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Während des Spiels zeigen die Fans ordentlich Flagge. Im Hintergrund: das dreieckige Sozialbaumonster.

© Carsten Pilger

Willmanns Kolumne: Der letzte Pogo in Paris

Frank Willmann sind die kleinen Vereine mit ihren tollwütigen Fans tausendmal lieber als jedes Produkt der Fußballgeschäftswelt. Red Star Paris ist genau so ein Verein - und feierte am Wochenende den seltsamsten Aufstieg aller Zeiten.

Als wir am Gare du Nord ans Tageslicht traten, breitete sich vor uns ein Zeltlager afrikanischer Flüchtlinge aus. Über dem Lager, das augenscheinlich keinen kümmert, fährt die U-Bahn. Unten leben, lieben und hoffen die Menschen. Unsere billige Absteige im Hotel Nilpferd bot uns einen verträumten Blick auf die Brandwand gegenüber. Es duftete nach Cannabis, Couscous und Schweißfuß, doch wir waren nicht zum Schöner Wohnen hier.

Warum musste ich nur unbedingt in dieses verlotterte Pariser Vorortstadion, um einen Drittligisten dort aufsteigen zu sehen? Wo es doch tags darauf den großen Zlatan Ibrahimovic und Co. im Prinzenpark zu bewundern gab? Weil ich ein hoffnungsfroher Fußballphantast bin! Und mir die kleinen Clubs mit ihre tollwütigen Fans tausendmal lieber sind als jedes Produkt der Fußballgeschäftswelt.

Am Freitag drehte Red Star Paris im Stade Bauer eine Ehrenrunde. Der einstige Arbeiterverein aus dem Pariser Norden hat überraschend die Meisterschaft gewonnen und spielt nächstes Jahr in der zweiten Liga. Die aktiven Red-Star-Fans kommen aus der alternativen Szene, wer keine Lust auf PSG hat, ist hier richtig. Neben den Freaks aus der Kurve und einigen antifaschistischen Kämpen (Herr Bauer war ein Antifaschist, der 1942 erschossen wurde), sitzen viele kleine Leute aus dem Viertel im Stadion, ein großer Teil von ihnen ist arabischstämmig. Die Karte kostet knapp zehn Euro, Bier gibt es im Stadion nicht. Überhaupt steckt die Versorgung der Zuschauer noch in den Kinderschuhen. Das mag am Besitzer liegen, der sich mit seiner bunten Fanszene nicht recht wohl zu fühlen scheint.

Das Stade Bauer, ein kleines, enges, altes und vor sich hin verfallendes Stadtteilstadion

Wer ins Stade Bauer will, fährt mit der U-Bahn bis zur Endstation Porte de Clignancourt. Quert man nun die Stadtautobahn, ist man schon fast im Vorort Saint-Quen. Schnell vorbei an einer Allee wohlmeinender Schwarzmarkhändler, die von gefälschten Markenartikeln über Dope bis zur eigenen Tochter alles im Angebot haben. Dann liegt er vor uns, der goldene Pfad ins Glück, die Rue Dr. Bauer. Und mittendrin das Stade Bauer. Bauer ist ein kleines, enges, altes und vor sich hin verfallendes Stadtteilstadion.

Inmitten eines Wohngebiets nahe des größten Pariser Flohmarkts gelegen, hatten wir von der Haupttribüne, nebenbei die einzige geöffnete Tribüne, das Stadion ist massiv vom Einsturz bedroht, einen schönen Blick auf das fein beleuchtete Sacrè Couer auf dem unweit befindlichen Montmatre. Die Tribünen des Bauer, das laut einhelliger Aussage der Fans eigentlich Stade de Paris heißt, sind nicht miteinander verbunden. Eine herzerfrischende Old School-Kulisse. Am Kopfende des Bauer fehlt die Tribüne. Hier haben sich die Stadionväter etwas Besonderes einfallen lassen. Ein dreieckiges Sozialbaumonster aus Beton begrenzt das Stade Bauer in Richtung Innenstadt. Es signalisiert: Gefahr! Bis hierher und nicht weiter! Hinter dem Monster liegt das Paris der Touristen, wo man bei Rot an der Ampel stehen bleibt und für eine Cola fünf Euro bezahlt. Direkt gegenüber dem Stadion steht seit Urzeiten die Kneipe Olympic. Für die Anhänger der zweitwichtigste Ort der Gegend. Ein Bier kostet zwei Euro.

