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Die dritte Jahreszeit treibt auch im Sport ihre Blüten.

© dpa / picture alliance

Willmanns Kolumne: Warum Unionfans nach einer Niederlage singen

Frank Willmann macht sich in seiner herbstlichen Kolumne Gedanken über Flüchtlinge, die Gemeinschaft der Unioner und ein Messer im Rücken.

Rote Herbstglut lohte am Himmel über Köpenick, als Unions neuer Trainer Sascha Lewandowski sein erstes Heimspiel bestritt. Überall zeigten sich Gluthaufen in den Augen der Fans, auch der Wuhle Wasser leuchtete sonnengefärbt und rein. Vollkommene Bedingungen, um dem Unionbaby Sascha den schönen Namen Erster Heimsieg unter Lewandowksi anzutragen. O ihr Herbstsonnenblüten, es wurde eine schwere Jungfrauengeburt. Bienen, Frösche, einige Floharten und sogar Truthähne kennen sich gut mit der Parthenogenese aus. Doch genauso gut könnte man zehntausend Tierarten benennen, denen diese Form der Erzeugung von Nachkommen für immer fremd bleibt. Alexander der Große wurde von einer Schlange gezeugt und Jesus in Marias Leib hinein gehaucht.

Ja, schon, eingangs regte sich Leben auf dem Fußballplatz. Im Flammenglühn wieherte es und schrie. Es roch einen Moment nach guter Unterhaltung. Das Uniongefühl seifte uns den Bart. Und alle warn sie da: Frank Schöbel, Jimmy Hoge, Eberswalder Würstchen, kein Gassenstrolch kam uns in die Quere. Doch die Gunst schwirrte Union nach zwanzig Minuten aus den Knochen. Sie trudelte wie ein schlechter Traum über die Köpfe der Spieler, Polizisten, Fans und Toilettenfrauen. Die Wiesen waren voll Gift, doch schön zur Herbstzeit. Die Herbstzeitlosen blühten wie blaue Augenringe.

Handeln allein wird der Wille

Es brauchte wenig, um Union die Luft zu nehmen, meinte Sascha Lewandowski nach der 1:2 Niederlage gegen Fürth. Ein schlanker Baum, gewiegt vom Wind mit flatterndem Haar. Vorm Spiel sang Billy Idol „Dancing with myself“, ein geeignetes Trainerlied. Die Grausamkeit des Liebesglückes, die Falschheit eines Blickes. Dann knutsch ich mich doch besser selbst.

Ein neuer Trainer muss sich profilieren. Er darf das, er muss, auch wenn er dem gewichenen Trainer damit das Messer in den Rücken bohrt. Jeder neue Trainer weiß, Handeln allein wird der Wille, dann kann Fußball göttlich werden. Zuviel kuscheln, zu wenig kuscheln? Was liegt dazwischen? Herr Favre hat am Sonntag nach erfolgreichen Jahren Borussia Mönchengladbach aufgegeben. Weil es nur ein Abgrund ist, der hinter dem Vorhang auf ihn wartet.

Die Gemeinschaft der Unioner sang An der Alten Försterei die gewohnten Melodien. Sie ruderte mit den Armen und taten, was ging. Und sie reckten die Faust gen Bildzeitung, die da meinte, sich am Wochenende keck um Flüchtlinge bemühen zu müssen. Nun, das Fanvolk hat eine feine Nase, wenn es darum geht, Trittbrettfahrer mit umgedrehtem Lichtkranz zu verorten. Demokratischer Glanz senkt sich über den Fußball. „Täglich Hass und Scheiße publizieren, um sich mit Flüchtlingen zu profilieren? Bild not welcome“ lautete die Botschaft An der Alten Försterei, der sich die weitgereisten Fürther Fans gleich mit „Bild halts Maul“ anschlossen. Alles ist nur eine Flamme, auf der eine Rose blüht mit zauberischem Duft.

Das Leben ist eine Musik

Warum Unionfans nach einer Niederlage singen? Weil das Leben eine Musik ist. Weil sie auch morgen wieder das Spielfeld säumen werden, um der Prozession ihrer Helden leuchtenden Auges zu folgen. Das große UnserUnserUnser. Freunde gehen aus und ein. Unionseelenforscher Frank Nussbücker hat ein ganzes Buch über das Uniongemüt verfasst (111 Gründe Unioner zu sein, erschien die Tage bei Schwarzkopf & Schwarzkopf). Ein Buch für die Wunden, die passierten und passieren.

Und an die Güte, die herrschte und herrschen wird. An das Leid, was es zu erdulden galt und weiterhin zu erdulden gilt. Denn aus Leid und aus Güte wird einst die Schönheit gemacht sein. Und Schönheit ist bekanntlich der dritte Vorname unseres göttlichen Spiels.

Das ist so heilig oder so profan wie das nackte Leben. Widrige Bedingungen, Kleinklein, Fleischtöpfe, der ganze beiläufige Mulm. Aber was ist das? Es ist Fußball. 11Freunde-Raack, noch so ein Forscher am Rand des dunklen Fußballdickicht. Hat fleißig  gegen den Alltag angedichtet (Den muss er machen erschien die Tage bei Edel). Und verschlimmert die Launen geplagter Feingeister mit seiner amüsanten Sammlung sich gut weglesender Fußballplattheiten im Journalistensprech kein bisschen. Das passt wunderbar in den schmalen Grat zwischen Bildzeitung und Arthur Schopenhauer, der da so schön sagt: „In der Einsamkeit frisst sich der Einsame selbst auf, in der Vielsamkeit fressen ihn viele.“

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