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Dynamofans in ihrem Block im Stadion an der Alten Försterei.

© Willmann

Willmanns Kolumne: Der Fußball ist nicht gewaltfrei

Dynamo Dresden wird 60. Die Party zum Geburtstag steigt bei Union in Berlin. Die gestellten Busse bleiben ungenutzt, dafür gibt es Knatsch mit der Polizei. Auf dem Rasen wird die Friedenspfeife geraucht.

Als die Fans der SG Dynamo Dresden vergangenen Freitag am S-Bahnhof Spindlersfeld ankamen, bot sich ihnen ein bizarres Bild. Etliche von Union Berlin gestellte Busse standen bereit, um die feierfreudige Schar junger Erdenbürger ins Stadion An der Alten Försterei zu kutschieren. Eine unerwartete Maßnahme, da die Auswärtsfans in Berlin bisher immer zu Fuß ins Stadion marschieren durften. Die Fans reagierten auf ihre Weise, indem sie die bereitgestellten Busse ignorierten. Es folgte eine Megaphonansage der Berliner Polizei. „Herr Lehmann bitte, Herr Lehmann bitte“.

Unser Herr Lehmann ist nicht die aus dem Buch gefallene Romanfigur von Sven Regener, sondern der Kapo von UD, der Ultras Dynamo. Dynamo Dresden wurde am Freitag exakt sechzig Jahre alt. Eigentlich ein Grund, mit besonderen Choreographien und infernalischem Lärm den Tag zu begehen. Die Zugfahrt von Dresden nach Berlin war friedlicher Spaß. Auch weil keine Polizisten, sondern nur zehn Dynamoordner im Zug waren. Nun standen die Fans, eingekesselt von allerhand Polizei, am S-Bahnhof. Und Herr Lehmann sollte die Angelegenheit richten. Für die Fans gab es nichts zu richten. Sie wollten, wie alle anderen Fangruppierungen vor ihnen, die Möglichkeit eines Fanmarschs zum Stadion nutzen. Herr Lehmann spürte keine Veranlassung, die Dynamofans zum Betreten der Shuttlebusse zu motivieren. Die Gemüter kochten auf beiden Seiten ein wenig hoch, letztendlich hatte aber die Polizeileitung eine zündende Idee und ließ die Fans zum Stadion marschieren. Ob das an der Weitsicht der Polizei, oder einfach nur an der großen Masse an Fans lag? Zum Schutz der Berliner Luft und ihrer Einatmer, liefen gepanzerte Polizisten neben den Fans. Wer nicht schnell genug lief, bekam schon mal den Knüppel auf den Hintern. Die Köpenicker Anwohner hatten Angst um ihre Autos und Vorgärten. Vorm Stadion staute sich der Karnevalsumzug. Naturgemäß werden bei einem Sicherheitsspiel die Fans besonders intensiv nach Dingen untersucht, die laut Stadionordnung verboten sind. Das kann dauern. Auch machte vorm Spiel in gut informierten Kreisen eine Botschaft die Runde. Angeblich wollte Dynamo den Eingangsbereich im Sturm erobern. Wie immer bei solchen im Netz kursierenden Gerüchten, weiß man nie genau, wer hinter diesen Anstößen liegt. Fakt ist: einige Fans hatten keine Eintrittskarte und wollten schauen was geht. Die Polizei war gewarnt. Sie wartete auf Angriffe der Fans gegen das unschuldige Stadiontor. Die Masse geriet wegen der Kontrollen ins Stocken. Es juckte heftig in den Fäusten. Aggression in beiden Lagern. Dazwischen die Mehrzahl der Fans ohne Bock auf Gewalt, hilflose Dynamoordner und Fanprojektmitarbeiter. Auge um Auge. Zahn um Zahn. Gewalt kann nur mit Gewalt beantwortet werden. Einigen Fans, juckte es dito in den Knochen, andere fühlten sich durch die strengen Polizeikontrollen drangsaliert.

