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Winterträume: 100 km/h? Ziemlich langsam!

Wann bei Abfahrern der Adrenalinspiegel steigt und wie sie das Tempo spüren, erzählt Stephan Keppler.

Kitzbühel, die Streif, die legendäre Abfahrt, um die rankt sich ja ein Mythos. Die schnellste, die gefährlichste, die brutalste Strecke im Weltcup-Zirkus? Es gibt viele wilde Abfahrten, aber sicher keine bekanntere! Auf die berühmte Hausbergkante fahren wir mit knapp 100 Stundenkilometern. Schnell? 100 km/h? Ich empfinde bei diesem Tempo ein besonderes Gefühl: Es ist so langsam.

Das hört sich jetzt für viele Alltags-Skifahrer wahrscheinlich befremdlich an, aber für Profis wie mich ist es so. Vor allem, weil es vorher sehr viele schneller zur Sache geht, und im Vergleich dazu kommen einem 100 Stundenkilometer doch fast langsam vor. Bei uns ist der Bereich zwischen 100 und 120 km/h Standard. Das Besondere, diesen extremen Adrenalinschub, erfahre ich in Kitzbühel natürlich am Starthang und in der Mausefalle. 85 Prozent Neigung hat diese Stelle direkt nach dem Starthang. Normalerweise wird im Starthäuschen immer geblödelt, in Kitzbühel dagegen herrscht fast immer Totenstille. Nur diesmal war''s ein bisschen lockerer, warum auch immer. Die Zielpassage in Kitzbühel, der Haneggschuss bei der Lauberhornabfahrt, der sehr steile, sehr lange Steilhang in Beaver Creek, wo man mit 140, 150 km/h über die beinharte Piste jagt, das sind Momente, in denen man die Geschwindigkeit spürt.

Dieses Gefühl von Tempo, das ist ja einer der Gründe, der für mich den Reiz der Abfahrt ausmacht. In technisch schwierigen Passagen und natürlich auch bei Höchstgeschwindigkeit schnellt der Adrenalinspiegel nach oben. Für mich ist die Abfahrt die reizvollste Disziplin: wegen ihrer Vielfalt. Es gibt weite Sprünge, Flachstücke, in denen man gut gleiten muss, Wellen, anspruchsvolle Kurven, und High-Speed-Abschnitte. Alles dabei.

Natürlich jage ich nicht die Piste runter und denke jede Sekunde, was ich doch für einen Riesenspaß gerade habe. Das kann man sich gar nicht leisten. Daran verschwendet man im Rennen keinen Gedanken. Man konzentriert sich auf die Fahrt und versucht ans Limit zu gehen, ohne dabei im Fangnetz zu landen. Gerade Strecken wie Kitzbühel oder Bormio sind sehr anspruchsvoll. Bormio ist meist extrem eisig und besteht fast nur aus technisch schwierigen Kurven. Am ehesten hat man das Gefühl von Fahrspaß noch in Gröden, da ist das Gelände vergleichsweise flach.

Angst? Richtig Angst habe ich nicht. Aber Respekt. Wenn man in Kitzbühel im Starthaus steht, wenn man von oben zum ersten Mal runterschaut, da sagt man dann doch „Puh“. In Kitzbühel bin ich dieses Jahr in den Fangnetzen gelandet, einer von mehreren Stürzen, nichts Außergewöhnliches für einen Abfahrer. Alles vollzieht sich in so einem Moment in Sekundenbruchteilen, da läuft im Körper alles automatisch ab: Muskeln versteifen, auf den Rücken kommen. Man achtet in diesen Momenten auch darauf, dass man beim Rutschen mit den Beinen keine zusätzliche Angriffsfläche für mögliche Verletzungen bietet.

Die Erinnerung an meinen Sturz in Kitzbühel sind ein paar blaue Flecken. Es ist glimpflich abgelaufen, deshalb hängt mir so ein Sturz nicht allzu lange nach. Jeder reagiert auf einen Sturz anders, viel hängt natürlich davon ab, ob man schwere Verletzungen erlitten hat. Vor drei Jahren hat es mich in Val d''Isere mal richtig hingelegt, aber kurz darauf bin ich wieder gute Rennen gefahren.

Mir machen auch diffuses Licht und schlechte Sicht nichts aus. Das verdanke ich meinem früheren Trainer Richard Mutter, mit dem ich als Jugendlicher arbeiten durfte. Mutter ließ uns konsequent trainieren, egal, wie Pisten- und Witterungsverhältnisse waren. So richtig Spaß am Skifahren habe ich wie so viele andere auch, wenn ich mit Kumpels oder in der Clique unterwegs bin. Egal ob im Powder oder auf der Piste, mit Freunden ist Skifahren am schönsten.

Aufgezeichnet von Frank Bachner.

Stephan Keppler

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