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Der verstorbene Nico.

© Ernie

Willmanns Kolumne: Band der Brüderlichkeit

Von Pankow aus in eine Leipziger Chaoswohngemeinschaft. Frank Willmann preist in seiner wöchentlichen Kolumne die Vorzüge einander vertrauender Männerkreise.

Schon mein Berufsgenosse Shakespeare wusste die Vorzüge einander vertrauender Männerkreise in den höchsten Tönen zu preisen. Und es obliegt mir heute, einen Lobgesang auf die Brüderlichkeit zu singen, einer muss es ja schließlich tun.  

Mein einsamer Weg führte mich vor kurzem ins gemütliche Pankow. Bei hoher HinterdemFensterOmaDichte strahlte der Stadtteil eine gewisse Düsternis aus. Mehrere Eichen knarzten und ein buschiges Wesen mit Schwanz und Hörnern querte vor mir die Straße. Kein Mensch weit und breit, ganz hinten leuchtete der helle Schein einer Laterne. Ich war mit einer Gruppe BFC-Fans verabredet. Wir wollten uns bei Kerzenlicht und schwerem Bier, die eine oder andere Geschichte erzählen.

Nichts ist so fesselnd wie die reine Angst, die in uns schlummert. Meist döst sie apathisch und gut verrammelt in unseren Nebenhirn, doch mitunter steckt sie ihr Köpfchen raus und schnuppert Morgenluft.  In außergewöhnlichen Situationen spüren wir bisweilen einen Dunst dessen, was unsere Stammväter in den zähen Momenten des Elends, der Koliken und des Kampfes durchstehen mussten. Wenn im Geiste Gevatter Tod die Sense wetzt und schon mal den Nachen klarmacht.

Wie schon gesagt, es schliefen fast alle in Pankow, oder taten so. Bis auf diese Gruppe BFC-affiner Herren in den besten Jahren. Sie treffen sich seit Jahren einmal im Monat am gastlichen Ort, um miteinander die Geschicke und Bürden ihres Vereins zu teilen. Brot, geistige Getränke und gute Worte. T. gehört ein Reisebüro, F. ist Lagerarbeiter, M. ist Pathologe, R. Anwalt und M. Frührentner. Ein Querschnitt durch unsere Gesellschaft, ein beglücktes Häuflein Brüder. Fußballfans, die unsterblichen Seelen der Vereine. Mitunter extrem leidensfähig, wer stromert schon freiwillig jahrzehntelang über triste Dörfer? Kommt man ihnen nicht mit dem Holzhammer, erfährt man als Außenstehender Zuneigung und Respekt. Das Eine, das uns alle beseelt, unser Verein. Manchmal bin ich tatsächlich wieder Kind. Kind unter Kindern. Die mit dreizehn Jahren aufgeregt zu ihrem ersten Auswärtsspiel fahren. Die mit roten Wangen den Erzählungen der Älteren lauschen. Was man im Chemie-Stadium zu erwarten hätte, wie gefährlich die Einheimischen seien und wer der Berüchtigtste unter ihnen ist: Menne der Barbar, Lehmann der Unerbittliche, Peking, der lederbemantelte Rächer der verloren Jungs.

Mit viel zu viel Adrenalin im Blut rauschte ich danach zur Buchmesse. Ein Ort der Qual die Messehallen, umso freudvoller ging es in einem Vorortpub zu.  Etliche LOK-Fans teilten den Abend mit mir, blaugelbe Netzwerker und Fanprojekt hatten geladen. Leipzig ist fußballtechnisch verzwickt. Lok, Chemie, Leipzig-Leutzsch, Roter Stern und RB kommen einander ungern ins Gehege. Heute LOK, naturgemäß lässt sich kein Fan eines anderen Leipziger Clubs sehen. Ich las ein paar Geschichten vor.

Die Nachricht von Nicos Krebstod. Plötzlich: Stille.

Ein junger Hansa-Suptra bleibt eines Nachts während eines schweren Unwetters mit dem Personenkraftwagen liegen. Er findet Unterschlupf bei einem distinguierten Mann, der in dieser Nacht auch keinen Schlaf findet. Aus dem Gefühl der Verpflichtung heraus, schildert ihm der Hansa-Suptra sein Leben. Die Elegien hörte nie ein Mensch zuvor. Doch ahnt der junge Hansa-Suptra nicht, wer sein Gastgeber wirklich ist…

Die Auflösung der Geschichte erfolgt in mindestens fünf Varianten. Die LOKI´s lauschten nicht nur meinen Schauermärchen. Heute Abend sollte Clubgeschichte geschmiedet werden. Lok Leipzig steht wieder mal am Abgrund, das alte Präsidium ist ganz Agonie. Also müssen engagierte Leute ran, um die alte Dampflok wieder  klar zu machen. Weg mit dem inaktiven Vorstand und selbst das Regime übernehmen. Wenn's sein muss mit friedlichen Mitteln! Schwerter zu Pflugscharen. Es soll jeden Montag eine „Montagsdemo“ gegen das Präsidium geben. In Leipzig ein probates Mittel, wobei der Spaß an einer solchen Aktion zusätzliche Kräfte frei machen dürfte.

Jetzt wird’s kompliziert.

Mein holdes Haupt durfte ich in einer roten Leipziger Chaoswohngemeinschaft betten. Hoch droben thront Alekto, die bei der Jagd Unaufhörliche.  Sie schenkt mitunter ihre Gunst Meister Propper. Chemie für die Küche. Und wenn die Katze mal Pippi muss, geht’s rein in die Laubsägearbeit aus der Halbgöttin Hand. Des Chemikers Katzenklo – ein originalgetreuer Nachbau des Jenaer Ernst Abbe Sportfeldes.

Fußballfolklore, großartige Alberei, naturgemäß wäre mir ein Katzenklo in rot-weiß lieber gewesen.

Am Ende der Reise stand der Besuch meiner blaugelbweißen Sippschaft in Jena. Unter streng konspirativen Maßnahmen gab ich am Nachmittag im Stadtmuseum alles. Dort läuft gerade eine feine Ausstellung zur Geschichte des Fußballs in Jena. Am Abend lud die Horda Azzuro. Alt und jung vereint, gemeinsam wollten wir den März-Mond besingen und bespringen. Auf das er unserem gefallenen Club eine glorreiche Zukunft bringen möge. Ein prächtiger Männerchor, alle halten sich fest umarmt und singen Wir woll'n Jena, wir woll'n Jena, wir woll'n Jena, siegen seh'n! Oh, wie wär' das, oh, wie wär' das, Oh, wie wär' das wunderschön!

Es kam anders. Der Austausch von Schwänken aus unserer Jugendzeit war in vollem Gange, als die Nachricht von Nicos viel zu frühem Krebstod die Runde machte. Stille.

Lieber Nico, dir zur Erinnerung dieser Text.

„We few, we happy few, we band of brothers“

PS: Suptras – Rostocker Ultras, Horda Azzuro -  Jenaer Ultras

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