Katz-und-Maus-Spiel zwischen Kasperle und Polizei

Unter jedem großen Fanmob befinden sich tolldreiste Aspiranten. Motiviert vom Suff, Drogen, auf Grund fehlender Manneswürde auf Randale aus. Impotente Wesen, fernab jeder Fankultur. Eine Bierflasche flog in Richtung Polizeikette. Die Sandkastenspieler am Rand gaben ihr Zeichen und eine erbärmliche Prügelei nahm ihren Lauf. Auch der Herr Lehmann bekam sein Teil ab. Schubsviecher schubsten Schubsviecher, Freunde des Reizgasangriffs kamen nicht zu kurz. Solche kleinen Polizeiaktionen sind günstige Momente, um die Seele und den Knüppel mal baumeln zu lassen. Sehr schnell war die Frage nach dem Chef im Ring geklärt. In der Folge wurden einige Fans zugeführt, in den Polizeigewahrsam genommen. Obgleich die Polizeikräfte schwer gepanzert vorgingen, verletzten sich Polizisten bei dieser Aktion. Wie immer bei solchen Vorfällen, machte die Polizei im Nachgang nur Angaben über die verletzten Polizei-Kollegen. Ich schaute mir das Schubsspektakel mäßig interessiert an, da ich Nötigung und Gewalt grundsätzlich ablehne. Es ist immer wieder bemerkenswert, wie schnell bei allen Beteiligten wegen Kleinkram die Sicherungen durchbrennen. Jeweils zwei Polizisten führten einige inhaftierte Fans ab. Die Gesichter der Fans verrieten Trotz, Angst und Wut. Die Gesichter der Polizisten verrieten ebenfalls Trotz, Angst und Wut. Gepaart jedoch mit einer gewissen Genugtuung, da ihnen einige der Störenfriede ins Netz gegangen waren. So bekam ihr Einsatz einen Sinn. Die Fans durften sich schon vor der Reise nach Berlin großer Aufmerksamkeit sicher sein. Die abenteuerliche Fahrt nach Berlin, die vielen Polizisten. Schweinesystem und so. Da kann man stolz auf sich sein. Der Mensch wächst mit seiner Aufgabe. Die Aufgabe: das große Katz-und-Maus-Spiel zwischen Kasperle und Polizist. Ich argwöhne, beide Seiten hatten Spaß an der Sache. Die hopsgenommen Fans saßen nicht lange fest. Zur Rückfahrt nach Dresden war die Schar fast wieder komplett. Nur einer wurde vergessen und nahm den Frühzug am Samstag. Ich weiß nicht, ob es für die festgenommenen Fans tiefe Genugtuung war, mit festem Griff und dezidierten Arschtritten gegriffen zu werden. Der Lohn solcher Veranstaltungen heißt Stadionverbot. Mitunter geschwängert von einem Körperverletzungsverfahren.

Unionfans vor dem Stadioneingang.
Unionfans vor dem Stadioneingang.

© Willmann

Den Anpfiff erlebten Herr Lehmann & Co vorm Stadion. Etwa zehn Minuten später waren alle Dresdenfans mit Eintrittskarte im Gästebereich und ein solider Support ertönte aus beiden Fanlagern. Die Wunden wurden geleckt, als erstes schmetterte Dynamo: Äiii-Siii-Eiii-Biii – wir vergessen nie. Das klang recht putzig in meinen Ohren, auch einige Polizisten wischten sich die Tränen aus dem Gesicht. Ist das nun Haudegengeschrammel oder Jammerlyrik? Ich hockte auf der schicken, neuen Tribüne. Angeblich sollen Dresdner die Schrauben des Begrenzungszaunes zum Spielfeld gelockert haben. Ich habe nichts dergleichen gesehen. Frage mich auch, wie sie das entsprechende Werkzeug ins Stadion bekommen haben sollen. Zum Spiel gibt’s nichts zu sagen. Zweiundzwanzig sächsisch-preußische Friedenspfeifen. Neben mir ein Haufen Dresdner Vatis. Wir kamen nett ins Gespräch. Wieso heißt Sachsen Sachsen und Preußen Brandenburg? Politik gehört immer ins Stadion. Wenigstens in einem seien die Sachsen deutschlandweit vorn. Die meisten langdienenden Bundeswehrsoldaten, die an Brennpunkten wie Afghanistan ihren Hintern ins Feuer halten, kommen aus Sachsen.

„Von Dresden bis ins Kosovo, immer wieder Dynamo. Überall und nirgendwo, immer wieder Dynamo.“ Das ergab nun Sinn. Durchaus anarchische Qualität hatte der Dauergesang, begleitet von einem Trommler und eineinhalb Einpeitschern, mal Tremolo, mal Vibrato. Union antwortete: „Dem Morgengrauen entgegen, zieh'n wir gegen den Wind. Wir werden alles zerlegen. Bis wir Deutscher Meister sind. FC Union du sollst leuchten, wie der hellste Heiligenschein. Und überall soll es heißen: FC UNION unser Verein.“ Gefühlsbetonte Schlosserjungenlyrik. Alles zerlegen ist natürlich nicht ernst gemeint (außer manchmal). Die Rückfahrt genoss ich zu später Stunde in der S-Bahn. Sie hielt alle Nase lang. Im Waggon vom Alkohol heimgesuchte Fußballfans neben verängstigten Fahrgästen. Die Fans unterhielten sich über die vielen Schwulen im deutschen Fußball. „Lahm ist voll schwul, Gomez ooch. Löw und sein Assi mindestens halbschwul.“ Sie schauten mich polemisch an. Ich sagte: „Der deutsche Fußball und die deutsche Fankultur sind durch und durch homosexuell. Wir können sogar verschiedene schwule Strömungen unterscheiden: Schwule, Schwuchteln, Tunten, Tucken ...“

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