zum Hauptinhalt
Warten auf den großen Fußball. Ob er noch mal in Zwickau vorbei kommt?

© Frank Willmann

Willmanns Kolumne: Kaffeekasachen in Zwigge

Frank Willmann wagt sich dieses Mal nach Zwickau. Dort wohnt unser Kolumnist der Saisoneröffnung des FSV bei und muss danach riesige Portionen Schweinefleisch essen, um nicht verhauen zu werden.

Fußballfeuilletonismus mit Anspruch bedeutet, ab und an aus Berlin nach Zwickau und in andere unbekannte Orte im Kasachischen zu reisen. Man fährt vorbei an Autowaschanlagen, die den Einheimischen Autowäsche ohne Wasser verspricht. Das unschuldige Wörtchen ohne ist außerdem unterstrichen. Eine seltsame Gegend, ich fühle mich ein bisschen wie ein Ethnologe kurz vorm finalen Abtauchen im dampfenden Kessel außergewöhnlicher Menschenfresser. Auf meine Presseanfrage hatte in Zwickau niemand geantwortet. Wahrscheinlich hatten sie sich in ihrem Zwickauer Kabuff tot gelacht. Ein Einwohner von Berlin will nach Zwigge. Der muss doch nicht alle Tassen im Schrank haben! Dracula braucht regelmäßig frisches Blut. Gibt’s hier eigentlich noch Bären?

Vorbei geht die Fahrt an endlosen Biogasmaisfeldern. Hühner schreien, oder waren es Hühnerdarsteller? Das ständige auf und ab der Landschaft. Major Tom und Chris Froome. Heute die synchronische Liebe anstupsen. Und den Mond, auf dass er wieder mit seiner Sichel Biogasmaisfelder mäht.

Wer von euch kennt noch die Gruppe PUR? In Zwickau sind die lustigen Musikanten aus Bietigheim-Bissingen der Gig des Sommers. Wie auch in Berg-Karabach.

Vor 70 Jahren soll hier mal Schalke 04 zu Gast gewesen sein

Die Gegend um Zwickau ist sehr hügelig. Durchquert man drei Täler, ist man schnell bei Wismut Aue oder dem Chemnitzer FC. Beide Fußballvereine erfreuen sich in Zwigge keiner Beliebtheit.

Die einheimischen Zwickauer Kaffeekasachen, Bergsachsen und Südwestpolen haben wenig zu lachen. Sie hätten überhaupt nichts zu lachen, gäbe es nicht den lokalen Fußballclub FSV Zwickau. Er beschert ihnen bescheidene Fanfreuden und gibt dem Leben etlicher Zwickauer tieferen Sinn. Die Fans des FSV sind wie alle Fußballfans: Wach und auf der Suche nach Seligkeit. Nachdem ihr Club ein Jahrzehnt von der Bildfläche verschwunden war, kicken sie nun im zweiten Jahr in der Regionalliga Nordost und sind dort der angebliche Geheimfavorit. Neben dem richtigen Favoriten FC Carl Zeiss Jena. Und den Bördefüchsen. Letzten Freitag fand in einer Art Stadion im Zwickauer Vorort Planitz so etwas wie eine Saisoneröffnung statt. Als Gegner war Dynamo Dresdens U23 geladen. Dynamo stellte stolz drei schicke Kleinbusse zur Schau. Auf den Hängen des Wiesengrunds, die vor 30 Jahren vielleicht einmal Ränge eines Stadions gewesen sind. Einige lokale Sportfreunde meinten, vor 70 Jahren sei hier mal Schalke zu Gast gewesen. Mir fehlte freilich der Glaube an diese tolldreiste Geschichte, vielleicht haben sie ja auch Schalke Smolensk gemeint. Allerdings brannte der Rost. Darauf lagen Thüringer Bratwürste. Der Zwickauer Dialekt klingt sehr thüringisch. Thüringen ist nur 2 bis 3 Täler weit entfernt. Thüringer wollen die Zwickauer nicht genannt werden. Die Würste seien westsächsische Erzeugnisse.

Zwickauer Chaoten reichen ein geheimnisvolles Destillat

Aus einer Luke wurde von zwei mächtigen Gastronomen mit ernster Miene Bier gereicht. Die Schlange war lang, die Bierverkäufer schienen ihr Handwerk in der DDR gelernt zu haben. Als Kellner noch kleine Fürsten waren und in der zonalen Mangelwirtschaft unschuldige Gäste nach Belieben knechten durften (Sie werden platziert!). Vor Spielbeginn knatterten Geräusche aus einer Lautsprecheranlage, die man vermutlich 1973 bei den Weltfestspielen in Timbuktu abgestaubt hat. Eine Stimme, die entfernt nach Mensch klang, stellte etwas vor. Das können Heizdecken, genauso gut aber die Zwickauer Kicker gewesen sein. Ein Erdenbürger, der wie ein Fußballclubpräsident aussah, wirbelte wiederholt mit den Armen. Das Fußballvolk hörte weg. Man unterhielt sich über die neue Saison, den lokalen Parteienzwist, welcher den Stadionneubau gefährde, die Unfähigkeit aller Verantwortlichen von heute, gestern, morgen. Aber was solle man machen? Es gäbe in Zwickau nun mal nur einen ernsthaften Verein. Den müsse man unterstützen. Drei Dorfnazis standen auf ihrem Feldherrnhügel und störten den Maulwurf beim Mittagsschlaf. Zwickau spielte einen halbflinken Schuh und gewann gegen den Gast aus Dresden mit 2:1. Die Tore wurden von den Fans bestenfalls registriert.

Wäre ich doch nur bei Steak Hübs geblieben

Nach dem Kick geht die Zwickauer Bourgeoise bei Michael Hübner Schweinefleisch essen. Steak Hübs, wer nicht aufisst, wird verschwaotet (verhauen). Meister Hübner trat dereinst für Dynamo gegen den Ball, bis ihm eine hinterfotzige Blutgrätsche den Garaus machte. Er ins Gastrogewerbe desertierte, um dorden seinen Mann zu stehen. Nachkommend trank ich mit roten Zwickauer Chaoten bis in den frühen Morgen geheimnisvolles Destillat. Hergestellt hinter den sieben Bergen von Hänsel und Gretel. Wem sonst? Legendäre Auswärtsfahrten nach Meuselwitz und Torgelow kamen aufs Tapet. Regionalliga ist Herzeleid, darin waren wir uns einig.

Die Heimfahrt verbrachte ich als wimmerndes Bündel, denn in Berlin wartete der Geliebte. 14 Uhr in der Sahara zu Hohenschönhausen. BFC Dynamo-FC Carl Zeiss Jena. Ich hätte besser in Zwickau bei Hübs und seinen schweinischen Delikatessen bleiben sollen. Vielleicht war die miese Jenaer Balltreterei eine große Ablenkung? Wie Bayern beim Supercup in Dortmund. Den großen Schleier der Verulkung über das eigene Spiel. Um den Gegner zu verwirren. Im Jenaer Tor stand Achim Menzel. Er hatte im Autohaus zu Schwedt seine Torwarthandschuhe vergessen. Nur deshalb gewann der BFC mit 2:1.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false