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© dapd

Willmanns Kolumne: Mit Uli im Löwenkäfig

Was für den Normalmenschen die Verwandtschaft ist, ist für den Fußballfan der Lieblingsklub: Man hat einfach keine Wahl. Das treibt manchmal absonderliche Blüten, wie unser Kolumnist Frank Willmann zu berichten weiß.

Mein Freund Uli aus Neukölln ist im Bezirk der Hipster, Harzer und sonstigen Bewohner ein VIP. Er hat seinen Problemkiez in zahlreichen Werken gepriesen. Neuköllner Amore. Eckkneipengestalten, zugezogenes Jungvolk, Kleinkriminelle, Ganzkörperverhüllte. Mich wundert es wenig, dass Ulis Lieblingsverein auf den Namen BTSV Eintracht Braunschweig hört. Zonenrand. Schattendasein. Zünftige Anhänger mit störrischem Charme. Braunschweig pflegt Fanfreundschaften mit Mannheim und Magdeburg. Man kann sich seinen Klub nicht aussuchen. Wer von Braunschweig nach Berlin zieht, landet in Neukölln.

Die ersten fünf Lebensjahre verbrachte er in Braunschweig. Sie sollten für seine Fanwerdung prägend sein. Bereits in Muttis Bauch beschäftigte Uli der Singsang aus dem nahe gelegenen Stadion. Neugierig streckte Baby Uli die Ärmchen aus und strampelte wild. Er wollte endlich raus. In die Welt des Fußballs.

Mit sechs Jahren wurde er aus der Heimat entfernt. Zwei Jahre Baden-Württemberg, später ein bayerisches Kaff. Für Besuche blieben Oma und Opa in Braunschweig. 1975 sah er dort einen großartigen Sieg gegen Köln. Das war zu jener Zeit noch etwas Besonderes. Zum Spiel ging er mit dem Sohn der Putzfrau seiner Großeltern. Das Stadion bestand fast nur aus Stehplätzen. 38.000 wahnsinnige Braunschweiger. Die Kinder standen auf mitgebrachten Holzhockern, um ein bisschen von der Traumwelt des Fußballs mitzubekommen. Magische Stunden, die sich ins Hirn des kleinen Uli frästen. Seither war er Braunschweig-Fan. Obgleich seine Beziehung zur Stadt sich ausschließlich auf das Eintracht-Stadion reduziert. Der Braunschweiger an sich ist für Uli eine feiste und asoziale Type, die sich immer von der Seite in die Getränkeschlange drückt. 

Neuköllner Begrüßung. In Ulis Hofdurchfahrt versinke ich tief in einem Haufen Hundekot. Diese vom Dichter oft besungenen Stellen darf ich in Mitte nur noch selten betreten, zu eng ist dort das Netz der mit einem motorisierten Sauger ausgerüsteten Scheiße-Entferner. In Ulis Schlepptau umkreise ich geschickt weitere Hinterlassenschaften der verehrten Wauwaus. Es geht nach Köpenick. Zur Heimstätte des 1. FC Union. Wir flattern durchs bunte Neukölln Richtung Osten. Kreuzen die Treptower Ödnis, lassen unseren Angstschweiß in Baumschulenweg. Dann Köpenick. Uli fühlt sich in Braunschweig. Halbhohe Häuser, Randberliner Trägheit. In Köpenick hat der Tag mehr als 24 Stunden. Vielleicht nimmt deshalb die Eintracht gern die Punkte mit. Umgekehrt erlebt Union Braunschweig als spendierfreudigen Gastgeber. Gegenseitiges Geben.

In der Nähe der Alten Försterei wird Uli lampenfiebrig. Erster Schock: er hat eine Stehplatzkarte für den Gästeblock. Ich schlüpfe neben Uli in den proppenvollen Block. Schulterklopfen, ich gehe als BS- Fan durch. Als ich Stift und Zettel zücke, meint einer "Tagebuch, prima!". Ich antworte "So ähnlich" und grinse. Männerschweiß. Interessiert  betrachte ich die Köpfe und Schultern vor mir. Neben mir ein Typ Marke Besserwisser. Er kritisiert lautstark seine Mannschaft, seinen Trainer, den DFB, den Schiri, den Schiri vom letzten, sowie den vom nächsten Spiel. Er tut dies schlappe neunzig Minuten. Er muss ein Angestellter der Vorhölle sein.

