zum Hauptinhalt
Die Fahne hoch: Ein Fan des FC Carl-Zeiss Jena.

© dpa

Willmanns Kolumne: Unterwegs auf dem Pfad des Schmerzes

Verloddertes Stadion, eine übermächtige Geldmaschine als Gegner und allgemein trübe Zukunftsaussichten - das ist das Schicksal unseres Kolumnisten Frank Willmann als Fan vom FC Carl-Zeiss Jena. Nur sein holländischer Nachbar sieht noch Positives in Willmanns Herzensklub.

Grad gestern hab ich meinen Nachbarn Fred getroffen. Er ist Feyenord-Rotterdam-Fan und geht in Berlin manchmal zum BFC. Man muss für die Kleinen, für die vom Schicksal benachteiligten, sein, sagt er. Rotterdam war früher ein europäischer Topclub, nun alles Scheiße, meint Fred. Fred hat lustige rote Haare und zwei kleine Jungs. Sie sehen haargenau aus wie er. Manchmal, wenn es ganz dunkel in unserem Hof ist, brüllt einer der drei Freaks: Rotterdam. Sogleich antwortet die Schar mit: Hooligans. Dabei ist Fred ein völlig harmloser Mensch, der keinem Moffen was zu leide tun könnte. Doch die langweilige Wirklichkeit eines bürgerlichen Wohnviertels erfordert gelegentlich angsterhaltende Maßnahmen. Ein bisschen Spaß muss sein, sang schon Rudolf Wijbrand Kesselaar, alias Rudi Carrell.

Wenn ein Holländer das Wort Scheiße in dem Mund nimmt, klingt das immer nach Sleichsche. Fred kennt mich als Jenafan. Ganz besonders mochte er unseren einstigen holländischen Trainer, den Herrn Rene van Eck. Einer von gefühlten dutzenden Übungsleitern, die in den letzten paar Jährchen den Niedergang des FC Carl Zeiss Jena begleiteten und vorantrieben. Wenn ich: Alles Scheiße in Jena sage, weiß Fred was das bedeutet. Ich sage also: Alles Scheiße in Jena. Fred lacht. Und sagt: "Ja, alles Scheiße. Weißt du Frank, damals, euer langhaarige Holländer, der Trainer, der war toll."

Ich sage: "Fred, der war nicht toll, aber er hatte tolle lange Loden". Rein äußerlich brachte er ein wenig Anarchismus ins Spiel. Für den Geschmack der Jenaer Fußballobrigkeit freilich etwas zu viel. Er wurde beizeiten wieder entlassen, aber kurz nach seiner FCC-Entlassung vom FCC wieder eingestellt. Das brachte einen gewissen Wirrnisfaktor. Der das große fußballerische Ganze vom Kopf auf die Füße stellte. Der alle ganz wuschig machte. Selbst den damaligen Präsidenten, der schon fünf Minuten nach der Wiedereinstellung ein komisches Gefühl hatte. Und ganz schnell in die Büsche musste. Leider blieb er dort nicht.

Einfach gesagt: auch die Wiederanstellung brachte uns Fans keine Seligkeit, keine Gnade, keine Freude. Es blieb Scheiße, bzw. wurde noch schlimmer. Der letzte Trainer des FCC, der gleichzeitig auch der aktuelle ist, stieg mit den Jenaern von der dritten in die vierte Liga ab. Vor vier Jahren standen wir im Halbfinale des DFB-Pokal.  Vor 80.708 Zuschauern unterlagen wir beim bestbesuchten Pokalspiel aller Zeiten 0:3 in Dortmund. Danach ging’s rasant  bergab. Zuletzt machte der Club beim abgedrehten Flügelschraubenskandalspiel in Zwickau von sich reden. Als eine lässig hingerotzte Hilfstribüne das Fußballspiel zwischen Zwickau und Jena unmöglich machte. Im wunderschönen Maracana Zwickaus, dem Sportforum "Sojus 31".

