, es muss in Bayern ein Sieg her, um wenigstens Platz 18 zu erreichen. Gleichzeitig muss man auf Unterstützung aus Erfurt hoffen. Ausgerechnet Erfurt muss am letzten Spieltag Oberhausen vernichten. Platz  achtzehn, du Platz an der Sonne. Auf  Platz 18 sprießt eventuell Leben. Die einzige Chance nicht nach Bautzen zu kommen, ist das magische Wort Lizenzentzug. Klingt unverschämt nach Wettbewerbsbeschiss. Ist Beschiss, doch nur so wir können weiter an unserem Privatkino häkeln.

Die Hoffnung in Jena ruht auf Rostock, Unterhaching, Oberhausen und Bielefeld

Letztes Jahr erwischte es zwei Mannschaften, deren Namen man schon fast nicht mehr kennt. Auch sie hatten Fans, die nun auf einer zugigen Überlandstrasse, abgehakt von der Fußballwelt, elendes Siechtum erdulden. Plötzlich bankrott und arm zu sein, ist eine schreckliche Situation, mit der die meisten Vereine nicht umgehen können. Sie versinken im chronischen Sumpf des Vergessens. Einige Klubs werden in den nächsten Tagen morgens noch als Prinzen aufstehen, um abends als hässliches Entlein zu Bett zu gehen. Prinzen zu Bettelknaben.

Es wird mir verhältnismäßig warm um die Hirnlappen, wenn ich an Rostock, Unterhaching, Oberhausen und Bielefeld denke. Alles feine Kandidaten für die Rolle des hässlichen Entleins. Oder nennen wir es zerknirschten Rückzug aus dem Profigeschäft. Mir egal? Nee, nicht ganz. Der Fußball wird durch solche Geschichten nicht sauberer und auch nicht unschuldiger. Hat vielleicht irgendwer die Lizenz im Vorfeld gar zu treuherzig erteilt? Ist unser ganzes Profisystem nur eine perverse Geldmaschine? Aber wer will fußballfrei wie eine Elfe auf der bunten Blumenwiese tanzen? 

Klare Botschaft an das Absteiger-Team.
Klare Botschaft an das Absteiger-Team.

© Holger Arnold

So ein Lizenzentzug kann mit Einspruch usw. dauern. Und was macht der FCC inzwischen? Zwei oder drei Spielerverträge gelten auch für die Regionalliga, zu wenig um einigermaßen planen zu können. Ein ratloser Präsident reibt sich ratlos die Nase, daneben ratlose Fans. Was Trainer Sander tut, weiß nur der Osterhase. Der Rest ist verbiesterte Grummelei und Sichverkriechen. Verkriechen um die Jammerharve zu schlagen. Seit zwei Jahren versucht RB Leipzig mit massivem Geldeinsatz aus der Regionalliga zu gelangen, sie werden wohl wieder scheitern. Was für eine Heimsuchung! Welches Albtraumszenario für 2012/13. Das stolze Jena rennt An der Alten Försterei gegen Unions zweite Mannschaft der Pille hinterher. Oder bei Cottbus zwei. Wo die Erde kein Fußball, sondern eine Scheibe ist. Ich reibe mir die schwielenfreien Tatzen und denke an den nächsten Winter. Bellende Winde, feiner Hagel, der uns die Haut von der Wange raspelt.

Bei Sonnenschein zum Fußball gehen kann jeder. Erst wenn Hagel uns zu vernichten droht, zeigt sich der wahre Held. Lasset uns ehrlich sein. In jedem von uns steckt ein kleiner Heiland, wenn es ums Wohl und Wehe des geliebten Klubs geht. Denn wir wissen bei aller Winselei, wir haben ja nur diesen einen Klub. Dem wir mit all unseren großen und kleinen Gefühlen über Jahre die Treue hielten. Insofern grapschen wir alle nach der Glaskugel, putzen sie eifrig und hoffen, dass es irgendwie noch gut geht. Mit Glück, Beschiss, gemeinem Maselantentum. Nur Bitte bewahrt uns vorm Abstieg ins Nichts.

Eine Katharsis die Hertha BSC oder dem 1. FC Köln noch bevorsteht. Ertragt es mit Demut. Auch wenn euch eure seelenlosen Großklubs manchmal ganz schön blöd kommen. Sucht immer nach der Sonnenseite des Lebens. Manche Dinge im Leben sind schlecht. Sie können uns wirklich wahnsinnig machen. Wenn der Knorpel des Lebens uns dengelt, bleibt cool. Haltet besser Ausschau nach einer Trillerpfeife, einem Fußball, zwei Toren. Diese paar Sachen reichen, um uns glücklich zu machen.

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