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Fußball ist nicht nur Schwarzrotgold, Fußball ist auch bunt.

© dpa

Willmanns Kolumne: Die beschämende Doppelmoral im Fußball

Schwule Profis, die anonym bleiben müssen, fremdenfeindliche Vorfälle auf Berlins Plätzen und eine Sinnlosdebatte über die Mitsingpflicht der Nationalspieler bei der Hymne. Wo bleiben Toleranz und Respekt im Fußball?

Wie krank muss unser Fußball sein, wenn sich homosexuelle Bundesligaspieler im Jahr 2012 noch immer verstecken müssen? Obgleich vor kurzem ein anglikanischer Erzbischof aus dem schönen Sydney recht hirnlos palavern durfte, dass Homosexualität gefährlicher als Rauchen sei, sehen wir in Deutschland (Gott sei Dank) Schwule und Minderheiten auf dem Vormarsch. Ein Behinderter als Finanzminister, ein Schwuler als Außenminister, ein Schwuler regiert Berlin. Aber erklärt mir doch mal, warum am Dienstag im Magazin fluter ein Bundesligaprofi ein anonymes Interview gab?

Die Fakten: Der schwule Spieler lebt in ständiger Furcht vor Entdeckung. Sein Bundesligateam kennt seine sexuelle Ausrichtung, man geht stillschweigend darüber hinweg. Bei öffentlichen Terminen holt er sich eine Freundin als offizielle Begleiterin. Um nicht aufzufallen. Er würde seine Homosexualität ableugnen, wenn sie zur Sprache käme. Er hat Angst vor den Reaktionen der Öffentlichkeit, der Fans. Weder vom Verein, noch vom DFB erhält er hinreichend Unterstützung. Obwohl der DFB nach außen hin für Toleranz und Respekt die Vuvuzela des Gutmenschengewäschs trötet. Zu den Fans fällt ihm folgender schöner Satz ein: „Ich habe mal gehört, dass in solchen aufgeheizten Stimmungen nur noch das Kleinhirn im Menschen regiert und da ist eben Toleranz nicht eingebaut.“

Was ist das für eine beschissene Doppelmoral? Einerseits Weltoffenheit zu mimen, dann aber ein Klima zulassen, das schwule Kicker in ständiger Angst vor Entdeckung leben lässt? Warum ist in den Fankurven Deutschlands das Wort Schwuler ein Schimpfwort? Die Mehrzahl der altbackenen DFB-Funktionäre und bornierte Fans sitzen hier im selben Boot der Intoleranz. Sind das längst vergessen geglaubte so genannte deutsche Tugenden, die im Fußball ein Leben im Verborgenen führen? Warum sollte andernfalls ein homosexueller Kicker Angst haben?

Wenn ein Ex-DFB-Präsident bemängelt, dass Deutsche mit Migrationshintergrund nicht die deutsche Nationalhymne anstimmen, ist einiges faul im Hirnkasten des Fußballs. "Der Bundestrainer muss die Singpflicht durchsetzen" … "wenn Löw einem seiner Spieler sagt, dass er singen muss, weil er sonst nicht mehr nominiert wird, dann wird er ganz schnell springen", schwätzte Mayer-Vorfelder via Boulevard Fußballdeutschland in die Gehörgänge. Solchen Typen darf keine Sprechzeit gewährt werden. Andernfalls mutiert unser geliebter Sport zum letzten Hort des dumpfsten Nationalismus, der Engstirnigkeit und Schwulenfeindlichkeit. Wenn sich Politiker sorgenvoll der Fan-Gewalt beim Fußball widmen, dürfen sie nicht vor verdrehten ewig gestrigen Hooligans wider den gesunden Menschenverstand die Augen verschließen. Was sind Mayer-Vorfelders Worte anders als verkappte Verächtlichkeiten unserer geschätzten Podolskis, Kloses, Khediras… Es gehört mehr Rücksicht und Farbe in unseren Fußball, ER ist nicht allein Schwarzrotgold. Es gibt keinen richtigen Fußball im falschen. 

Auch auf Berliner Fußballplätzen nehmen rassistische und ausländerfeindliche Vorfälle augenscheinlich zu. Allein in den letzten sechs Wochen gab es in Berlin sieben belegte Vorfälle. Das Türkische Sportbegegnungszentrum sammelt diese Ereignisse. Ein dicker Aktenordner ist angefüllt mit Zeugenaussagen, Verfahren vor Sportgerichten und Anzeigen. Meist üble Beleidigungen, die gegenüber Migranten geäußert worden sind. Von Spielern, Schiedsrichtern, Betreuern, Zuschauern. Gleichzeitig ruft das Türkische Sportbegegnungszentrum alle Fußballer mit Migrationshintergrund auf, sich nicht provozieren zu lassen und nicht auf rassistische Beleidigungen zu reagieren. Was nicht immer leicht ist und nicht immer gelingt. Wer fortwährend gedemütigt wird, schlägt irgendwann zurück.

Der Berliner Fußballverband ist eingeschaltet, einige Verfahren sind noch anhängig. Am Dienstag wurde einer der Fälle verhandelt. Es ging um Beleidigungen, einen daraus resultierenden Faustschlag und den Spielabbruch des Schiedsrichters unter Polizeischutz.

Das Terrain ist siedend heiß, man will die Geschehnisse nicht hochspielen und nennt das Kind nicht beim Namen. Von „unfreundlichen Worten“ ist die Rede, obgleich verschiedene Zeugen die Worte „Kanaken“ und „Gesindelvolk“ gehört haben. Das Gericht hat sich vertagt, nun soll am Freitag eine Entscheidung fallen.

Ende Mai dieses Jahres hatte das Sportgericht des Berliner Fußball-Verbandes den BSV Hürtürkel mit einer Aufsehen erregenden Strafe belegt. Zum ersten Mal kam der Paragraph 46, „Diskriminierung und ähnliche Tatbestände“ im Männerbereich zur Anwendung. Unter Punkt steht dort: „Verhalten sich Spieler Offizielle oder Zuschauer in irgendeiner Form rassistisch oder menschenverachtend (…) werden der betreffenden Mannschaft, sofern zuordenbar, beim ersten drei und beim zweiten Versuch sechs Punkte abgezogen.“ Hürtürkel wurden drei Punkte abgezogen, ein Spieler und der Trainer für eine bestimmte Zeit gesperrt.

Das Türkische Sportbegegnungszentrum erwartet vom BFV Gerechtigkeit und Parität. Unterstützung erhofft man sich von der hohen Politik. Ein Mitglied des Abgeordnetenhauses wirft einen genauen Blick auf die Begebenheiten. Wertet das Gericht die Vorfälle als rassistisch motiviert, könnte das eine besondere Signalwirkung für den deutschen Fußball haben. Die Fakten müssen auf den Tisch, auch wenn das eine Flut von Verhandlungen nach sich ziehen dürfte.

Falls das BFV-Gericht sich nicht eindeutig äußert, überlegt das Türkische Sportbegegnungszentrum mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf die Problematik des Rassismus im Fußball hinzuweisen.

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