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Willmanns Kolumne: Volksvergnügen mit Traumquote

Es geht auch friedlich. Das hat das Berliner Fußballderby gezeigt. Doch wer weit ins Land hinein schaut, sieht nicht nur Herthaner und Unioner. So wie Frank Willmann in seiner aktuellen Kolumne.

Vierundsiebzigtausendzweihundertfünfundzwanzig Berliner kamen am Montag ungeschoren davon. Die verschwindend geringe Zahl von neunzehn Menschen wurde vor, während und nach dem Spiel zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union vorübergehend dingfest gemacht. Nicht ganz 0,03 Prozent der Zuschauer genossen kurzzeitig Polizeigewahrsam. Für Volksvergnügen eine Traumquote und ein Friedlichkeitsbeweis der Fußballfans. Selbst die, na sagen wir mal Lichterkette der Union-Fans, beunruhigte die Gemüter nicht. Vereine, Fans und entspannte Polizei haben gezeigt, dass es geht. Wenn man die Fans machen lässt, der Knüppel nicht zu locker sitzt und die Medien zurückhaltend agieren. Eintausend  Polizisten sollen im Einsatz gewesen sein. Eine erschreckend hohe Zahl, allerdings wissen wir nicht, wie viele von ihnen den Spieltag in Habachtstellung verbrachten.

Ursprünglich wollte ich an dieser Stelle das Spiel des Berliner AK gegen Cottbus II. besingen. Ich erwartete einen neuen Zuschauerrekord im Poststadion und wurde, wie wenige Andere, von Väterchen Frost bitter enttäuscht. Laut Ratzeburger Bauernlümmelkalender dürfen wir noch weitere sechs Wochen die ganz dicken Unterbuchsen frequentieren. Der Minuswind feilt uns das Haupthaar und die böse Eisfee martert uns mit Manöver Schneeflocke. Der Dauereinsatz auf den Plätzen der unteren Spielklassen wird mir verwehrt.

Aus Trotz blieb ich Montag in Mitte und rutschte auf eigene Gefahr übers Eis im Berolinastadion. Ein frecher Muskel im hinteren Bereich meines Elfenleibs zeigte sich wenig amüsiert und vereitelte meine Turnübungen. Der Teufel hat den Winter erfunden, um uns braven Fußballleut die Seele schwer zu machen. Ich und sechs Dutzend Berliner beim BAK, das wäre ein Erlebnis nach meinem Geschmack! Ich hätte jeden Zuschauer einzeln studieren können und wäre womöglich ins Grübeln geraten, wenn ein Zaubermeister aus dem Lande der Erleuchtung plötzlich vor mir gestanden hätte.

"Zaubermeister!" hätte ich gesagt. "Was führt dich ins geheimnisvolle Hinterland des Fußballs?"

Der Zaubermeister hätte mich verschwörerisch beäugt. Dann hätte er seinen rechten Zeigefinger vor seinen Mund gehoben. Ich hätte mich viele, viele Stunden mit diesem Fingerzeig beschäftigt, ich wäre darüber verzweifelt. Denn ich hätte ihn als guter Kolumnist für den geliebten Leser ja irgendwie aufbewahren und einpacken müssen. Geliebter Leser, schauen wir weit ins Land hinein, sehen wir nicht überall friedliebende Herthaner und Unioner.

Wem gehört der Fußball? Manche Ultras glauben, er gehört ihnen.

Im nahen Dresden braut sich ein rechtes Süppchen zusammen. Wobei ich in Sachsen nicht falsch verstanden werden möchte. Es geht nicht um die politische Einstellung einiger Fans. Der Auftritt in Kaiserslautern wird das schmale Grüppchen eurer Freunde bei DFB und DFL noch mehr ausgedünnt haben. Für die gute Sache kämpfen. Klar ist es das Vorrecht der Jugend, dagegen zu sein. Aber warum man aus Trotz  unbedingt den eigenen Verein gegen den Baum fahren muss, ist mir unverständlich. Wollt ihr italienische Verhältnisse, um endlich als entrechtete Elite aller Fans ganz oben am Kreuz zu baumeln? Von Innenminister Hans-Peter Friedrich persönlich angenagelt? Gut frisiert, versteht sich. Und den Kragen des Windbreakers verwegen hochgestellt, in den blutenden Händen den letzten Bengalo dieser Welt zündend. Wenn die Gondeln Trauer tragen und der Fußball begraben wird.

Am Kreuz baumeln, bunte Lichter und Blut - kommen wir nach Jerusalem, wo einst ein junger Revolutionär für die gute Sache in den Himmel fuhr. Weil der israelische Erstligist und mehrfache Meister Beitar Jerusalem zwei muslimische Spieler verpflichtet hat, haben vermutlich extreme Fans des Klubs ihr Vereinsheim angezündet.

Die dominierende Ultragruppe heißt "La Familia". Wer sich an die Mafia erinnert fühlt, dem sei dieser Zahn schnell gezogen. Ultras garnieren sich gern mit martialischen Namen wie Front, Inferno etc., das ist in erster Linie Pose und ironisierend. Im heimischen Teddy-Stadion, ein Schelm, wer nun an Mister Beans Lieblingstier denkt, geht’s trotzdem hoch her. Gemäßigte Fans gegen antiarabische und antimuslimische Fans. Der Verein gehört Arkady Gaydamak, er hat die zwei Tschetschenen verpflichtet. Der Milliardär will sich von "La Familia" nicht auf der Nase herumtanzen lassen.

"La Familia" gilt als ziemlich rassistisch und gibt sich in ihren Sprechchören  deutlich rechtsextrem. "Kein Einlass für Araber" und "Beitar rein für immer", sind gern intonierte Sprüche. Der Anführer von "La Familia" äußerte sich vor kurzem gegenüber dem amerikanischen Reporter Jeremy Schaap für das ESPN-Format E:60: "Der Klub gehört uns. Solange ich lebe, wird hier kein Araber spielen." 

Nach langem Schweigen hält der Verein nun dagegen und geht gegen die rassistischen Parolen vor. Auch der israelische Verband reagierte und sperrte im letzten Spiel die Osttribüne, den Stammplatz von "La Familia". Zudem protestierten gemäßigte Kräfte für ein buntes und tolerantes Jerusalem. Manchem gefällt die Welt, manchen bricht das Herz dabei.

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