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Suchbild. Irgendwo hat sich Frank Willmann versteckt. Kleiner Tipp: Er ist nicht sichtbar und dort, wo er sich befindet, ist es für gewöhnlich heiß und feucht.

© Imago

Willmanns Kolumne: Erinnerungen an Elfen und Trolle (oder umgekehrt)

Unser Kolumnist wühlt heute ganz tief in der Erinnerungskiste. Den Sommer 2002 verbrachte er in Finnland - zwischen Elfen und Trollen. Einfach zauberhaft! Wenn da nur nicht das Problem mit der Fußball-WM gewesen wäre.

Die Fußball-Weltmeisterschaft 2002 verbrachte ich größtenteils in Finnland. Das Interesse der finnischen Bevölkerung an der WM war äußerst spärlich. Das mag an der bescheidenen Qualität des finnischen Fußballs liegen. Oder am seltsamen Charakter der Finnen. Wir kennen die Finnen aus den traurigen Filmen von Aki Kaurismäki und den unheimlichen Itkuvirsi-Klageliedern. Diese Lieder werden nur von Frauen vorgetragen. Es geht meist um den Tod eines Sohnes im Krieg. Die Sängerin hält bei ihrem Vortrag ein Taschentuch in der Hand, in das sie hinein schluchzt. 75 Prozent aller Finnen sollen an die Existenz von Elfen und Trollen glauben. Neben dem Eishockey und anderen kalten Sportarten waren die Finnen damals nur in der Selbstmordstatistik Weltspitze. 

Ein Franzose, ein Deutscher, ein Russe und ein Finne sitzen in der Sauna. Kommt ein Elefant rein. Der Franzose leckt sich die Lippen und sagt: Was für eine herrliche Elefantenzungensuppe! Der Deutsche reibt sich die Hände und sagt: Was für ein nützliches Arbeitstier. Der Russe murmelt, welchen Eindruck der bei einer Parade machen würde! Der Finne guckt ängstlich und flüstert: Was der Elefant von mir denken mag? Und ob er darüber vielleicht mit dem Schweden spricht?

Unsere feingeistigen Gastgeber interessierten sich natürlich nicht für Fußball. In ihrem Fernseher liefen nur hochwertige finnische Serien. Wo Elfen Trolle jagten. Oder Trolle Elfen. Ich sah bis zum Halbfinale kein einziges Spiel. Meine Informationen holte ich mir streng konspirativ. Am Morgen lag die Zeitung unserer Gastgeber ohne Sportteil auf dem Frühstückstisch. Die profanen Fakten des Sports wurden von ihnen sofort in die Papiertonne ausgelagert. Wenn unsere Gastgeber die Sauna anheizten, schlich ich zur Papiertonne und las schnell die Ergebnisse. Ballack hatte die Bundesrepublik quasi im Alleingang ins Halbfinale gebolzt. Völlers Rudi als Teamchef setzte auf den guten deutschen Panzerfahrerfußball. Verdammt, das Spiel gegen die Türken musste ich sehen!

Nach dem Abendbrot durften wir alle in die Sauna. Jeden Tag. Vier Stunden Minimum, unterbrochen von lustigem Birkenrutenauspeitschungen. Gegen Mitternacht fiel ich erschöpft in mein Bett und kippte in komatöse Albträume. Ich liefe unbekleidet durch finnische Wälder, gejagt von der Trollkönigin und ihren Häschern. Ich spielte Fußball mit Elfen, mir war die Rolle des Balls zugedacht.

Zur besten Saunazeit lief das WM-Finale

Am Tag des Halbfinales bekam ich schlimme Bauchschmerzen und konnte leider nicht mit in die Sauna. Ich wollte mir stattdessen an der frischen Luft etwas die Beine vertreten. Rechtschaffener Totentanz auf den Straßen des Vororts, in dem unsere Gastgeber lebten. Ich fand nach kurzer Suche eine Kneipe. Sie lag an einem kleinen Platz, etwas abseits der Wohnhäuser. Die Fensterscheiben waren blickdicht verkleidet. Wohl um die armen Kinder nicht mit den Auswirkungen von Teufel Alkohol zu konfrontieren.

Die Tische im Inneren waren mit jeweils einem Finnen, bzw. einer Finnin besetzt. Niemand schaute auf, als ich die Kneipe betrat. Es lief keine Musik. Im Fernseher jagten Trolle Elfen (oder umgekehrt). Keiner der Gäste schaute hin. Überdies war der Ton ausgeschaltet. Die Finnen saßen an ihren Tischen und fixierten ihr Bierglas. Alle rauchten. Die Luft stand. Ich begann sofort zu schwitzen, da in der Kneipe Temperaturen wie in der Sauna herrschten. Die Bedingungen hatten einen Touch von Fegefeuer. Ich setzte mich an einen freien Tisch, direkt gegenüber des Fernsehers. Die Wirtin stellte mir wortlos ein Bier hin. Ich nickte. Zeigte auf den Fernseher. Sagte Football? Sie ging zurück zum Tresen. Holte eine Fernbedienung. Sprach Jalkapallo? Niemand reagierte. Ich hatte es geschafft, sie schaltete das Halbfinale ein. In der 75. Minute drosch Sachsenbomber Ballack den Ball für Deutschland in die Maschen. Ich zuckte zusammen. Der Torschrei blieb mir im Hals stecken. Ich bildete mir ein, die Finnen beobachteten mich missbilligend aus den Augenwinkeln. Ich hatte ihre geweihte Stätte missbraucht, besudelt. Ich hatte gezuckt.

Zurück bei meinen Gastgebern, schwärmte ich von der guten finnischen Vorort-Luft und den vielen netten Menschen unterwegs.

Am nächsten Tag fuhren wir ins Mökki der Gastgeber. Mökki = Hütte. Jeder Finne hat ein Mökki an einem mückenverseuchten See. Neben dem Mökki steht naturgemäß die Sauna. Ich besuchte sie brav jeden Tag bis zum Finale.

Am Finaltag plagten mich abermals schlimme Bauchschmerzen. Das Mökki hatte einen Fernseher. Wo meine Gastgeber nach der Sauna Elfen beim Trolle jagen (oder umgekehrt) zuschauten. Wo ich zur besten Saunazeit das Finale sehen konnte.

0:0 zur Halbzeit. Ballack greinte gelbgesperrt von der Tribüne. Plötzlich Blitz, Donner, Stromausfall. Verzweiflung pur! Kahns Kapriolen und Ronaldos Glanzlichter der Abstauberkunst geschahen in der zweiten Halbzeit ohne mich. Ich trat vor das Mökki. Millionen Mücken erkannten unterm schönsten Sternenhimmel ihre Chance. Mir blieb nur die Flucht in die Sauna. Wo ich von meinen Gastgebern mit frischen Birkenruten empfangen wurde. 

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