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Stimmung auf den Rängen. Union-Fans beim Derby gegen Hertha BSC im Stadion an der Alten Försterei.

© dapd

Willmanns Kolumne: Von Mobbing-Opfern und Steinzeitmenschen

Unser Kolumnist Frank Willmann macht sich Gedanken über das Mobbing-Opfer Cristiano Ronaldo und die Wiederkehr der Steinzeit in Berlin - wovon er sich beim Derby Union gegen Hertha gleich ein Bild machen konnte.

Nach eingehender Betrachtung der Personalie Fußballgott bin ich zu der Einsicht gelangt, dass er ein Fußballteufel sein muss. Leben, Werk und Wirkung dieser oft angerufenen Figur ließen in mir diesen Gedanken reifen. Wie kann ein Fußballgott zulassen, dass beispielsweise Cristiano Ronaldo bei Real Madrid in Trauer fällt? Was ist geschehen? Wurde er, wie im Fall des Kölner FC Kickers Kevin Pezzoni, von der ominösen Fanmafia wegen schlechter Leistungen aus dem Club gemobbt?

Der Fußballplatz  Real Madrids ist doch ein Ort der Wunder. Und der schöne Cristiano ein Impresario allerhöchster Ball- Heiligkeit. Ist er am Ende ein käuflicher Knecht des Kapitals, den es zu fetten Geldtöpfen zieht? Haben die fabelhaften Scheichs des englischen Clubs Manchester City einen Köder ausgeworfen und Ronaldo inszeniert eine bizarre Ich-bin-traurig-Show aus reiner Raffgier? Nein! Nein und nochmal: Nein!

Aus unbekannter Quelle sickerte durch, Ronaldo möchte mit seiner offiziell verkündeten Traurigkeit allen Fans beweisen, dass er mit tiefen und echten Gefühlen ausgestattet ist. Sein Leben ist nicht nur aufgeblasener Ball, dicke Eier und Disco satt. Er hat endlich die ersten fünf Buchstaben seines Vornamens entschlüsselt.

Außerdem haben die sogenannte europäische Wirtschaftskrise und die hohe Arbeitslosigkeit samt einhergehender bitterer Existenzangst vieler Madrilenen in ihm den Wunsch reifen lassen, einer von ihnen zu werden. Noch ist es geheim, doch schon bald wird er mit Rückendeckung seiner Mannschaftskollegen Kaka, Khedira und Özil sein Vermögen den Ärmsten der Armen schenken. Aber nur den allerärmsten Ärmsten, das ist mal klar! Geld ist nicht alles, es zählen die inneren Werte, wird Cristiano verkünden. Und alle abartig überbezahlten Madrider Profis werden es ihm gleichtun. Arm, aber unendlich glücklich wird Cristiano dann mit Kaka, Özil und Khedira auf dem Dach einer einfachen Hütte Platte sitzen und zufrieden an einer Möhre mümmeln. Da ihm außer dieser Möhre nichts mehr geblieben ist. Dieses anrührende Szenario wird selbstverständlich von Adidas verfilmt. Mit Joseph Blatter in der Hauptrolle als Gottvater.

Armes Berlin! Unser Partybiest Wowi Wowereit liegt dank der Berliner Flughafenpleite darnieder! Trifft das böse Schicksal nun auch Unions Vorzeigemarzahner Christopher Quiring? Der beim Ortsrivalen Hertha BSC viele, viele böse Wessies vermutet? Ganz schön schlimm, möchte man meinen. Spricht er dem Volk aus dem Mund, ist er ein Seher aus fernen Tagen? Eine Wiederkehr der Steinzeit? Aber sind nicht alle Fußballfans Steinzeitmenschen?

Derby Union gegen Hertha - Rüpelmodus oder rosa Ballkleid?

Auf zum Test! Rüpelmodus oder rosa Ballkleid? Um meine Unterstellung zu checken, hüllte ich mich Montagabend anfangs in mein schönstes rosa Ballkleid und nahm die S-Bahn Richtung Köpenick. Die Berliner S-Bahn, was für eine grauenhafte Erfindung! Sie kommt immer zu spät oder zu früh. Manchmal auch umgekehrt. Sie ist voll müder Berliner, die mit Stinklaune von A nach B gondeln. Am Montag kam mein Ballkleid-Auftritt in der S-Bahn nicht so gut an. Also fix umgezogen und so schnell es ging eine Bierflasche in die Faust gesteckt. Im Rüpelmodus stapfte ich vorbei an einem glatzköpfigen Aggro-Muskelpakt in Uniform, der alle raus schneienden Fans am S-Bahnhof Köpenick grimmig musterte. Ob er das Rauchverbot auf dem Bahnsteig überwachte? Er, ein stummes Vorzeichen kommender Ereignisse. Männerfreuden geheißen.

Durch Heerscharen Bier trinkender und Billigfleisch verzehrender Grandseigneurs ging’s Richtung Stadion. Ich haute mir zwei Biere in den Schädel und gab mich ganz dem Rausch der glückseligen Masse hin. Derbyvorfreude brachte neben dem Alkohol die Antlitze zum Glühen. Aus den Ritzen der Erinnerungen wurden die Derbyheldentaten vergangener Zeiten heraufbeschworen. Als die Männchen noch im Fellschurz um die Feuer tanzten und unbeugsam ihre Keule schwangen. Die nur zu einem Zwecke diente: dem Feind das dreiste Haupt zu zerschmettern. Selige Vergangenheit, da alles noch geordnet war.

Hier die Bilder zum Spiel Union gegen Hertha:

Unverschorft das Stadion erreicht, suchte ich mir einen Stehplatz auf der Gegengerade. Wahrscheinlich durch einen dummen Zufall geriet ich an Stammplatzsteher. Die Stammplatzsteher stehen an ihrem Platz schon immer. Sie sind ganz wahre, superechte und paraphierte Urfans. Als ich mich dazu gesellen wollte, wurde ich via veritablem Schubser auf den Umstand, hingewiesen, nicht zu ihnen zu gehören. Ein Zweimeterurviech stellte auf  meine höfliche Nachfrage unmissverständlich mit Stammsteherrülps klar, hier seit 1982 mit seinem Alten zu stehen. Tatsächlich stierte mich ein wankender Greis bösartig aus leeren Augen an. Hier war keine gepflegte Diskussion unter Freunden des Schwanentanzes vorgesehen.

Ich stellte mich zwei Meter weiter nach links. Das Zweimeterurviech schickte mir noch ein paar handelsübliche Pöbeleien hinterher. Ich machte ein Foto für mein persönliches Miezekatzenalbum. Dann holte ich mir noch ein Bier. Im Stadion kostet ein Becher gesättigte 3,50 Euro. Vorm Stadion verkauften diverse Haupt-und Nebenhändler die Droge des kleinen Mannes wesentlich günstiger. Mensch Schlaumeier hatte vorgetankt. Ich stellte mich wieder zu den Stehplatzbenutzern.

Hier stand ich, wartend, wartend, — doch auf Nichts. Und siehe:  Im Stadion gedieh der entfesselte Durschnitt vor und auf den Rängen. Auch ich brüllte, gestikulierte und schubste. Dazu schwang ich meine Jacke, um sie bei der nächstbesten Gelegenheit auf meinen Nachbarn niedersausen zu lassen.

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