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Dorfplatz in Kroatien.

© Frank Willmann

Willmanns Kolumne: Im Abgrund lauert die Tiefe

Unser Kolumnist verbringt den Sommer in Kroatien, lässt sich hängen und baumeln. Und nach und nach kommen ihm die neuesten Fußball-Nachrichten aus Deutschland zu Ohren und bringen ihn in der kroatischen Hitze beinahe um den Verstand.

Umgeben von der tief blauen Adria hat die kroatische Insel Kres alles, was ein von den bösartigen Winden des deutschen Fußballs geplagter Erdenwurm braucht. Unter dem schattigen Dach eines mächtigen Feigenbaumes, umgeben von Weinranken, Blumenmeeren und freundlichen Geckos, vergisst man kurz die Minidramen der allumfassenden, germanischen Balltreterei. Der einheimische, elegant betonierte Bolzplatz ächzt unter der Sonne. Ab und an fällt eine Mücke darnieder, um sofort zu verdampfen. Am Abend finden sich junge Menschen ein, die träge an die Tore lehnen und aus selbstgedrehten Riesentüten die Präparate der Region schmauchen. Auf die Idee, gegebenenfalls einen Ball mit den Füßen zu malträtieren, kommt niemand. Zu träge macht die Hitze, der Rauch, der blau ist wie die See, dazu das Konzert der Zikaden.

Das letzte Bier wird bei Shenia geschluckt. Shenia ist Herr der Dämmerung. In seiner Sport-Kneipe halten sich die schlimmen Finger fit, der anregende Bodensatz, die Zacken der Diestel. Im Hintergrund läuft irgendein Fußballspiel. Ab und an hört man jemand fluchen oder jubeln.

„Die Kroaten schummeln, die Italiener schummeln, selbst die räudigen Albaner.“

Shenja tut so, als würde er mir den Kopf abschneiden und zeigt mir grinsend ein Dutzend Goldzähne.

„Es ist alles eine Frage des Preises. Ab einer bestimmten Summe wird jeder schwach. Sieh dir deine ehrbaren Deutschen Beckenbauer oder Hoeneß an. Sie alle jagen der großen Nutte hinterher und plappern gegen Bares, was du von ihnen verlangst. Wenn ich gewinnen will, kostet mich das in meiner Liga fünfhundert Euro. Ich will gewinnen. Aber nicht immer. Gier ist schlecht fürs Geschäft.“

Shenja gehört der örtliche Dorfklub. Auf den Trikots seiner Jungs steht Shenja`s Sportbar. Ich stelle mir vor, dass jeder kroatische Dorfklub seinen Shenja hat. Der sich um alles kümmert. Viele, viele braven deutsche Bürger hätten Angst vor Shenja, hielten ihn für einen Mafioso, mit seinen Goldzähnen. Und so. Das geht doch nicht. Shenja sagt: „Alles muss fließen. Der Geldfluss darf nicht unterbrochen werden. Die Wirtschaft der Schatten ernährt hier ganze Familien. Wir müssen an die Armen und Schwachen denken. Die staatliche Rente ist ein Witz. Freizeit bleibt Freizeit. Wir kümmern uns um Unterhaltung. Sport, bisschen mit Dope rummachen, bisschen Wetten und so.“

Ob das bei uns auch so geht? Am nächsten Tag steht in der Zeitung, dass der deutsche Steuerbetrüger,  Medienliebling, Superpromi, Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender des mächtigsten deutschen Fußballklubs, Uli Hoeneß wohl mit einer Geldstrafe und Bewährung wegkommt. Seine ungeheuerlichen Verdienste… bayerisch-deutscher Fußball… immer mit Herz… Wurst auf dem rechten Fleck… ohne ihn wäre alles Staub… gab den armen, schwachen Klubs… daran müsse man denken.

Obwohl der Prozess noch nicht begonnen hat, steht das Urteil schon fest. Ist das Fußball? Das ist doch nur Fußball.

Was ich in Kroatien des Weiteren erledige? Ich bin Wandersmann. Die klaren Wasser der Adria umfluten meine Beine, zwei kleine, zuckersüße Möhrchen hängen mir aus den Ohren. Ich lasse mich hängen, baumeln.

Studenten werden gezwungen in überteuerten Katzenklos zu übernachten

Aus Deutschland dringt weitere merkwürdige Kunde. Lothar Matthäus soll Trainer bei RB Pjöngjang (Leipzig) sein, und in Jena terrorisieren die Flutlichtmasten des maroden Stadions meine Lieblinge. Ein echter Knallerbsen-Strauch-am-Maschendrahtzaunskandal. Listige Lurche, bärbeißige Biber und/oder aus Brandenburg eingewanderte Waschbären füllten sich jahrelang die Bäuche an den nahrhaften Lichtwerfer aus den Siebzigern. Jena ist eine der reichsten Städte Deutschlands. Steuereinnahmen von denen man weltweit nur träumen kann. Zugezogene Studenten werden gezwungen in überteuerten Kartoffelmieten und Katzenklos zu übernachten. Aus Verzweiflung verkaufen sie ihre Seele an rechte Burschenschaften. Nur weil die mit billigen Buden locken. Doch die Stadt der goldenen Klobecken lässt ihren Fußballklub verhungern. Carl Zeiss gibt keinen Cent für den Klub. Der Jenaer Bürgermeister muss ein rot-weißer Schläfer sein. Vor Jahrzehnten illegal nach Jena gekommen. Mit nur einem Ziel. Den ruhmvollen FCC  zugrunde richten. Nun steht er kurz vorm Ziel. Der Klub hat keine Heimat mehr, das Stadion ist eine gammelige Klärgrube. Weinende Kinder blockieren mir ihren Tretautos Jenas Straßen. Müssen die jetzt Erfurt-Fans werden? Alptraumszenarien, bald bleibt mir nur noch der Frauendingswaschmaschinenfußball. 

Die Botschaft Matthäus 1-2013 gefällt mir hingegen gut. Endlich hat Lothar, genannt tote Oma, einen deutschen Klub gefunden, an dem er sein Oeuvre als Trainer vollenden kann. Nach den Lehrjahren beim FC Weihnachtsmann Guantanamo, Reaktor Hinkelstein Tomanien und Arschfalte Klein-Klamydien, darf er nun bis zum Ende seiner Tage in Saccharose, Glucose, Aspartam, Glucuronolacton, Coffein und so weiter, bei RB Pjöngjang (Leipzig) baden.

Am kommenden Freitag eröffnet  RB Pjöngjang beim Halleschen FC die Drittligasaison. Wir werden selbstverständlich dabei sein. Auf der Couch. Bei Shenja. Der setzt 1000 Euro auf einen RB-Sieg. Ich setze dagegen. Aus purem, blitzblankem, unerlässlichem Trotz.

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