So verloddert wie Zwickaus Stadion, so lodderig graut aktuell die Zukunft meines Clubs durch den Saalenebel. In der Regionalliga des Todes Nordost-Ost hat uns das böse Schicksal die unüberwindliche Geldmaschine RB Leipzig vor den Hals gelöffelt. Da wir bis zum Hals im Moder stecken, bedeutet die Anwesenheit von RB in unserer Liga mindestens ein weiteres Jahr Regionalligaknast. Denn welcher Fußballschelm versteigt sich zu der Annahme, RB könnte zum dritten Mal in Folge an einem Underdog scheitern? Nach Chemnitz 2011und Halle 2012 nun Jena 2013?

Geld verleiht Flügel

Geld verleiht erfahrungsgemäß irgendwann Flügel, RB wird die Sache diesmal schaukeln. Noch röchelt der FCC unter der Leipziger Stiefelspitze und es träumen die letzten Gerechten im Jenaer Paradies von einem kleinen bisschen Frieden, geben sich wonnetrunkenen albernen Hoffnungen hin.  Kinkerlitzchenjongleure aufgepasst, auch ich gehöre dazu!

Aber die Wunde ist frisch und der Schmerz sitzt tief. Die Mehrheit der FCC-Fans chillt bockig im Garten und mümmelt an der kalten Bratwurst, indes der FCC 2012-zweitausendsonstwann seine Tour über die Zonen-Dörfer veranstaltet.

In Deutschlands Hauptdorf Berlin hatte ich das besondere Vergnügen, der Mannschaft bei der Verrichtung ihrer Arbeit zusehen zu dürfen. Ich weiß nicht, ob die Jenaer Spieler neben der Kickerei mit ehrlicher Arbeit ihr Brot verdienen müssen, ist auch egal. Wer in der vierten Liga auf den Platz läuft, hat in der Regel alle Chancen längst vertan. Ein paar Jungtalente, doch die große Masse spielt Fußball zum Wegrennen. Glücklicherweise hatte sich der Kollege Gläser als solidarisch erwiesen und leistet mir Tingeltangelfrank im Jahnsportpark Gesellschaft. Nein, wir sind letzten Freitag nicht mit Gewehren beschossen worden. Denn es gab Berliner Polizei, soweit das Auge reichte.

Es mutete an, als wären mehr Polizisten als Zuschauer beim Kick anwesend. Soll angeblich ein Sicherheitsspiel gewesen sein, vor knapp sechshundert Zuschauern, davon 250 Leichtbiertrinkenden Jenaern. Ihr fragt mich warum? Keine Ahnung, vielleicht sollte der neue Jahrgang milchgesichtiger Polizeischüler etwas die harte Berliner Wirklichkeit schnuppern? Eine gemeine Übung mit weichen Zielen? Die Fans blieben cool, es passierte nichts, die Kosten trägt eh der Steuerzahler.

Berlin ist schön, sagte Herr Gläser und lachte dem FCC-Fanbeauftragten Hoffi fröhlich ins Gesicht. Hoffi nagte an einem Stück gegrilltem Kunstdarm mit was komischen drin, sollte wohl Bratwurst sein. Wir unterhielten uns über das Reisen in Containerschiffen. Trübsinniger Scheiß auf dem Spielfeld. Jenas Ultrahäufchen machte unermüdlich Stimmung. Neunzig Minuten Schmettergesang. Ruhe gabs nur im Toilettenhäuschen.

Stockduster, seit Dynamo hier nicht mehr spielt, gibt’s kein Licht mehr, sagte Herr Gläser nach seiner Rückkehr vom stillen Örtchen. Fieser Wind kam auf, Herbstgefühle wühlten in meiner unsterblichen Fanseele. Plötzlich schrien die Jenafans 1:0! Ich schrie mit. Dabei blieb es. Der erste Auswärtssieg nach 365 Tagen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false