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Achtung Archivbild vom Punktspiel am 2. Mai zwischen Viktoria und Dynamo. Mit freundlicher Genehmigung von No Dice Magazine.

© Ian Stenhouse/No Dice Magazine

Willmanns Kolumne: Eine Kleingartenanlage mit zwei Toren

Unser Autor Frank Willmann hat mal wieder keine Kosten und Mühen gescheut und sich in der vergangenen Woche das Berliner Pokalhalbfinale der beiden BFCs angeschaut. Was er dabei erlebt hat, schildert er in seiner aktuellen Kolumne.

Die Welt der körperlichen Ertüchtigung mittels Fußballspielen kennt keine Grenzen. Egal ob es um Millionenbeträge oder um die Ehre geht: die Leidenschaft am Ballspiel steckt jedem Kicker in den Knochen. Hin und wieder bietet das Betrachten von Fußballspielen unterklassiger Vereine Fußball in seiner ursprünglichen Form. Wild, unerschrocken, brachial. Viel Geld verdienen die Spieler nicht, selten reicht es beispielsweise für Spieler der Oberliga Nordost-Nord, um davon die Existenz auch nur annähernd zu bestreiten. Trotzdem jagen sie an jedem Wochenende dem Ball hinterher. Und wenn sie etwas Glück haben, gibt es sogar noch eine Menge Fans, die ihnen dabei zuschauen.

Letzte Woche besuchte der BFC Dynamo in Tempelhof den BFC Viktoria 1889. Zwei Altmeister, quasi. Viktoria schon etwas ranzig. 1894 wurde man kampflos gesamtdeutscher Meister. Der Gegner reiste einst aus finanziellen Gründen nicht an.

Der BFC - ein kellertief schlummernder Riese, der lediglich an den Rippen noch einigen fahlen Restspeck sein Eigen nennt. Die großen Erfolge des BFC Dynamo fanden mutmaßlich in der mittleren Steinzeit, auch DDR-Zeit genannt, statt. Seither versucht der Club, immer noch versehen mit einer stattlichen Anzahl an Fans, irgendwie nach oben zu kommen. Es ist eine Geschichte des beständigen Scheiterns, auch in diesem Jahr wird es nix mit dem Aufstieg in die Regionalliga. In der ersten Halbserie der Meisterschaftsrunde spielte der BFC noch gut mit, doch nach der Winterpause kam der Einbruch. Bedingt durch Verletzungen und Wetterfühligkeit einiger älterer BFC-Kicker, gingen viele Punkte die Spree runter. Nutznießer dieser Schwächephase war ausgerechnet Viktoria 89, die deshalb in der nächsten Saison der Regionalliga mit ihrer Anwesenheit den Kopf verdrehen werden. Dann als sperrig neu benamter FC Viktoria 1889 Berlin Lichterfelde-Tempelhof. Um eine Chance als dritte Kraft im Berliner Fußball zu haben, ehelichte Viktoria dieser Tage den Lichterfelder FC. Beides sind Vereine, die in Berlin von einer sehr überschaubaren Anhängerschar gepriesen werden. Selten verirren sich viele Beobachter zu ihren Spielen, voller wird’s immer nur, wenn der BFC mal wieder antritt. Dann glüht der Rost und die Bierfässer spucken gelben Schaum.

Das Pokalhalbfinale sahen fast ausschließlich BFC-Fans. Der Platz von Viktoria hat unbedingt dörflichen Charme. Ein paar stolze Gockel in Ballonseide mit Viktoria-Aufdruck badeten in der Menge und wähnten sich bereits im Finale, ach was, in der ersten Runde gegen Bayern München. Endlich mal was zu sagen haben in Berlin! Endlich auch mal eine echte Hundertschaft Polizei im Stadion! So trat auch die Heimmannschaft auf: faul, satt, überheblich.

In der BFC-Gruft hingegen schien sich ein leichtes Lüftchen zu bewegen.