Die Fans lieben ihre Ruine und verlassen sie auch nicht für die 2. Liga

Im Jahr 2002 stieg Red Star schon einmal in die 2. Liga auf. Der Club musste das Bauer verlassen, weil es nicht zweitligatauglich war. Ein Jahr später folgte der Absturz, auch weil die Fans den Umzug nicht mitmachten. Der Club taumelte bis in die sechste Liga. Nach dem Fall kroch Red Star wieder im Bauer unter. An der Zweitligauntauglichkeit hat sich schlappe dreizehn Jahre später nichts geändert. Weder Clubbesitzer noch Kommune haben in das Stade Bauer investiert. Es ist eine Ruine. Die Fans lieben diese Ruine. Bei einem Umzug, so ließ die Fankurve verlauten, würde man dem Club abermals nicht in ein anderes Stadion folgen. Auch weil sie nicht wissen, was der aktuelle Clubbesitzer mit Red Star vorhat. Ob der Verein nicht schon längst an den nächstbesten Investor verhökert ist? Nach dem Spiel stob eine Horde Anzugträger mehrfach über den Platz. Sie machte einen großen Bogen um die Fankurve, ließ sich flink mit dem Meisterschaftspokal ablichten und verschwand wieder. Nur drei Kilometer vom Bauer entfernt befindet sich das Stade de France. 81.338 Zuschauer. Schick, mit Tartanbahn und verschiebbaren Tribünen.

Während des Spiels zeigten die Fans ordentlich Flagge. Pyro, grünweiße Farbfontänen und alle fünf Minuten ein fieser Böller. In Deutschland wäre das Spiel längst abgepfiffen. Seltsamerweise keine Polizei, nur zehn Ordner schauten grimmig ins Publikum, trotzdem sangen die Fans: „Wer nicht hüpft ist Bulle! Red Star für immer im Stade Bauer“. Angeblich dürfen 2999 Zuschauer ins Bauer. Es waren bestimmt ein paar mehr. Die Fankurve macht etwa ein Drittel der Zuschauer aus. Star der Mannschaft ist David Bellion. Er ist um die dreißig und kickte früher bei Bordeaux und MU. In der Premier League soll er es immerhin auf Platz eins oder zwei des schlechtesten Spielers aller Zeiten  geschafft haben. Bei Red Star ist er Number one.

Der seltsamste Aufstieg aller Zeiten

Die Fans sangen immer lauter: „Red Star gibt es nur im Stade Bauer!“ Der Besitzer ließ sich davon nicht beeindrucken. Keine Ansprache, kein Dank, kein Bad in der Menge, kein gemeinsamer Ringelpiez. Der seltsamste Aufstieg aller Zeiten. Nur ein Spieler kam zu den misstrauischen Fans, der Rest der Mannschaft feierte sich samt Funktionären und Sponsoren in der hintersten Ecke des Stadions selbst. Als mehr und mehr Fans den Kunstrasenplatz stürmten, verzog sich die Mannschaft in die Kabinen. Nur der alte Kapitän und Held zahlreicher Siege ließ sich von den Massen auf Händen durch das Stadion tragen. Es war sein letztes Spiel für den Club, wie ich hinterher erfuhr.

Im solide abgefuckten Clubhaus des Vereins fand dann doch etwas wie eine kleine Feier mit Meisterschaftskäse, Wein und Schampus statt. Wir standen eine Weile käselutschend herum, kein Spieler oder Offizieller ließ sich blicken. Bis plötzlich harte Beats an unser Ohr drangen. Punk in Paris? Tatsächlich! Gegenüber im Olympic tobte der Mob. Die Fans hatten ihre eigene Party organisiert, eine Punkband brachte die Masse zum Pogen. Es gab ehrliches Bier, die Fäuste wurden geschwungen, zum Schluss sangen Band und Fans a Capella trotzig „Red Star gibt es nur im Stade Bauer!“

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