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Interessiert sich der Verfassungsschutz auch für Fußballfans?

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Willmanns Kolumne: Der Verfassungsschutz, Martin Thein und ich

Der Verfassungsschutz beobachtet keine Fußballfans, meint der Verfassungsschutz. Unser Kolumnist Frank Willmann ist sich da nicht so sicher. Und steht mit dieser Meinung nicht allein da.

In meiner großzügig bemessenen Freizeit befasse ich mich ein wenig mit Fankultur. Das eine oder andere Büchlein erblickte wie durch ein Wunder das Licht der Welt. In den Arbeitspausen habe ich mich immer gern mit frischem Rinderhack verwöhnt, aber das tut eigentlich nichts zur Sache. Ein richtiger Journalist muss sich im Dienst der Menschheit gelegentlich in Gefahr begeben. Der Lohn sind aufrüttelnde Beiträge aus dem Schankraum des Lebens. Diese Beiträge treffen leider nicht Jedermanns Geschmack. Ja, es ist wahrscheinlich die Wahrheit! Auch an mir nagte ein wenig der Beißzahn der Geheimnistuer.

Ihr werdet es wissen. Letzte Woche berichteten unter anderem "Sport inside" und "3sat" über die Ausspähung von Ultragruppierungen durch den Verfassungsschutz. Mindestens zwei Rosstäuscher waren als Wissenschaftler (= Fanforscher) unterwegs. Ganz bestimmt in ihrer Freizeit. Denn hauptberuflich war mindestens einer von ihnen beim Verfassungsschutz tätig. Er heißt Martin Thein. Den Namen benutzte er mir gegenüber. Er soll V-Leute im Umfeld des NSU angeworben und geführt haben. Das verraten Stefan Aust und Dirk Laabs in ihrem Buch Heimatschutz. Laut Bundesregierung gehen derzeit 189 Agenten des Verfassungsschutzes Nebentätigkeiten nach. Als Bratwurstdealer, Taxifahrer und Wissenschaftler. Ist nun die Wissenschaft gefährdet? Ein Schelm, wer denkt, diese sei frei und unabhängig?

Richtige Fanforscher wie Gerd Dembowski sehen wegen der Personalie Martin Thein das Vertrauensverhältnis zwischen Wissenschaftlern (Forschern) und Fans (Auszuforschenden) massiv belastet. Verständlich, wenn Leute wie Martin Thein in Szenen auftauchen und dort Informationen für ihre Zwecke abschöpfen. Zu welchem Zwecke? War die Zersetzung der Szene eines der Ziele? Thein hat den von ihm kontaktierten und interviewten Personen nichts von seiner Tätigkeit für den Verfassungsschutz erzählt. Er hat die Menschen getäuscht, im Unklaren gelassen. Im klassischen Stil eines Geheimdienstmitarbeiters. Keiner von ihnen hätte mit einem Mitarbeiter des Verfassungsschutzes geklatscht.

Ich dichtete in einem Buch von Martin Thein mit. Ich tat es für Geld

Ungefähr 2011 trat Martin Thein in mein Leben. Er rief mich an, als einer der Gründer des Instituts für Fankultur. Er schmeichelte mir, strich mir sachgemäß um den Bart. Tolle Arbeit würde ich leisten, sei ein wichtiger Mann. Er sei auch Fanforscher, kämpfe für die Rechte der Ultras. Solche Kämpfer sind eher dünn gesät. Ich nahm Kontakt auf, er wurde mein Facebook-Freund und überschüttete mich mit Smileys, Likes - der ganzen  Palette Gedöns. Er machte sich an mich ran, wie es gut geschulte Auskundschafter perfekt beherrschen. Binnen kurzen erschienen vier von ihm herausgegebene Bücher zur Fußballkultur. Ich dichtete in einem mit. Ich tat es für Geld. Es ging in meinem Beitrag um Fankultur in der DDR, deren Unterwanderung und systematische Zersetzung durch die Staatsicherheit.

Im Frühjahr 2012 bat er mich, im Zuge der Fußball-Europameisterschaft an einer Sicherheitsstudie mitzuarbeiten. Bezahlt von katarischen Wüstensöhnen, deren "The International Centre for Sport Security" stünde dahinter. Ich sollte mit einem Wohnmobil durch Polen gondeln. Und die Fanströme beobachten. Kleine Berichte am Abend. Die Sicherheit Europas, die Sicherheit der ganzen Welt. Ich sagte "Nö". Das war unser letzter telefonischer Kontakt.

Nun ist Martin Thein untergetaucht, seit vielen Monaten nicht zu erreichen. Er ließ seinem Verlag über Dritte ausrichten, seine Arbeit als Fanforscher habe nichts zu tun mit seiner Tätigkeit für den Verfassungsschutz. Das Institut für Fankultur gibt es noch immer, nun ohne den Mitarbeiter Thein. "The International Centre for Sport Security" wird auf der Website des Instituts als Partner genannt.

Wenn Ultras frech werden, ist das natürlich ein Fall für den Geheimdienst

Spitzel und Spione hatten bestimmt eine schwere Kindheit und keine tolle Mutter, sagt mein Freund Charly. Ihre Familie ist der Dienst. Sie kämpfen an der unsichtbaren Front. Gegen die Feinde unserer geliebten Demokratie. Wenn Ultras frech werden, Pyro zünden und Typen wie Dietrich Mateschitz oder Dietmar Hopp beleidigen, ist das natürlich ein Fall für den Geheimdienst. Voll normal. Das erinnert mich an die Spitzeldienste des Ministeriums für Staatssicherheit in den Fanszenen der einstigen DDR-Klubs.

Der Verfassungsschutz beobachte keine Fußballfans, meint der Verfassungsschutz. Das MfS hat auch keine Fußballfans beobachtet. Das haben nur einige voreilige Tschekisten in ihrer knapp bemessenen Freizeit getan. Im Gegensatz zu Diktaturen sind Geheimdienste in Demokratien gläserne Einrichtungen. Aha. In meinem nächsten Albtraum frage ich unsere Bundeskanzlerin danach.

Am Sonntag, zur besten Tatortzeit, hockte ich in der Berliner Volksbühne beim Spitzelbashing. Dort hatte die Realitysoap "Anderson" Premiere. Der Titelgeber war in den 80ern der Dichterprinz des Prenzlauer Bergs. Bezahlt vom Ministerium für Staatssicherheit. Fünfhundert Aluchips pro Monat. Nach seiner Enttarnung durch Wolf Biermann Anfang der 90er mutierte er zu Sascha Arschloch. Schaffte aber in den Nullerjahren ein sensationelles Comeback. Er trat in eine bekannte, deutsche Schriftstellerfamilie ein. In Anderson können wir Anderson dabei zusehen, wie er sich aalgenau durchs Leben ringelt. Ob Martin Thein in zwanzig Jahren auch zu solch sportiven Höchstleistungen fähig sein wird?

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