Im Spiel kickte der BFC Dynamo einen erdigen, kämpferischen Ball

Der Rasen war grüner als grün, die Sonne heller als hell, die Kleingartenanlage mit zwei Toren drauf rührte die Herzen. Der Auswärtsblock lediglich gesäumt durch spaßige Bauzäune. Das hatte schon etwas Geschmäckle, wie fahrlässig Sicherheitsbedenken, die gern gegen die Fans des BFC vorgetragen werden, plötzlich auf dem Pippiplatz von Viktoria nicht mehr relevant waren. Hinter den BFC-Fans stand Polizei, die in der Halbzeit, ohne einen direkten Anlass, Präsenz zeigte. Augenscheinlich befand sich ein vernunftbegabtes Wesen unter den Ordnungshütern. Sie verschwanden wieder im Hintergrund und hatten in der Folge nichts zu tun, außer böse gucken und gelangweilt von großen Schlachten zu träumen.

Der Platz mit Unterklassencharme, wenige erregte viktorianische Vereinsmuftis huschten durchs Bild. Keine Ahnung, warum nicht ganz Tempelhof und Lichterfelde auf den Beinen war, um der neuen Berliner Fußball-Macht zu huldigen. Vielleicht liegt’s daran, dass beide Vereine sich erst eine Woche später offiziell das Jawort gaben? Oder weil in der Kleingartenanlage nebenan der Klingone Ronald McDonald zum Umsonstsaufen geladen hatte? Immer diese Außerirdischen! Fragt mich nicht, was der Verein künftig in der Regionalliga veranstaltet. Vielleicht verpulvern ja zwei Fleischermeister und ein Lieferant für Kleingartenzubehör ihre Kohle? Oder Uli Hoeneß schlägt samt Festgeldkonto sein Exillager in Tempelhof-Lichterfelde Dingsda auf? Die Tempelhofer Flüsterpropaganda sprach bereits von riesigen Auerochsenherden, als auch von Moschusochsenherden. Oder waren es Mufflons? Jedenfalls soll ihr Fleisch in eine neue Currywurstart, vertraulicher Markenname: original Lichttempler, verwandelt werden. Auerochsen, Moschusochsen Mufflons? Hauptsache die Wurst ist dick (Lewis Holtby hätte diesen Satz anders formuliert. Ich bin ein manierliches Geschöpf und denke allezeit auch an den minderjährigen Leser!). Der Gipfel des geheimen Propagandaplans: Das  Fell der Tiere soll demnächst die Körper der Spieler und Fans des FC Viktoria 1889 Berlin Lichterfelde-Tempelhof dekorieren. Falls der Berliner Fußballverband mitspielt und die Fifa nicht einschreitet.

Zum Spiel: Der BFC Dynamo kickte einen erdigen, kämpferischen Ball. Vielleicht wurde der Verein von seinem türkischstämmigen Trainer Volkan Uluc ja extra geerdet, bzw. übergeerdet. Beinahe engelhafte Fähigkeiten muss man ihm nach dem Kick zusprechen.  Er lieferte in der 119. Minute sein Meisterstück. Ziemlich flink führte der BFC Dynamo 2:0. Eine kurze Windbö ließ Viktoria auf 1:2 kurz vor der Halbzeit herankommen. Indes der BFC in der zweiten Halbzeit seine Fans mit lustigen Latten- und Pfostentreffern verhätschelte, kam Viktoria wie durch ein Wunder in der letzten Minute zum 2:2. In der Verlängerung machten die Spaßspieler schlapp. In Minute einhundertneunzehn tauschte Uluc den Torwart aus. Im Elfmeterschießen schoss der eingewechselte Torwarthalbgott „Nico Olli“ Hinz seinen Elfer ins Tor, um sogleich den ersten Viktoria-Elfer zu halten. Da alle folgenden Spieler verwandelten, schaffte der BFC Dynamo das Miniwunder und steht nun im Finale des Berliner Pokals. Die Fans jodelten eine Uffta und kehrten beseelt zurück an den heimischen Herd.

Am 12. Juni ist übrigens Lichtenberg 47 der Gegner im Pokalfinale. BerlinerInnen! Halb-und Ganzschwaben dieser Stadt! Kommt in Scharen um 19 Uhr in den Jahnsportpark, da gibt’s richtig geilen Amateurfußballsport zu sehen!

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