Union wirkt auf den Neuköllner schon immer irgendwie hölzern

Dann geht die BS-Party im Block los. Und ebbt erst weit nach Spielende ab. "Wer nicht hüpft, der ist ein Roter", bleibt die einzige Anspielung gegen Hannover 96. Der Lieblingsfeind der Braunschweiger, die sich immer noch auf einer Ebene mit H96 wähnen. Es folgt der Singsang: "Eintracht ist Alles". Ich höre ihn im Laufe des Spiels gefühlte tausendmal. Das pausenlose Ultra-Gesinge findet Uli kacke. Stille ist auch eine notwendige Aussage. Unruhige Stille, gelangweilte Stille, saturierte Stille, empörte Stille. "Wir woll'n euch kämpfen sehen", ist für ihn die idiotischste Lautäußerung überhaupt, seit es Sprache gibt. 

Unions Einlaufmucke klingt für Uli nach alberner Märchenplatte. Er klatscht zum ersten Mal, als sein Team einläuft. Die Eintracht war schon immer ein Team von zärtlichen Kampfschweinen, die stetig am Limit kicken. Die Braunschweiger tragen einen Löwen im Wappen. Uli trägt ein T-Shirt mit Löwe.

Man sieht hinterm Tor schlecht. Geht den Unionern auf ihrer Hinterseite sicher auch so. Mitleid. Uli singt nicht mit, als das Gros der Braunschweiger Unions Torhüter mit: "Da steht ein Arschloch im Tor, das ist so hässlich", begrüßt. Das nennt man Folklore und ist quasi nicht so gemeint. Während des Spiels werden im Block etwas unmotiviert zwei Bengalos gezündet. Sie verwehen rasch im Tageslicht, erzeugen keine Wirkung, außer einem kleinen Hustenreiz bei den Umstehenden. Trotzig bellen einige junge Rüden im Block Richtung Polizei. Uralter Fan-Brauch wie die Gehwegwurst von Neukölln. Ich schaue wehmütig Richtung im Bau befindliche Sitzplatztribüne. Uli sagt "Schade um die schöne Zwergentribüne". Union wirkt auf den Neuköllner schon immer irgendwie hölzern.

Uli klatscht nach der ersten Braunschweig-Ecke, der noch viele folgen sollen. In der ersten Halbzeit hoppelt  und rumpelt das Spiel der Braunschweiger noch. Uli kommentiert das mit dem schönen Wort: Bahnhof. Union spielt ohne Herz. Komisch, ich hatte beim Wettdealer meines Vertrauens  auf einen sicheren Union-Sieg getippt. Braunschweig wird immer stärker, nach dem zweiten Handspiel in Folge pfeift der Schiedsrichter Elfmeter für Braunschweig. Uli sagt: jawohl. Er zupft sich am Bart. Der Schütze legt sich den Ball zurecht. Uli nestelt am Hemd und sucht nach einer Zigarette. Der Schütze trifft. Uli ist Jubel, wie fast alle im Löwenkäfig. Ich find’s ein bissel doof. Zur Pause versuchen wir, etwas zu trinken zu bekommen. Keine Chance, endlose Schlange. Dabei gibt es nicht mal Bier. Das Trostgetränk des kleinen Mannes. Ein Sicherheitsspiel wegen dieser Handvoll braver Auswärtsmäuschen?

Nach der Halbzeit wechselt Union-Trainer Uwe Neuhaus den Altrocker und rechtschaffenen Arbeiter Torsten Mattuschka ein. Noch vor kurzem besang das ganze Stadion seine Aktivitäten auf dem Feld mit dem Shanty "Torsten Mattuschka – du bist der beste Mann". Mit zweiunddreißig Jahren ist er nun fast Sportfreund Resterampe. Unser Fußball müffelt heuer nach Jugendwahn. Auch Union schickt einen unauffälligen 18-Jährigen aufs Feld.

Der gefallene Fußballgott Torsten verleiht Unions dürftigem Angriffsspiel trotzig vorübergehend Flügel, trifft u. a. einmal die Latte, was Braunschweig mit drei Latten- und Pfostentreffern mehr als nivelliert. Braunschweig gewinnt mit 1:0. Uli vergießt heiße Tränen der Freude. Ich wanke mit einem frohgemuten Uli durch Scharen trübseliger Unioner zum Auto. Er bekommt keine aufs Maul. Uli sagt "Schön, mit dem Auto. Sonst fährt hier ja die Straßenbahn stur im Sonntagstakt, da kommt nach dem Spiel keiner rein. Berlin ist echt die einzige Stadt der Welt, wo nach so einer Veranstaltung, wo 18.000 Leute rauskommen, nicht mal ein Sonder-Eselskarren bereitsteht. Krank."

Später dönern wir noch eine Runde unter schlanken Ampeln mit schönen Beinen. Auf Neuköllner Boden. Uli´s Nährboden der Tatsachen.

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