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Einmal tief durchatmen: Union-Trainer Norbert Düwel stand beim Spiel gegen den SV Sandhausen gehörig unter Druck.

© dpa

Willmanns Kolumne: Das Düweldrama

Unser Kolumnist Frank Willmann war am Samstag mal wieder beim 1. FC Union, um die Laubsägearbeiten am Stuhl von Trainer Norbert Düwel zu beobachten - und genoss den Moment, als Düwel seinem Trainerschicksal ein Schnippchen geschlagen hatte.

Melancholische Gitarrengewitter aus dem Autoradio auf meinem Weg an die Alte Försterei. Element of Crime sang von Raben, die auf einem Baum sitzen und Passanten freudig ins Genick scheißen. Der Streik entrechteter Lokführer ließ den S-Bahnfahrplan implodieren. In Köpenick ging das Düweldrama in die nächste Runde. 17.000 Berliner und handgezählte 39 Sandhauser wollten dabei sein. Sonntag 13 Uhr, die Alte Försterei in Nebel gehüllt. Flutlichter an! Aber was für eine merkwürdige Ruhe vor dem Spiel. Es roch nach Angst.

Muss man als erfolgreicher Trainer gemein, gierig, schamlos und aggressiv sein? Oder sind gescheite, kompetente und soziale Typen gefragt? Bringen Egoisten und Psychopathen einen Club in Schieflage, oder sind sie genau jener Ausgleich, der ein ausgewogenes Bild ergibt? Ich bin für nette und intelligente Menschen zu haben, deshalb gehöre ich auch ins Lager der Düwelversteher. Er beschert Unions Psyche Eigenschaften, die in der langen Ära des knurrigen Effendis Neuhaus nicht gefragt waren.

Vorm Spiel zeigte sich die Fanschar gespalten. Der Abgang des Volkshelden Mattuschka hing noch immer wie modriger Gestank über dem Stadion. Auch weil sein Kapitäns-Nachfolger Kreilach bisher nicht als der große Wurf zu charakterisieren ist. Einige Fans fordern Geduld, zu ihnen gehört auch Unionchef Zingler, der in diesen Wochen um sein Präsidentenamt nicht zu beneiden ist.

Noch stand Norbert Düwel in seiner Funktion als Trainer vor der Bank. Unions Pressetribüne war am Samstag spärlich gefüllt. Ich kuschelte mich an einen Arbeitskameradenpulk. Die meisten Sportschreiber hofften auf fette Beute. Jeder Fehler Unions wurde bissig kommentiert. Die Fußballdichtung ist ein strenges Geschäft. Wenigstens ein Zitat, meinetwegen ein gottverdammtes Gerücht.  Alle Tage müssen neue Nachrichten her, der verehrenswerte Leser soll unterhalten werden. Andernfalls fühlt er sich vielleicht von der Zeitung allein gelassen und  wechselt zur Konkurrenz. Keine Geistesarmut ist dämlich genug, um in bestimmten Medien nicht damit zu punkten. Scheiß auf die Moralische Dekadenz. Es gibt weder Gnade noch Raum für Barmherzigkeit. Und wenn, dann um eine Geschichte besonders schön zu salben. In Krisenzeiten flutschen solche Texte flink. Also Messer wetzen, endlich was los An der Alten Försterei. Ich bin wahrscheinlich zu weich. Und für dieses Geschäft ungeeignet. Mir tat Düwel leid. Ich hatte keine Lust auf Schlachtfest. Doch die Meute machte sich bereit für den Abgesang.

Spielen und Siegen. Düwel erlebte den Anpfiff mit verschränkten Armen. Er stand ganz rechts im Trainerbereich. Kein feiner Zwirn, um Seriosität zu suggerieren. Er hatte unter anderen den Torwart gewechselt. Für Haas stand Amsif im Tor. Union spielte in den ersten fünfundvierzig Minuten schlecht. Nach zehn Minuten steckte Düwel die Hände in die Taschen seiner Hose. Er spürte, dass es nicht gut lief. Zu ängstlich, 11 scheue Unionrehlein. Nach fünfzehn Minuten verschränkte Düwel wieder die Arme. In der 24. Minute erzielte Sandhausen das 1:0. Torwart Amsif und Schönheim sahen bei einem von rechts geschlagenen Freistoß nicht gut aus.

Lautes Gemurmel neben mir, einige professionelle Spielbeobachter hatten es schon immer gewusst, spätestens jetzt sei es klar, Düwel gescheitert, nun schön ernst drein schauen! Darauf einen Trauermarsch. Düwel holte sich Labsal aus der Wasserflasche. Unions Spiel wurde immer schlimmer. Sandhausen zählte die Erbsen. Kurz vor der Halbzeit schoß Union ein reguläres Tor, doch der Schiedsrichter versagte die Anerkennung. Düwel erregt. Er war in diesen Minuten der einsamste Mensch von Köpenick. Sonntag 13 Uhr 45 hatte er alle gegen sich. Zur Halbzeit gab es im Stadion keine Düwelversteher mehr.  Die Fans hielten sich trotzdem mehrheitlich zurück. Hatten sie vielleicht die feineren Antennen?

Ich verließ die grässliche Pressetribüne, bevor das aufgeregte Schnattern der Meute mir die Schädeldecke sprengte. Nach der Halbzeit spielte statt Unionkäpitän Kreilach der junge Zejnullahu. Sohn kosovarischer Kriegsflüchtlinge, denen Berlin neue Heimat wurde. Eine schöne Geschichte. Unter der eleganten Führung dieses Talents fand Union ins Spiel zurück. In der 60. Minute führten die Köpenicker mit 2:1. Es gab blitzartig im Stadion keinen Menschen mehr, der nicht Trainer Düwel liebte. Er hatte in einer halben Stunde dem eigenen Trainerschicksal ein Schnippchen geschlagen. Das war groß. Ein schöner Moment, wie er sich nach dem in der 80. Minute folgenden 3:1 kurz gehen ließ. In Sekundenbruchteilen lief diese Szene vor meinen Augen ab.  Die wilden Freudenschreie hingen noch in der Luft. Meine Fresse, welche Kräfte mögen in Düwel gewirkt haben? Ich kann mir nicht ausmalen, was das für ihn für ein Horror gewesen sein muss.

Die letzten Minuten standen alle Unionfans und schrien ihre Liebe raus. Ihre Mannschaft, ihr Stolz, ihr Verein. In der zweiten Halbzeit war es Fußball. Nicht glanzvoll, aber aufregend. Nach dem Abpfiff das große Trainerherzen. Innige Liebkosungen, ein warmer Moment. Es gab keinen Unioner, ob Spieler oder Funktionsteam, der Düwel nicht umarmt hätte. Eine intakte Gemeinschaft, trotz oder wegen der Laubsägearbeiten am Trainerstuhl.

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